Viele mit einer E-Mail-Adresse haben eines gemeinsam: diesen entfernten Verwandten, der ein unverschämt erfolgreicher Diamantenhändler oder Öl-Magnat war, jetzt aber leider verstorben ist. Sein Vermögen suche nun neue, diskrete Besitzer. Um es vorwegzunehmen: Der Spam-Ordner taugt nicht zur Ahnenforschung.

Mit seinem leicht aus der Mode gefallenen Vornamen gerät Gotthard Diethelm regelmässig ins Visier von Ganoven. Beim jüngsten Versuch gingen die Betrüger derart professionell vor, dass auch der 79-Jährige kurz zögerte: Was, wenn es Arthur Diethelm, der bis zu seinem Unfalltod vor acht Jahren für die «Aberdeen Oil and Gas Exploration & Production Company» gearbeitet haben soll, tatsächlich gegeben hat?

Das Schreiben kam per Post aus Portugal, den Briefkopf ziert das Logo einer Anwaltskanzlei, die man im Internet problemlos finden kann. Inklusive physischer Adresse im Westen Londons. In fast fehlerfreiem Deutsch schreibt ein Michel Paulin, dass Arthur eine Lebensversicherung über knapp acht Millionen Euro abgeschlossen hatte. Viel Geld, das nun an den Staat zu gehen drohe – denn sämtliche Bemühungen, Verwandte zu finden, seien gescheitert. Paulins Vorschlag: Man teilt sich 90 Prozent der Summe – und der Rest geht an eine Wohltätigkeitsorganisation.

Auf der Suche nach Michel Paulin

Die Polizei rät bei solcher Post zu zwei Dingen: den Kamin damit anheizen. Oder Meldung auf dem nächsten Posten machen.

Gotthard Diethelm leitete den Brief an den Beobachter weiter – und der machte sich auf die Suche nach Michel Paulin. Auf der Website der Londoner Kanzlei «Multiesteem Wills and Estate Law» steht, Paulin und seine zwei Compagnons seien seit 1983 im Geschäft. Registriert wurde die Homepage aber erst vor kurzem. Es gibt weder Social-Media-Profile noch Verbandsnachrichten, in denen die angeblichen Anwälte auftauchen. Nur eine zweite Homepage spuckt die Suchmaschine aus: die Kanzlei «County Wills & Pitch» – dieselben Leute, offensichtlich im gleichen Business unterwegs.

«County Wills & Pitch» hat ihre Büros im englischen Derby. Registriert hat die Homepage aber ein Jerome Kristable von der «Wornika Corporation» mit Sitz in Australien. Googelt man dessen Namen, führt das erste Suchresultat auf eine Seite mit dem Titel: «Beware of Scammers!» – Hüten Sie sich vor Betrügern!

Auf eine Mail des Beobachters antwortet Michel Paulin. Onkel Arthur ist nun plötzlich schon vor zehn Jahren gestorben. Statt in der Öl- und Gasindustrie war er im Edelsteinhandel tätig. Als Anhang schickt Paulin eine Fotokopie seines kanadischen Passes, den er auf der Website Gotempl.com gefälscht hat. Palin will jetzt unseren vollen Namen, die Adresse, eine Bankverbindung. Es ist Zeit, den Mailverkehr abzubrechen. Dazu rät auch die Polizei: solche Mails in den Mülleimer, Briefe ins Altpapier.

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Peter Aeschlimann, Redaktor
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