«Männer verdienen zu viel und liegen zu viel auf dem Boden»
Liliana Bürge war in der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft – und hat eine klare Meinung zu positiven und negativen Entwicklungen dieser Sportart.
Veröffentlicht am 2. Juli 2025 - 06:00 Uhr
«Technisch hätten wir mit den heutigen Spielerinnen mithalten können»: Liliana Bürge
Ihr Telefon bleibt im Moment selten stumm. «Es sind 50 Jahre vergangen, seit ich in der Nati spielte», sagt Liliana Bürge lachend. «Und noch nie war das öffentliche Interesse an meiner Karriere als Fussballerin so gross.»
Liliane Bürge ist 72 und lebt heute in Zürich, wo wir uns im Café Tschingg in die Sonne setzen.
Noch auf dem Platz wurde sie abgeworben
Zum Fussball kam Bürge als Mädchen. Mit einer Freundin tschuttete sie in der Ostschweiz zum Spass an kleinen Grümpelturnieren. Dabei fielen sie «Spähern» aus Ebnat-Kappel SG auf und wurden kurzerhand für den Club rekrutiert. Wenige Monate später spielte Liliana Bürge, inzwischen 19-jährig, gegen den FC St. Gallen. Noch auf dem Platz wurde sie von dessen Funktionären angesprochen – und abgeworben.
So ähnlich war es auch, als sie zwei Jahre später beim SV Seebach landete, dem heutigen FCZ. 1975 kam schliesslich das erste Aufgebot für die Nationalmannschaft.
«Wir waren unsichtbar und verdienten keine Rappen.»
Liliana Bürge, Fussballpionierin
Mit ihrem Job, zunächst als Assistentin, später im HR, liess sich die sportliche Karriere gut vereinbaren. «Glücklicherweise», sagt sie – denn mit dem Fussball hat Liliana Bürge ihr ganzes Leben lang nie etwas verdient. Weder im Trikot der Nationalmannschaft noch als Spielerin bei verschiedenen Topclubs. Und auch nicht als Trainerin des FC Albisrieden, den sie von der dritten bis in die zweithöchste Liga führte. Absolut nichts. Keinen einzigen Franken.
Gruppenbild aus den 1970er-Jahren mit Liliana Bürge in der hinteren Reihe, Mitte
Was aus heutiger Sicht schockierend wirkt, war in den 1970er-Jahren kein Thema. «Wir konnten als Spielerinnen in der obersten Liga froh sein, wenn wir die Ausrüstung umsonst erhielten und nicht noch draufzahlen mussten», erinnert sich Bürge. In der finanziellen Geringschätzung zeigte sich, welchen Stellenwert der Frauenfussball damals hatte. «Wir wurden nicht ernst genommen», sagt sie. Und trotzdem habe sie mit Freude und Leidenschaft gespielt – und sehr gern.
Ihre Mutter sagte, Fussball sei kein Sport für Frauen
Gegründet wurde die Schweizer Frauenfussball-Nationalmannschaft 1970. Fünf Jahre später wurde Liliana Bürge Teil davon. Vorbilder gab es darum noch kaum. Bei vielen Leuten seien die Spielerinnen damals noch fast verpönt gewesen: «Wir mussten uns anhören, dass wir an den Herd gehörten.» Selbst ihre Mutter sei alles andere als begeistert gewesen und habe gemeint, Fussball sei kein Sport für Frauen.
«Zu Hause konnten wir froh sein, wenn wir vor ein paar Hundert Leuten spielten»: Liliana Bürge
Einmal waren sie und die Nati-Captain in die «Arena» im Schweizer Fernsehen eingeladen. Das Wort erhielten sie dort jedoch während der ganzen Sendung kein einziges Mal. Ein ebenfalls anwesender Radfahrer wurde hingegen mehrfach um seine Meinung gebeten. «Wir waren unsichtbar, wir wurden nicht gesehen, nicht gehört», sagt Bürge.
«Noch heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich an die Spiele 1978 in Taiwan denke.»
Liliana Bürge, Fussballpionierin
Dass es auch anders sein konnte, erlebte sie mit dem SV Seebach 1978 in Taiwan beim Weltturnier. Die Zeitungen berichteten dort täglich mit grossen Artikeln und Fotos, 50’000 Zuschauerinnen und Zuschauer besuchten die Spiele. «Noch heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich an die Spiele dort im Stadion denke», sagt Bürge. «Zu Hause konnten wir froh sein, wenn wir vor ein paar Hundert Leuten spielten.»
In den Schweizer Medien fand die Frauen-Nationalmannschaft kaum statt. Wenn in Randnotizen die Namen der Spielerinnen erwähnt wurden, war das bereits Grund zur Freude. «Heute kennen viele Kinder auch die Namen der Schweizer Spielerinnen», sagt Bürge.
«Wir Frauen wollen auf den Beinen bleiben – und weiterspielen»
Liliana Bürge, Fussballpionierin
Für sie ist klar: «Es hat sich viel getan in den letzten 50 Jahren.» Nicht nur, was die Anerkennung, sondern auch, was das Finanzielle betrifft. Trotzdem sei offensichtlich noch viel Luft nach oben – «wenn selbst die besten Fussballerinnen nicht vom Sport leben können, während die Männer Millionen verdienen».
Aber man müsse es wohl sehen wie beim Frauenstimmrecht: «Es hat ewig gedauert, bis uns Frauen die gleichen Kompetenzen zugetraut wurden wie den Männern. Und wir müssen uns darüber klar sein; der professionelle Männerfussball etablierte sich Ende des 19. Jahrhunderts. Der professionelle Frauenfussball hinkt dieser Entwicklung mehr als 100 Jahre hinterher.»
Auch Frauen beherrschen das «Fliegen»
Deshalb gelte es noch immer aufzuholen. Auch in der Förderung der Juniorinnen – und bei den Löhnen.
Über den Männerfussball sagt Liliana Bürge lachend: «Sie verdienen viel zu viel. Und sie liegen viel zu viel auf dem Boden herum.» Es sei ja nicht so, als würden Frauen «das Fliegen» nicht beherrschen. Sie tun es einfach nicht. «Wir Frauen wollen auf den Beinen bleiben – und weiterspielen.»
Zum EM-Halbfinal live ins Stadion
Die Europameisterschaft wird sie natürlich intensiv verfolgen – das Halbfinale in Zürich dann auch live im Stadion. Die Spielerinnen seien heute viel besser trainiert, athletischer, spielten dynamischer. Das beeindruckt Liliana Bürge – auch wenn sie natürlich weiss, woran das liegt. «Sie trainieren auch viel häufiger. Sie haben internationale Trainerinnen, Ernährungspläne und so weiter.» Davon hätten die Spielerinnen vor wenigen Jahrzehnten nicht zu träumen gewagt.
Zudem habe sich ein anderes Selbstverständnis entwickelt – das Auftreten der Spielerinnen sei viel selbstbewusster geworden. Aber rein technisch, glaubt Bürge – «da hätten wir mithalten können».