Wer in der Schweiz eine Pistole oder ein Gewehr kaufen will, muss bei der Wohngemeinde einen Waffenerwerbsschein beantragen. Das haben in der Vergangenheit ständig mehr Leute getan. Im Jahr 2015 wurden in der Schweiz rund 25'340 Erwerbsscheine bewilligt, im Jahr 2019 waren es schon 34'110. Das entspricht einer Zunahme um rund 35 Prozent. Im Corona-Jahr 2020 wurde der stetig steigende Trend gebrochen; die Gemeinden bewilligten noch 26'820 Gesuche.

Viele Kantone verfügen über statistische Daten, die mindestens bis ins Jahr 2010 zurückreichen. Dazu gehört der Kanton Zürich. Hier stieg die Nachfrage von 3180 (2010) auf 5180 (2020). In Bern nahm die Nachfrage in diesem Zeitraum von 2740 auf 3740 zu. Geringer war das Wachstum etwa im Kanton Genf: von 1820 auf 2100.

Einen Waffenerwerbsschein erhält, wer mindestens 18 Jahre alt ist, nicht unter Beistandschaft steht, nicht wegen eines gewalttätigen Verbrechens verurteilt wurde und keinen Anlass zur Annahme gibt, er würde sich selbst oder Dritte gefährden. Wenn der Schein bewilligt wird, können damit bis zu drei Waffen erworben werden. Der Kauf muss allerdings zum selben Zeitpunkt und beim selben Händler erfolgen.

Gesuche um Waffen sind eingebrochen

So viele Waffenerwerbsscheine wurden zwischen 2015 und 2020 schweizweit beantragt (ohne Wallis und Waadt)
Quelle: Kantonspolizeien – Infografik: Anne Seeger

Warum wollen immer mehr Leute eine Waffe besitzen? Die Kantonspolizeien halten sich mit Einschätzungen zurück. Es sei nicht ihre Sache, gesellschaftliche Entwicklungen zu kommentieren.

Alessandro Orlando von der Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht Pro Tell führt den Anstieg «zum Teil» auf das «substanzielle Bevölkerungswachstum» zurück. Die Wohnbevölkerung der Schweiz stieg von 8,23 Millionen im Jahr 2015 auf 8,61 Millionen im Jahr 2020 an. «Zudem muss beachtet werden, dass nicht jeder ausgestellte Waffenerwerbsschein einem Erstbesitzer entspricht. Jeder Kauf, egal, ob es der erste oder zehnte ist, benötigt stets einen neuen Schein.»

Nicht nur Pandemie als Grund

Für den schweizweiten Rückgang der Nachfrage im Jahr 2020 sieht Orlando zwei Gründe: Corona und das revidierte Waffengesetz. Wegen der Pandemie seien die Waffenläden lange geschlossen geblieben, und es habe keine einzige Waffenbörse stattgefunden. Zudem hätten wohl viele Schützen ihren Kauf vorgezogen, weil im August 2019 das verschärfte Waffengesetz Neues Waffengesetz Schweizer Schützen fürchten um ihre Freiheit in Kraft getreten sei. Für halbautomatische Waffen mit grossem Magazin (bei Pistolen mehr als 20 Schuss, bei Gewehren mehr als 10) ist seither eine Ausnahmebewilligung nötig. Sie wird in der Regel nur Sammlern und Sportschützen erteilt.

Ganz anders interpretiert die Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) die steigende Nachfrage nach Waffen. «In den letzten zehn Jahren haben Medien und Politik Angst geschürt. Sei es vor einem terroristischen Angriff auf die Schweiz, vor Flüchtlingen oder bezüglich der politischen Grosswetterlage mit Konflikten zwischen den USA, Russland, Iran und China. Das weckte wohl in einigen Menschen ein Bedürfnis nach mehr Sicherheit, das sie mit der Anschaffung einer Waffe zu stillen versuchten. Das ist aus unserer Sicht absurd», sagt GSoA-Sprecherin Judith Schmid.

Die steigende Nachfrage nach Waffen macht der GSoA Sorgen. «Das ist keine gute Entwicklung. Mit jeder zusätzlichen Waffe steigt das Risiko für Tötungsdelikte im Bereich häuslicher Gewalt. Mehr Waffen machen die Schweiz unsicherer für alle», so Schmid.

Weniger Tote durch Schusswaffen

Die polizeiliche Kriminalstatistik stützt diese Darstellung nicht. In den vergangenen Jahren ging die Zahl der Tötungsdelikte wie auch der schweren Körperverletzungen durch Schusswaffen stetig zurück. Im vergangenen Jahr verzeichnet die Statistik insgesamt 253 Tötungsdelikte, davon 24 mit Schusswaffen (9 Prozent). Im Jahr 2016 waren es insgesamt 232 Tötungsdelikte, davon 47 mit Schusswaffen (20 Prozent). 

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