Frage von Liv Z.: Ich habe immer mehr Mühe, an Anlässe mit Leuten zu gehen. Irgendwie klappt das mit dem Smalltalk nicht mehr. Es macht mir Angst, dass ich immer unsozialer werde. Habe ich wohl eine Sozialphobie?

Aufgrund Ihres Briefes ist es nicht möglich, Ihrem Problem eine präzise Etikette zuzuordnen. Sicher handelt es sich um eine Störung sozialer Fähigkeiten. Das Spektrum reicht hier von Schüchternheit bis zur schweren Sozialphobie, von leichter Gehemmtheit und Unwohlsein in Gruppen bis zu derart massiven Ängsten, dass man sich kaum mehr aus dem Haus traut. Die internationale Klassifikation psychischer Störungen unterscheidet zwischen einer «selbstunsicher und ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung» und einer «sozialen Phobie».

Zur ersten Form gehört eine tief verwurzelte Überzeugung, selber sozial unbeholfen, unattraktiv und minderwertig im Vergleich mit andern zu sein. Daraus folgt eine ausgeprägte Sorge, von andern kritisiert oder abgelehnt zu werden, und damit eine zunehmende Abneigung, sich auf persönliche Kontakte einzulassen. Menschen mit diesem Leiden sind also ständig mit der Frage beschäftigt, wie sie bei andern ankommen, wie diese sie beurteilen und ob sie sich blamieren oder lächerlich machen könnten.

Es kann schlimmer werden

Bei der Sozialphobie dagegen dominiert eine panikartige Angst, die von körperlichen Symptomen begleitet wird. Oft sind die Ängste klar abgegrenzt und beziehen sich etwa nur auf Essen in der Öffentlichkeit, aufs Sprechen vor Publikum oder auf Treffen mit dem andern Geschlecht. Körperliche Symptome können Erröten, Händezittern oder Drang zum Wasserlassen sein. Auch Angst vor Erbrechen in der Öffentlichkeit kommt vor. Zunehmendes Vermeidungsverhalten macht die Sache immer schlimmer und kann zu totaler sozialer Isolation führen.

Es gehört ganz einfach zum Menschsein, in Gemeinschaften zu leben. Wir werden in eine Familie hineingeboren, müssen uns im Kindergarten und in der Schule in grössere Gruppen einfügen und arbeiten später schliesslich auch in Teams mit Kollegen und Vorgesetzten.

Es muss uns dabei gelingen, sowohl uns selbst als auch die andern im selben Masse ernst zu nehmen. Wer sich nur nach aussen orientiert und sich zu sehr anpasst, wird ausgenützt, kommt zu kurz und verliert sich selbst. Wer allzu sehr um sich selbst kreist, wird Schwierigkeiten mit seiner sozialen Umgebung bekommen.

Menschen mit sozialen Ängsten brauchen also beides: Ihr Selbstbewusstsein muss so weit erstarken, dass sie es auch ertragen können, wenn sie jemand kritisiert oder ihnen einen Korb gibt; anderseits müssen sie ihre Fähigkeit verbessern, auf andere zuzugehen, mit andern ins Gespräch zu kommen, Kontakte zu knüpfen. Beides lässt sich erwerben: In einer eher erkenntnisorientierten Therapie kann man sich besser kennen und schätzen lernen. In einer Verhaltenstherapie lassen sich in eigentlichen Trainings soziale Kompetenzen ausbauen. Beide Aspekte verbessern sich auch in Selbsthilfegruppen.

Tipps zur Stärkung der Sozialkompetenz

  • Werden Sie sich bewusst, was an Ihnen liebenswert ist, welche Stärken Sie haben – und akzeptieren Sie auch Ihre Schwächen.

  • Fragen Sie sich bei Begegnungen nicht, ob Sie selber interessant sind, sondern interessieren Sie sich für den andern.

  • Nutzen Sie Alltagssituationen, um Kontaktaufnahmen zu üben: einige Worte zur Kassiererin im Supermarkt, zum Kellner im Restaurant, eine Bemerkung übers Wetter am Kiosk und so weiter.

  • Nehmen Sie zuerst ohne Worte mit einem Lächeln Kontakt auf; sagen Sie nur etwas, wenn darauf reagiert wurde.

  • Trauen Sie sich heute etwas zu, was Sie gestern nicht gewagt hätten.