Frage von Sonia T.: «In der Klasse meines Sohnes kam es zu einer schlimmen Mobbingsituation, die lange unentdeckt blieb. Wie kommt es, dass sonst nette Kinder so gemein sind?»

Antwort von Christine Harzheim, Psychologin FSP und systemische Familientherapeutin:

Mobbing findet sich fast überall. In der Schule, der Arbeitswelt, der Politik, ja sogar in Familien kommt abwertendes, feindseliges und ausgrenzendes Verhalten vor. Mobbing ist eine massive Verletzung fundamentaler seelischer Bedürfnisse. Wenn dieser Zustand anhält, kann die Belastung psychische Erkrankungen wie Ängste und Depressionen oder psychosomatische Beschwerden nach sich ziehen.

Kinder und Jugendliche sind besonders gefährdet, Opfer oder Täter wechselseitiger Abwertungen zu werden. Ihre Fähigkeit, eigene Motive für ihr Handeln wahrzunehmen, ist noch nicht voll entwickelt, genauso wenig wie ihr Vermögen, sich in die Gefühlswelt anderer einzufühlen.

Ihr noch instabiles Selbstwertgefühl macht Kinder und Jugendliche zudem anfällig für Gruppendruck. Sie lassen sich von Stimmungen anstecken und handeln impulsiver als Erwachsene. Zugehörigkeit und Anerkennung sind für sie existenziell wichtig. Sie brauchen hier die Unterstützung von Erwachsenen.

Nur die Täter verurteilen reicht nicht

Mobbing wühlt auf. Sehr schnell entsteht das Klischee von Gut und Böse, Opfer und Täter. Wir ergreifen Partei, gehen gegen die Täter vor und realisieren nicht, dass die Ursachen so nicht aufgelöst werden. Denn um wirksam gegen Mobbing vorzugehen, genügt es nicht, die Täter zu verurteilen. Wenn man wirklich etwas verändern will, muss man verstehen, wie die Dynamik entsteht.

Wer glücklich und ausgeglichen ist, hat nicht das Bedürfnis, andere zu kränken und zu demütigen. Wir kennen das alle: Wenn es mir gutgeht, ich ein Hoch erlebe und die Welt umarmen könnte, ist mein Herz offen und weit. Ich bin grosszügig, tolerant und in Geberlaune. Wenn ich aber das Schicksal als ungerecht empfinde, überfordert und erfolglos bin, suche ich das Haar in der Suppe der anderen, und es freut mich, wenn ich es finde.

Niemand mobbt aus einer souveränen, entspannten Position heraus. Den anderen klein zu machen geschieht unbewusst aus dem Bedürfnis, den eigenen Selbstwert aus dem Minus zu hieven, sicher und unangreifbar zu sein. Viele Kinder machen mit, weil sie froh sind, so nicht auf der Opferseite zu stehen. Aussen oder unten zu landen ist so bedrohlich, dass selbst Werte wie Freundschaft und Loyalität über Bord gekippt werden.

Natürlich muss in einer Schule Mobbingverhalten klar und unmissverständlich korrigiert werden. Wenn es aber dabei bleibt, ist der Frieden nicht von Dauer. Die «Täterkinder», die aus einem (unbewussten) Grundgefühl von Defiziten und wenig Wert heraus agieren, werden so ein weiteres Mal nicht in ihrer Not wahrgenommen. Die Kinder erleben dies als erneute Kränkung und Ungerechtigkeit und werden sich aus diesem Spannungszustand heraus erneut destruktiv verhalten.

Wichtig ist hier, dass man die Bedürftigkeit hinter der «Böswilligkeit» erkennt. Dass man dem Verhalten dieser Kinder Einhalt gebietet, zugleich aber ihrer Seele Aufmerksamkeit und Wertschätzung schenkt, damit sie es in Zukunft nicht nötig haben, andere zu verletzen.

Wie mit Mobbing umgehen?

Ein weiterer zentraler Aspekt ist, dass sich Mobbing unter Kindern dann ausbreitet, wenn auch in der zugehörigen Erwachsenenwelt Intrigen, Missgunst und Gemeinheiten vorkommen. Wenn man auf Mobbing bei Kindern stösst, ist es immer sinnvoll, dass sich die Erwachsenen kritisch hinterfragen:

  • Wie gehen wir Erwachsenen hier miteinander um?
  • Wie gehen wir eigentlich mit den Kindern um?

Kindern zu predigen, wie sie sich verhalten sollen, nützt wenig. Kinder machen nicht das, was wir sagen, sondern das, was wir tun. In Schulen und Familien gehören diese Aspekte zur Führungsverantwortung.

Tipps zur Mobbingprävention im Zusammenleben und -arbeiten mit Kindern
  • Korrigieren Sie auf der Verhaltensebene. Anerkennen Sie die Gefühlswelt der Kinder ohne Wertung. Begegnen Sie jedem Kind mit Wertschätzung seiner Persönlichkeit.
  • Seien Sie Vorbild. Reflektieren Sie Ihr eigenes Beziehungsverhalten.
  • Wenn Sie wollen, dass Kinder Empathie entwickeln, begegnen Sie ihnen mit Empathie.