Sexarbeiterin Frieda Bünzli* hat wegen des Coronavirus' Zwangsferien. Bordelle und private Etablissements bleiben mindestens bis zum 19. April geschlossen. So hat es Bundesamt für Gesundheit am 16. März verordnet. Auch Prostituierte, die auf privater Basis arbeiten, müssen pausieren. Hausbesuche sind, wie bei anderen Berufen mit Körperkontakt, verboten. In Bünzlis Inserat auf dem Erotikportal www.and6.com steht deshalb, dass sie ihre Dienste bis auf weiteres nicht anbietet.

Die 46-Jährige ist damit in der Minderzahl. Am 19. März um elf Uhr waren auf der Sexsite 507 Angebote aufgeschaltet. Nicht einmal zehn der inserierenden Prostituierten lassen Ihre Kundschaft wissen, dass sie vorerst nicht verfügbar sind oder lediglich Videos und Fotos anbieten. Andere preisen ihre Dienste konkret als Entspannungshilfe in Coronazeiten an.

 

BAG am Anschlag

«Ich finde es unverantwortlich, dass einschlägige Websites wie and6.com und xdate.ch vom BAG nicht einfach vom Netz genommen werden. Wenn sich kaum jemand an die Regeln hält, rasen wir alle in eine Quarantäne, ein totales Ausgehverbot», sagt Bünzli, die früher im Gesundheitswesen arbeitete.

Das schrieb sie auch dem BAG, erhielt aber nur eine vertröstende Antwort. Genauso der Beobachter. Angesichts der Flut von Presseanfragen bittet das Amt um Geduld.

Hilflos auch in Luzern

Die Firma, die www.and6.com betreibt, ist im zypriotischen Nikosia beheimatet. Dort steht vermutlich auch ihr Server. Deshalb hätten die Schweizer Behörden gegen sie keine Handhabe. Anders die Firma Online Marketing Solutions, die www.xdate.ch betreibt. Sie hat ihren Sitz im luzernischen Reiden.

Die Fachgruppe Sexualdelikte der Kapo Luzern habe mit dem Betreiber des Portals Kontakt aufgenommen, sagt Polizeisprecher Urs Wigger. Allerdings sei es ja nicht verboten, Werbung zu treiben. Jetzt gehe es deshalb in erster Linie darum, besser auf dem Portal zu informieren.

Einschlägige Klubs, die dort inserieren, würden selbstverständlich kontrolliert. Aber man könne im Moment nicht jeder einzelnen der Damen nachgehen, das sei ein Ding der Unmöglichkeit. Wigger: «Was ich von Männern halte, die in diesen Zeiten solche Dienste in Anspruch nehmen, mag ich gar nicht aussprechen.»

«Kunden, die jetzt noch Sexdienste kaufen, sind ganz offensichtlich risikoreicher und meist auch unangenehmer.»

Lelia Hunziker, Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration FIZ

Das Prostitutionsverbot soll helfen, die Pandemie einzudämmen. Viele der betroffene Frauen stehen aber vor einem Scherbenhaufen. «Ich selber habe genug auf der Seite, um ein paar Monate ohne Einkünfte zu überleben. Ich weiss aber, dass das bei vielen anderen, vor allem bei Ausländerinnen, nicht der Fall ist», sagt Frieda Bünzli.

Damit nicht genug. «Vielen Sexarbeiterinnen Ungarische Roma Mama verkauft sich in Zürich droht akut Obdachlosigkeit, weil sie mit der Schliessung der Clubs ihre Unterkünfte verlieren oder weil sie als Selbständige die Mieten nicht mehr bezahlen können», sagt Lelia Hunziker, Aargauer SP-Grossrätin und Geschäftsführerin der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration FIZ. Hinzu komme, dass viele Prostituierte der Verlust der Aufenthaltsbewilligung droht. «Sie haben oft keine Möglichkeit, in die Heimatländer zu reisen, wo teilweise auch Familienangehörte und Kinder versorgt und betreut werden müssten», so Hunziker.

Vorschub durch Zwangsprostitution

Sie befürchtet, dass sich in der Zwangsprostitution die ohnehin prekären Zustände noch massiv verschärfen. Die betroffenen Frauen seien dadurch noch verletzlicher, sagt Hunziker. Und die Kunden, die in der aktuellen Lage noch immer Sexdienste kaufen, seien «ganz offensichtlich risikoreicher und meist auch unangenehmer».

Durch die Schliessung der einschlägigen Online-Portale würden zudem die Zwangsprostituierten völlig in den Untergrund gedrängt und wären gar nicht mehr erreichbar, sagt Hunziker. Statt die Websites zu schliessen, sollten die Behörden dafür sorgen, dass die notwendigen Warnhinweise aufgeschaltet werden.

*Name geändert

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