Als Turbo kann man die juristische Aufarbeitung des VW-Abgasskandals in der Schweiz nicht bezeichnen. Im Vergleich zu den USA, wo der Konzern unter dem Druck der dort möglichen Sammelklagen relativ zügig in Strafzahlungen und Entschädigungen einwilligte, gilt hier eher Tempo 30. Auch damit kann man vorankommen – solange nicht die Verjährung zuschlägt.

Seit September ruft die Bundesanwaltschaft in Bern Dieselkäufer auf, sich an einem Strafverfahren gegen Volkswagen und den Importeur Amag zu beteiligen. Dazu hat sie einen Online-Fragebogen publiziert, mit dem die 175'000 Betroffenen bis zum 11. Oktober ihre Daten übermitteln können. Die Behörde erklärt dazu, sie müsse laut Strafprozessordnung Geschädigte darauf hinweisen, dass sie sich als Kläger beteiligen könnten. Das klingt nach Pflichtübung.

Anwalt macht Druck auf Behörde

Ursprünglich wollte die Bundesanwaltschaft nicht selbst ermitteln, sondern alle Klagen nach Deutschland weiterreichen. Betroffene wehrten sich dagegen, so dass das Bundesstrafgericht Ende 2016 die Behörde anwies, ein Verfahren zu eröffnen. Letztes Frühjahr, also rund zweieinhalb Jahre später, beschwerte sich ein Genfer Anwalt, der 500 Betroffene vertritt, über die «Verzögerungen in einem Fall von nationaler Bedeutung». Er wies darauf hin, dass die vorgeworfenen Straftaten eine Verjährungsfrist von sieben Jahren hätten – für einige Autos sei diese Frist wahrscheinlich schon vorbei. Die Bundesanwaltschaft verteidigte sich damit, dass der Fall einzigartig sei und man eine Datenmenge analysiert habe, die 1,8 Millionen Dokumenten entspreche.

«Je mehr Teilnehmer, umso wichtiger wird die Sache.»

Ivo Meli, Stiftung für Konsumentenschutz


Die Stiftung für Konsumentenschutz SKS begrüsst den Aufruf der Bundesanwaltschaft, kritisiert aber, dass er erst vier Jahre nach Bekanntwerden des Skandals kommt. Sie empfiehlt dennoch, sich am Verfahren zu beteiligen – und zwar auch den 6000 Dieselbesitzern, die bereits mit der SKS vor dem Handelsgericht Zürich auf Schadenersatz Abgasskandal Tausende klagen gegen VW und Amag klagen. «Je mehr Teilnehmer, umso wichtiger wird die Sache», schreibt die SKS. Auch denen, die sich bisher keinem Verfahren angeschlossen haben, empfiehlt sie, das Formular der Bundesanwaltschaft auszufüllen. So gebe es «noch eine gewisse Chance, zu einer finanziellen Entschädigung zu gelangen». Wobei es hier allerdings nicht direkt um Schadenersatz, sondern nur um die mögliche Strafbarkeit des Verhaltens von VW und Amag geht.

Die eigene, bereits Ende 2017 eingereichte Schadenersatzklage der SKS kommt weiterhin nicht voran. Das Handelsgericht Zürich, so die SKS, beurteile vorerst formelle Fragen Diesel-Klage abgewiesen «Die Konsumenten sind jetzt wehrlos» und ob der Konsumentenschutzes überhaupt klagen darf. Erst wenn das abschliessend, also vermutlich vom Bundesgericht, geklärt sei, gehe es um Schadenersatz. Das Handelsgericht habe mitgeteilt, dass mit seinem allerersten Urteil nicht vor 2020 zu rechnen sei. Bis endgültig klar ist, ob VW-Geschädigte auch in der Schweiz Geld erhalten, dürfte es laut den Konsumentenschützern noch Jahre dauern.

 

Prozess mit 470'000 Klägern

In Deutschland ist die Justiz schon etwas weiter: Ende September 2019 hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig Anklage gegen VW-Chef Herbert Diess, Ex-Chef Martin Winterkorn und den Chef des Aufsichtsrats, Hans Dieter Pötsch, erhoben. Sie sollen die VW-Aktionäre monatelang über die Trickser-Software, die Abgaswerte im Prüfverfahren manipulierte, im Dunkeln gelassen haben. Nachdem im September 2015 eine US-Behörde den Skandal publik gemacht hatte, verlor die VW-Aktie stark an Wert – das regte Anleger auf.

Ausserdem wird seit dieser Woche vor dem Oberlandesgericht Braunschweig über eine sogenannte Musterfeststellungsklage verhandelt. Die deutschen Verbraucherzentralen vertreten dabei rund 470'000 Dieselbesitzer. Sie wollen gerichtlich klären lassen, ob VW unrechtmässig vorgegangen ist und Kunden geschädigt hat, da nach dem Abgasskandal ihre Autos weniger wert gewesen seien. Der Konzern bestreitet hingegen, dass überhaupt ein Schaden entstanden ist. In dem Braunschweiger Verfahren geht es also grundsätzlich darum festzustellen, ob VW unrechtmässig gehandelt hat – und nicht um konkreten Schadenersatz. Den müssten die Betroffenen anschliessend in eigenen Prozessen erstreiten.

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Matthias Pflume, Leiter Extras
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