Die Schweiz ist nicht mehr die wichtigste Drehscheibe für den internationalen Ölhandel. Dubai hat Genf abgelöst. Dies zeigt eine Untersuchung der NGO Public Eye, die russische Zolldaten analysiert hat. In Dubai registrierte Unternehmen exportierten zwischen Januar und Juli 2023 mehr als die Hälfte des Rohöls von den vier wichtigsten russischen Häfen. Schweizer Firmen lediglich 5 Prozent.

Bis Februar 2022 wurden nach Schätzungen von Public Eye noch 50 bis 60 Prozent des russischen Rohöls von der Schweiz aus gehandelt, hauptsächlich über Genf. Im Juni 2022 hat die Schweiz Sanktionen über Russland verhängt und per Dezember 2022 einen Preisdeckel von 60 US-Dollar für ein Barrel Rohöl festgelegt. Ein Barrel entspricht 159 Litern und ist die gebräuchliche Einheit für Rohöl. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben diese Sanktionen nicht übernommen. Deshalb haben mehrere Unternehmen, die bisher von Genf aus operierten, ihre Präsenz in der Hauptstadt der Emirate verstärkt oder dort eine neue Gesellschaft gegründet.

Für die Durchsetzung von Sanktionen ist das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zuständig. Es erklärt, dass rechtlich selbständige ausländische Tochtergesellschaften von Schweizer Unternehmen grundsätzlich nicht der Schweizer Gesetzgebung und damit auch nicht den Sanktionsmassnahmen des Bundesrats unterliegen.

Die Schweizer Tochterfirmen agieren in einer Grauzone

Gerade das kritisiert Public Eye. «Ab wann eine Tochterfirma rechtlich selbständig agiert, ist nicht definiert. Diese Unklarheit schafft eine Grauzone», sagt Mediensprecher Oliver Classen.

Anders im europäischen Ausland. EU-Bürgerinnen oder Tochterfirmen von Unternehmen mit Sitz in der EU müssten sich auch an die Sanktionen halten, wenn sie sich nicht in der EU befinden. «Schweizer Staatsangehörige, die in Dubai arbeiten, können sich hingegen um die Schweizer Gesetzgebung foutieren», sagt Classen. «Das nagt an der politischen Glaubwürdigkeit der Schweiz.»

Dadurch würden auch die westlichen Sanktionen gegen Russland geschwächt. Russland könne sie faktisch einfach via Dubai umgehen – möglicherweise mit Schweizer Beihilfe. «Aber an der Attraktivität der Schweiz für den Rohstoffhandel ändert das nichts», sagt Classen. Nur ein Teilgeschäft werde ausgelagert. Genf als internationale Drehscheibe für den Rohstoffhandel bleibe stabil.

Public Eye fordert, dass das Seco diese Spielräume im Sanktionsregime schnellstmöglich klärt. Auch die Politik erkennt zunehmend, dass die Schweiz ein Problem hat. Die aussenpolitische Kommission des Nationalrats forderte im Juni in einem Postulat, dass der Bundesrat analysiert, «inwieweit die Sanktionen gegen Russland im Rohstoffsektor derzeit eingehalten werden und wo noch Mängel bestehen». Der Bericht steht noch aus.