Jugendliche werden in der Schweiz zu wenig vor Drogen- und Substanzkonsum geschützt. Das hält die Stiftung Sucht Schweiz in ihrem neusten Bericht fest.

Die wichtigsten Ergebnisse: E-Zigaretten führen nicht dazu, dass weniger Jugendliche rauchen – sondern es entsteht eine neue Gruppe von jugendlichen Nikotinkonsumierenden. Der tägliche Alkoholkonsum geht zwar in der Gesamtbevölkerung weiterhin zurück, das Rauschtrinken aber nicht. Der Konsum von Kokain nimmt zu, ebenso der Anteil von online spielenden Personen mit problematischem Glücks- und Geldspielverhalten. 

Für Sucht Schweiz ist klar: Informationsvermittlung genügt nicht als Prävention in der Schule und kann je nach Thema und Alter sogar kontraproduktiv wirken. Wieso, erklärt Dörte Petit, Präventionsspezialistin von Sucht Schweiz, im Interview.

Frau Petit, Sie sagen, dass Aufklärung in der Schule kontraproduktiv sein kann. Das klingt unlogisch.
Ja, tatsächlich würde man intuitiv etwas anderes annehmen. Grundsätzlich kann man sagen, dass Wissen und Information allein nicht vor Konsum schützen und nicht präventiv wirken. Was Drogen sind und wie sie wirken, ist vielen bekannt – die meisten kennen die Gefahren und konsumieren trotzdem. Andere Einflüsse sind wichtiger: normative Wahrnehmung, Konsum im Freundeskreis, strukturelle Begebenheiten wie Marketing, ständige Verfügbarkeit oder tiefe Preise. Für Jugendliche ist vor allem wichtig, was sie denken, wie viel um sie herum konsumiert wird. Eine reine Infoveranstaltung kann diese Wahrnehmung beeinflussen und verfälschen. 

Wie denn?
Bei einer reinen Infoveranstaltung mit anschliessender Diskussion können die Schülerinnen und Schüler den Eindruck bekommen, dass sie die Einzigen sind, die keine Substanzen nehmen. Das kann dazu führen, dass sie das eher ausprobieren wollen. 

Was würde denn besser funktionieren?
Programme, bei denen wissenschaftlich belegt ist, dass sie wirksam sind, dauern länger als eine anderthalbstündige Veranstaltung. Sie bestehen aus mehreren Modulen, die regelmässig über einen längeren Zeitraum verteilt stattfinden. Sie sind interaktiv. Natürlich werden die wichtigen Informationen auch vermittelt, aber es geht vor allem darum, Kompetenzen zu erlernen, um schwierige Situationen bewältigen zu können.

Was heisst das genau?
Da geht es um Kommunikation, Durchsetzungsvermögen, Bewältigungsstrategien, Problemlösung. Es geht aber auch generell um ein positives Schulklima und um Regeln. All das hat einen positiven Einfluss auf das Konsumverhalten und auch auf andere Probleme wie Mobbing oder Gewalt. Wir sagen nicht, dass man Informationen über Suchtmittel geheim halten soll. Die Schülerinnen und Schüler müssen Bescheid wissen, und natürlich muss das ein Teil der Prävention sein. Aber eingebettet in ein Programm, das die Lebenskompetenzen stärkt. 

Und das machen die Schulen heute nicht? Mir wurde im Unterricht ein Dokumentarfilm über den Platzspitz gezeigt, aber das ist schon eine Weile her.
Sehr lange wurde auf Informationsvermittlung und Abschreckung gesetzt. Man zeigte dramatische Bilder, wollte Angst machen vor den Konsequenzen. Das bringt nichts und ist sogar kontraproduktiv, das weiss man heute, und das wird eigentlich auch nicht mehr gemacht. Auch wenn es vielleicht der erste Reflex ist, das zu tun. Heute gibt es durchaus kreative und spannende Programme. Bei vielen weiss man einfach nicht, was für einen konkreten Effekt sie auf das Konsumverhalten haben. Man sollte viel mehr davon evaluieren. 

Was können Lehrpersonen und Schulen besser machen?
In den letzten 10 bis 20 Jahren hat sich das Wissen über Prävention enorm verbessert. Das muss man jetzt anwenden. Bei Sucht Schweiz haben wir den Auftrag vom Bundesamt für Gesundheit, genauer anzuschauen, was momentan in den Schulen angeboten wird. Diese Untersuchung läuft noch. Trotzdem lässt sich bereits sagen, dass immer noch viel gemacht wird, wo wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit fehlen oder wo der positive Effekt auf das Konsumverhalten nicht nachgewiesen werden konnte. Für Schulen ist es nicht einfach, aus den vielen Angeboten auszuwählen und zu wissen, worauf sie achten sollen. Deshalb werden wir ab diesem Jahr neu eine spezifische Weiterbildung dazu anbieten, etwa für Schuldirektionen oder Entscheidungsträgerinnen auf kantonaler Ebene.