Frage von Lisa S.* (46): «Ich scheine gegen ein Tabu zu verstossen: Ich tue mich schwer mit dem Grossmuttersein. Was tun?»

Sie beschreiben eindrücklich Ihre Situation. Sie wurden früh Mutter, waren schon bald alleinerziehend und stehen nun mit Mitte 40 an einem guten Punkt. Der Jüngste geht zwar noch zur Schule, wird aber selbständiger, was Ihnen etwas mehr Freiraum gibt. Den Job geniessen Sie sehr, die Kaderposition passt gut zu Ihnen, ist Ihnen eine wichtige und sinnstiftende Aufgabe.

Es war natürlich immer etwas schwierig, alles unter einen Hut zu kriegen. Aber eigentlich waren Sie zufrieden. Und dann wurde eine der Töchter ebenfalls relativ früh Mutter – und Sie Grossmutter. Von überall her gratulierte man Ihnen, Sie sahen Dutzende von Enkelfotos anderer stolzer Grosseltern.

Sie selbst spürten aber eigentlich keine Freude, nur Druck. Zugleich plagte Sie ein schlechtes Gewissen . Und Ihre Tochter nimmt das alles sehr persönlich, wirkt verletzt.

Ich kann Ihre Zerrissenheit gut nachvollziehen. Dabei geht es ja einerseits um innere Themen wie unsere Identität, aber auch um ganz praktische Dinge, die oft von Grosseltern erwartet werden, wie das heute gängige Einen-Tag-pro-Woche-die-Enkel-Hüten. Und ja, Sie verstossen in gewissem Sinne gegen ein Tabu. Das Tabu ist aber klar zu hinterfragen.
 

Kratzende Pullis

Wie wir die Rolle von Grosseltern sehen, ist stark durch unsere eigene Biografie geprägt. Dabei geht es zum Beispiel um die Erfahrung, wie wir als Kinder unsere Grosseltern erlebten. Waren sie gütig und hatten immer Zeit für uns, nahmen uns mit in den Jura in den Herbstferien? War es ein Hort der Sicherheit, ein Ort, wo wir im Mittelpunkt standen? Oder sind es auch negative Erinnerungen mit vielleicht strengen Grosseltern, die nicht auf uns einzugehen wussten? Ein Ort, wo man vielleicht den kratzenden Pulli anziehen musste und die Blut- und Leberwurst nicht nur probieren, sondern auch aufessen?

Oft noch prägender sind aber die Erfahrungen, die man selbst als junge Eltern mit den Grosseltern der eigenen Kinder gemacht hat. Welche Erwartungen erfüllten sie, welche nicht? Was hätte man gebraucht? Fühlte man sich unterstützt, im Stich gelassen, kritisiert?

Oft brechen hier alte Beziehungs- oder auch Selbstwertthemen wieder auf. Als Kind fühlte man sich vielleicht von seinen Eltern zu wenig gesehen und erhoffte sich, dass nun zumindest das eigene Kind von den Grosseltern mehr Aufmerksamkeit erfährt. Hier reagiert man dann emotional stark, wenn dem auch nur leicht nicht so scheint.

Welche Rolle wir aber für uns als Grosseltern sehen, hat auch sehr viel mit unserer Lebenssituation zu tun. Sie waren gerade dabei, etwas mehr Freiraum zu erhalten – was Sie vielleicht im ganzen Leben nie hatten. Sie sind stolz auf die Identität, die Sie sich erschaffen haben. Die Belastung ist aber immer noch hoch, mehr hat einfach nicht Platz. Und so wirkte das Grossmutterwerden einfach wie zusätzlicher Druck.
 

Jung und dynamisch

Und Sie sehen sich als jung und möchten nach der schwierigen Paarbeziehung einiges nachholen. «Oma» klingt für Sie vielleicht nicht danach. Sie sind in einer ganz anderen Situation als eine Frau, die 15 Jahre nach dem Auszug der Kinder Grossmutter wird und für die der Beruf auch nicht mehr so einen hohen Stellenwert hat.

Würdigen Sie also Ihre Lebenssituation. Vor allem auch Ihre emotional tief verankerten Erwartungen an sich selbst. Sie geben Ihr Bestes in den verschiedenen Lebensbereichen – für andere und sich selbst.

Wichtig wird vor allem das Gespräch mit Ihrer Tochter sein. Klären Sie mit ihr, was Sie voneinander erwarten. Zentral ist, dass Ihre Tochter versteht, weshalb Sie vielleicht nicht nur einfach mit Freude reagieren – und dass es dabei um Sie selbst geht und nicht um den Stellenwert Ihrer Tochter oder des Enkels. Oft ist hier als Start ein Brief hilfreicher als das direkte Gespräch. Sie können sich ausführlicher erklären, und Ihre Tochter kann das Geschriebene mehrfach lesen.

Legen Sie ihr dar, was Sie anbieten können und was nicht. Als junge, dynamische Oma werden Sie vielleicht einiges nicht bieten können, andere Grosseltern können aber vielleicht anderes nicht leisten. Überlegen Sie sich gemeinsam: Wie kann das abgedeckt werden, was fehlt? Welche anderen Bezugspersonen gibt es im Umfeld, die mittragen können? Familiensysteme Erziehung Wie bringen wir unsere Werte auf einen Nenner? bestehen heute häufig aus weniger als fünf Personen und müssen darum mit guten Freunden oder anderen Unterstützenden ergänzt werden.
 

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Chantal Hebeisen, Redaktorin
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