Wenn Nunzio La Vecchia in diesen Tagen am Genfer Autosalon seinen Auftritt hat, ist ihm Aufmerksamkeit sicher. Der 50-Jährige mit Zweireiher und Elvis-Frisur ist eine elegante Erscheinung, und die Produkte, die er anpreist, lassen die Herzen von Autoliebhabern höherschlagen: elegante Sportwagen mit einem bärenstarken Motor, der in bloss 2,8 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigt – erst noch emissionsfrei und fast geräuschlos.

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Denn Nunzio La Vecchia hat nach eigenen Angaben eine Technologie entwickelt, die nichts weniger als der «Energieträger der Zukunft» sein soll: die Nanoflowcell, «vermutlich die erste Technologie, mit der sich grosse Mengen an Energie in einem Medium speichern lassen, das sich nicht zersetzt oder unter Abnutzungserscheinungen leidet». Statt Benzin brauchen La Vecchias Wunderautos zwei ionische Flüssigkeiten – eine Art Salzwasser –, die miteinander interagieren. Eine Tankfüllung soll für bis zu 600 Kilometer reichen. Das wäre deutlich mehr als alles, was Elektroautos bisher zu leisten vermögen.

Gute Gründe, weshalb der «Chief Technical Officer» der Nanoflowcell AG nun im Tessin mit der ganz grossen Kelle anrichten will. Auf einem brachliegenden Gelände in Tenero plant die Firma für 150 Millionen Franken eine «Quant City», um die Entwicklung des Wundermotors voranzutreiben und gleichzeitig den damit bestückten Kleinwagen Quantino zu bauen. In der Medienmitteilung vom letzten Oktober ist von einer Fläche von 25'000 Quadratmetern die Rede, auf der 150 bis 200 Arbeitsplätze für «Ingenieure, Forscher und Juristen» entstehen sollen. Im nicht eben von wirtschaftlichen Erfolgen verwöhnten Tessin würden so indirekt bis zu 2500 Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert, verheisst die Ankündigung.

Sicher sind bisher nur die Arbeitsplätze der Juristen. Und die befinden sich nicht auf der Industriebrache am Lago Maggiore, sondern in Anwaltskanzleien, Betreibungsämtern und Gerichten. Von ihnen hat Nunzio La Vecchia in den vergangenen Jahren eine ganze Menge beschäftigt, unter anderem als Angeklagter und Schuldner. Nun könnte es zum ersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten eng werden für den Mann, der in einer 4,2 Millionen teuren Villa am Monte Verità in Ascona residiert. Sehr eng sogar: In seinem Betreibungsregisterauszug finden sich offene Forderungen in zweistelliger Millionenhöhe.

Hof halten am Genfer Autosalon

Doch noch glitzert die Welt von Nunzio La Vecchia. Am Autosalon wird er an einem exklusiven Stand Hof halten und Autos mit seinem revolutionären Nanoflowcell-Antrieb präsentieren. So, wie er 2009 ein Modell eines Sportwagens vorstellte, der angeblich vollständig mit Dünnschicht-Solarzellen auf der Basis von Pyrit bestückt war, gebaut in Zusammenarbeit mit dem renommierten schwedischen Luxus-Sportwagenhersteller Koenigsegg. Selbst Fürst Albert von Monaco und der frühere James-Bond-Darsteller Roger Moore bewunderten einst an der Autoausstellung von Monaco den Wagen.

Die Solarzellen aus Pyrit – im Volksmund auch «Narrengold» genannt – vermochten jedoch nur einen winzigen Teil der Energie für die Luxuskarosse bereitzustellen, wie La Vecchia auf Nachfrage gegenüber der Website Autoblog.com einräumte. Nur das Radio und die Ventilation könnten mit dem solarproduzierten Strom betrieben werden. Oder hätten betrieben werden können, denn der Nobelwagen wurde nie gebaut, und Koenigsegg beendete die Zusammenarbeit abrupt. Auf der Website des schwedischen Autobauers sind mittlerweile sämtliche Hinweise auf La Vecchia gelöscht.

Die Witwe verfällt der Überzeugungskraft des Charmeurs und kauft Aktien – für 39 Millionen Franken.

Der Aargauer mit Wahlheimat Tessin hatte schon einmal vorgegeben, die Fotovoltaik revolutionieren zu können. 1999 liess er am Paul-Scherrer-Institut (PSI) in Würenlingen AG eine angeblich von ihm erfundene «Alpha-Solarzelle» testen. Das Resultat war überwältigend: Die Zelle erreichte einen Wirkungsgrad von 50 Prozent. Die besten in Forschungslaboratorien entwickelten Zellen von renommierten Forschungsinstituten hatten damals einen Wirkungsgrad von 30 Prozent erreicht.

Doch statt einem Eintrag ins Guinness-Buch gab es heftige Zweifel, wie sich der ehemalige PSI-Ingenieur Wilhelm Durisch erinnert. Er führte damals die Messung durch und registrierte Seltsames: «La Vecchia liess niemanden näher als zwei Meter an die Zelle heran und bestand darauf, sie eigenhändig in den Prüfstand einzubauen», erzählt er. «Wir hatten keine Ahnung, was wir da eigentlich massen.» Auch die aufgezeichnete Messkurve habe eine für Solarzellen völlig untypische Form aufgewiesen. Vermutlich, so Durisch, habe La Vecchia die Stromproduktion mit einer im Rahmen eingebauten Batterie vorgetäuscht.

Er legt sich ein Privatflugzeug zu

Die angebliche Wunder-Solarzelle diente Nunzio La Vecchia dennoch als Türöffner zu neuen finanziellen Dimensionen. Der Mann, der sich das Wissen für seine Erfindung angeblich autodidaktisch angeeignet hatte, schmückte sich mit einem falschen Doktortitel und beschwatzte eine äusserst wohlhabende Nachbarin, in seine damalige Firma NLV Solar zu investieren und so die Welt der Fotovoltaik zu erobern. Die Frau, Witwe eines Zürcher Unternehmers, verfiel der Überzeugungskraft des Charmeurs und kaufte 2001 für knapp 39 Millionen Franken Aktien. Dazu überschrieb sie La Vecchia Liegenschaften in Ascona und Küsnacht ZH im Gesamtwert von weiteren elf Millionen.

«Die Geschichte einer hochwirksamen Solarzelle erfunden» – Nunzio La Vecchia am Genfer Autosalon 2015.

Quelle: PD (Pressedienst)

Was dieser genau mit dem Geld anstellte, ist unklar. Tatsache ist: Nur wenige Monate nach dem grosszügigen Geschenk der Witwe kaufte sich der angebliche Solar-Unternehmer eine Pilatus PC-7 Mk II, das weltweit einzige Flugzeug dieses Typs in Privatbesitz, mit einem Katalogpreis von 3,9 Millionen Franken. La Vecchia widmete dem Edelflieger mit der Immatrikulation HB-HMR gar einen eigenen Bildband, und auch in einem aufwendig produzierten Musikvideo mit dem Titel «Emotion» präsentiert sich der Privatpilot stolz mit seinem teuren Fluggerät. Komposition und Gitarre auf der Easy-Listening-Scheibe: Nunzio La Vecchia.

Die Witwe zeigt ihn an

Die reiche Witwe jedoch hatte nur noch kurz Musikgehör für seinen verschwenderischen Lebensstil. Sie realisierte ihren teuren Irrtum und zeigte La Vecchia 2003 wegen Betrugs an. Bei der Staatsanwaltschaft Zürich drang sie damit jedoch nicht durch. Das Verfahren wurde eingestellt, weil der Staatsanwalt der Witwe ein grosses unternehmerisches Wissen attestierte und befand, die Frau hätte den Schwindel bemerken müssen.

Nunzio La Vecchia arbeitet derweil weiterhin an Bubenträumen. Schon 2014 und 2015 war er am Automobilsalon in Genf mit Sportwagen präsent, die von seiner revolutionären Nanoflowcell-Technologie angetrieben sein sollen. Für einen von ihnen, den Quant E, hat er mittlerweile sogar eine Zulassung für den Strassenverkehr erhalten, wie er auf seiner Website stolz verkündet. Eine Nachfrage bei der zuständigen Stelle ergibt jedoch: Es handelt sich um eine Sonderzulassung für ein einziges Fahrzeug. Dennoch: Die Begeisterung unter Automobiljournalisten war gross – die Zweifel waren es jedoch ebenso. Was unter der Motorhaube steckt, bekam niemand zu Gesicht, wie verschiedene Onlineportale kritisch vermerkten.

Tatsächlich wissen nicht einmal Zulieferer, welchen Antrieb La Vecchia in seine Wagen einbaut. Die renommierte Bosch Engineering GmbH, die der Autobauer gern als Partner nennt, teilt auf Anfrage in sperriger PR-Sprache mit, man könne «keine Aussagen über Beschaffenheit und Leistungswerte der nanoFlowcell®-Antriebstechnologie machen. Diese Technologie wird ausschliesslich von der Nanoflowcell AG entwickelt und liegt ausserhalb der Beauftragung von Bosch Engineering.»

Die Fans teurer Sportwagen werden in Genf dessen ungeachtet auch dieses Jahr einen Nanoflowcell-Stand vorfinden. Mit dem Quant FE will La Vecchia eine Weiterentwicklung seines Edelmodells Quant F präsentieren. Zudem soll eine überarbeitete Version des Kleinwagens Quantino zu sehen sein. Dieser sei nun «seriennah», verspricht die Nanoflowcell AG auf ihrer Website. Über die Produktion einer Kleinserie werde noch dieses Jahr eine Machbarkeitsstudie entscheiden.

Die Begeisterung unter Journalisten war gross. Allerdings: Was unter der Motorhaube steckt, bekam niemand zu Gesicht.

Glaubt man den Medienmitteilungen von La Vecchias Firma, so sollen die Quantinos dereinst in der «Quant City» in Tenero das Licht der Werkhallen erblicken. «Vorbehaltlich des positiven Vertragsabschlusses über den Kauf des Grundstückes» sollte das Forschungs- und Produktionszentrum 2018 in Betrieb gehen – sollte, denn von einem Vertragsabschluss ist La Vecchia weiter entfernt denn je. Coop lässt als Landeigentümerin ausrichten, man werde «frühestens gegen Ende Jahr entscheiden, wie es mit dem Gelände weitergeht». Und selbst dann habe man «diverse andere Interessenten» für die Industriebrache. In Tenero selber erklärt Gemeindepräsident Paolo Galliciotti, die Gemeinde habe La Vecchia lediglich zugesichert, dass sein Projekt gemäss Nutzungsplan möglich sei. Eine allfällige Baueingabe müsse aber natürlich im Detail studiert werden und habe den Bauvorschriften zu entsprechen. Danach habe man von dem Mann nie mehr etwas gehört.

Keine Zeit für Fragen des Beobachters

Nichts gehört hat auch der Beobachter von Nunzio La Vecchia. Auf Anfrage teilte seine Presseagentur mit, dieser sei «gänzlich von den Vorbereitungen der Quant-Fahrzeuge zur Präsentation auf dem Genfer Automobilsalon vereinnahmt» und stehe daher für ein Interview nicht zur Verfügung. Schriftlich eingereichte Fragen blieben ohne Antwort. Stattdessen trafen auf der Redaktion umgehend Schreiben von zwei Anwälten ein, die im Fall einer Veröffentlichung des Artikels mit Konsequenzen drohten.

Anwälte wird La Vecchia auch weiterhin beschäftigen, denn mittlerweile hat er im Tessin gewichtige Probleme am Hals. Die Tochter und Erbin seiner 2011 verstorbenen grosszügigen Nachbarin liess sich durch das eingestellte Strafverfahren nämlich nicht beirren und erreichte in einem zivilrechtlichen Verfahren eine Verurteilung La Vecchias. Dieser gelangte zwar bis ans Bundesgericht, konnte das Unheil aber nicht mehr abwenden: Im März 2014 wurde er zur Rückzahlung der 39 Millionen Franken samt Zinsen verdonnert – und musste sich im Urteil wenig Schmeichelhaftes anhören: La Vecchia, der die reiche Witwe mit Hinweisen auf seine «Alpha-Solarzelle» zur Investition verleitet hatte, habe in Wahrheit «nicht eine hochwirksame Solarzelle, sondern die Geschichte von einer hochwirksamen Solarzelle erfunden, um daraus Kapital zu schlagen», zitierte das Bundesgericht die Vorinstanz. Entsprechend habe der Beklagte auch nie vorgehabt, seine angebliche Erfindung zu kommerzialisieren und Solarzellenfabriken zu bauen. Stattdessen habe er das von der Klägerin erhaltene Geld für den Erwerb von Luxusgütern verbraucht.

Mittlerweile sind La Vecchias Schulden bei der Frau mit Zinsen von 39 auf stolze 68 Millionen Franken gewachsen. Seine sämtlichen sieben Liegenschaften in Ascona sind gepfändet, und seine geliebte PC-7 steht in einem Hangar in Luzern, ebenfalls gepfändet. Liegenschaften und Flugzeug werden irgendwann versteigert werden – und die Zukunft von «Quant City» steht in den Sternen.