Die Geister wohnen in einem Raum im Untergeschoss. Ein langer Gang führt hin, hell erleuchtet mit Neonröhren. Neurowissenschaftler Giulio Rognini öffnet die Tür, entschuldigt sich für das Durcheinander und zeigt auf einen Roboter am Fenster. «Damit locken wir sie hervor», sagt der junge Italiener, grinst und setzt sich vor den Computer.

An Geister glaubt Rognini keineswegs. Mit seinen neusten Forschungen will er dem Rest der Welt zeigen, dass Geister wenig mit unheimlichen Erscheinungen und sehr viel mehr mit dem menschlichen Hirn zu tun haben. Mit Hilfe des Roboters bringt Rognini Leute dazu, ein nicht vorhandenes Wesen im Raum zu spüren.

Es gibt immer wieder Berichte von Personen, die Geister in ihrer Nähe spüren. Meist befinden sie sich in einer physischen oder emotionalen Ausnahmesituation. Reinhold Messner etwa berichtete, wie er mit seinem Bruder im Himalaja vom Nanga Parbat abstieg, als er in der kalten Einöde plötzlich einen dritten Bergsteiger hinter sich spürte. Auch Menschen, die einen Liebsten verloren haben, berichten, sie hätten den Toten plötzlich physisch nahe gespürt. 

Das alles kümmert Jan Overney wenig. Er arbeitet in einer anderen Abteilung der ETH Lausanne und ist heute Versuchskaninchen. Rognini bittet ihn, sich zwischen die zwei Teile des Roboters zu stellen. Der vordere Teil ist ein metallenes Gestell mit einem weissen Gelenkarm. In dessen Ende soll Overney jetzt seinen Zeigefinger stecken. Der Gelenkarm lässt sich so im Kreis und vor- und zurückbewegen. Hinter Overney steht der zweite Teil des Roboters, ein metallenes Gestell, aus dem eine Stange mit einer runden Spitze herausragt. Sie berührt Overney leicht am Rücken. Beide Teile sind miteinander verbunden. Wenn Overney mit seinem Finger vorn den Gelenkarm bewegt, reagiert der hintere Teil des Roboters. Die Spitze stupft Overney dann in den Rücken.

Damit ihn nichts ablenkt, bekommt der Testkandidat eine blickdichte Brille und Kopfhörer aufgesetzt. Dann bewegt Overney seinen Finger, der Roboter stupft ihn parallel dazu am Rücken. So weit, so einleuchtend. Overney weiss, dass er es ist, der die Berührung im Rücken auslöst. Dann tippt Rognini einige Änderungen in den Computer, und kurz darauf kommt der Geist aus dem Versteck.

«Ich spüre etwas», sagt Overney. Die blickdichte Brille verdeckt den Schreck in seinen Augen. «Etwas ist hinter mir, stupft mich in den Rücken, das bin nicht mehr ich, der den Roboter steuert.» Overney zögert einen Moment, lacht kurz und ungläubig. «Es ist ein Wesen, links unter meiner Schulter, ich fühle deutlich, wie es mich berührt.» Hinter ihm ist keiner.

«Wir stiessen per Zufall auf dieses Phänomen», erzählt Rognini in der Cafeteria. Er forscht in der Gruppe von Olaf Blanke an der Schnittstelle von Neurologie und Informatik. Blanke leitet das Labor für kognitive Neurowissenschaft an der EPFL und hat zudem eine Professur für Neurologie am Unispital Genf. Bei der Behandlung von Epilepsiekranken fiel den Neurologen eine erstaunliche Tatsache auf: Wenn sie gewisse Nerven im Hirn der Kranken stimulierten, spürten diese plötzlich eine zweite oder sogar mehrere Personen neben sich, Personen, die gar nicht vorhanden waren.

Die stimulierten Nerven befinden sich in der Inselrinde und im Scheitellappen – diese Regionen im Grosshirn sind für Bewegungen zuständig, für die Selbstwahrnehmung und das Gefühl, wo man sich im Raum befindet. Wenn jemand eine Türklinke berührt, meldet ihm das Hirn: «Deine Hand schliesst sich um einen Gegenstand, der sich metallen anfühlt und nicht zum Körper gehört.» Manchmal jedoch, und zwar häufig in Ausnahmesituationen, geraten diese Prozesse kurzzeitig aus dem Tritt. Dann ist die Zuordnung nicht eindeutig, und das Hirn meldet etwas, was gar nicht stattgefunden hat. Diese Fehlmeldung kann das Gefühl auslösen, einen Geist zu spüren.

Testperson Jan Overney wurde mit einem Trick aufs Glatteis geführt: Als Rognini den Roboter steuerte, gab er eine Zeitverzögerung ein. Overney bewegte noch immer den Roboterarm, nur reagierte der hintere Teil des Roboters verspätet. Wenn die Verzögerung gross genug ist, kann das Gehirn die beiden Signale nicht mehr miteinander verbinden. Als Reaktion entsteht das Gefühl, ein unsichtbarer Dritter oder eben ein Geist befinde sich hinter einem. «Wer einen Geist zu spüren glaubt, interpretiert einfach die eigenen Körpersignale falsch», erklärt Rognini.

«Es war schon ein wenig unheimlich», sagt Overney. Und es habe ihn zum Lachen gereizt. Sogar als er wieder an seinem Platz gesessen habe, sei ihm sein Rücken seltsam verspannt vorgekommen. «Es gab Probanden, die uns baten, das Experiment abzubrechen», sagt Rognini. Die Geister aus der Maschine fühlten sich für sie allzu real an. Doch nicht jeder reagiert gleich sensibel: Ein Drittel der Testpersonen fühlte eine starke Präsenz, manche gar nichts.

Das Lausanner Team möchte die Tests ausdehnen auf Leute, die an Schizophrenie erkrankt sind. Die Vermutung: Symptome der Schizophrenie wie das Hören von Stimmen könnten durch ähnliche Prozesse ausgelöst werden.

An Geister hat Rognini nie geglaubt. «Wir können zwar nicht beweisen, dass sie nicht existieren», sagt er. Aber sie könnten zeigen, wie sich das Gefühl, einen Geist zu spüren, neurologisch erklären lasse. Das Forscherteam der ETH Lausanne bekam viel Aufmerksamkeit, als es die Forschungen über die Geisterwahrnehmungen kürzlich publizierte. «Vor allem aus Grossbritannien haben wir sehr viele Anfragen bekommen», sagt Rognini. Dort gebe es allerdings auch besonders viele Häuser, Hotels, Schlösser und Burgen, in denen Geister ihr Unwesen treiben sollen. «Die Betreiber fürchten wahrscheinlich um ihr Geschäft», sagt Rognini und lacht.