Beobachter: Vincent Ducrot, das Image der SBB hat stark gelitten. Wie sehr schmerzt das einen alten Bähnler wie Sie?
Vincent Ducrot: Das ist schwer für mich, ganz klar. Werte wie Pünktlichkeit, Qualität, Sicherheit sind mir sehr wichtig. Wenn sie nicht mehr stimmen, ist das schlecht. Letztes Jahr ist uns aber eine klare Verbesserung gelungen, das macht mich stolz. Wir waren pünktlicher, es gab weniger Unfälle, auch die Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden und des Personals hat sich erhöht. Klar hat uns geholfen, dass wir weniger Betrieb hatten. Aber wir sind auf dem richtigen Weg und werden da weitermachen.


Was tun Sie, damit die Leute sich in der Bahn wieder sicher fühlen?
Wir reinigen die Züge gründlich, sorgen über die Klimaanlagen für eine gute Durchlüftung und achten darauf, dass die Maskenpflicht eingehalten wird. Den Verlauf der Pandemie können wir aber nicht beeinflussen. Wir können nur hoffen, dass mehr geimpft wird, dass man mehr testet und so das Ansteckungsrisiko sinkt.


Was passiert, wenn die verlorenen Passagiere nicht zurückkommen?
Ich bin überzeugt: Sobald die Homeoffice-Pflicht aufgehoben ist, Kinos und Restaurants wieder öffnen, werden die Leute in den ÖV zurückkehren.

«Angebot und Preise bleiben gleich. Auch Entlassungen wird es keine geben.»

Vincent Ducrot, SBB-Chef

Aber viele haben sich jetzt an ein Leben ohne ÖV gewöhnt.
Ja, zwangsweise. Aber die Menschen wollen sich bewegen, wollen mobil sein. Ob für den Weg zur Arbeit, für den Ausgang, für Besuche bei Freunden. Und die Bahn ist die bequemste, sicherste, schnellste, umweltfreundlichste Art zu reisen. Sobald die Leute wieder mehr unterwegs sind, wird es auf den Strassen auch wieder mehr Staus geben.


Dann werden die SBB also nur kurzfristig zusätzliche Steuergelder benötigen?
Wir rechnen nicht damit, dass wir langfristig mehr öffentliche Gelder brauchen. Unsere Planung geht davon aus, dass wir 2022 bei den Passagierzahlen wieder 90 Prozent des Vor-Krisen-Niveaus erreichen und schwarze Zahlen schreiben werden. Und 2024 oder 2025, glauben wir, werden die Passagierzahlen wieder dieselben sein wie 2019.


Das heisst?
Beim Regionalverkehr übernimmt die öffentliche Hand die Verluste, weil er nicht kostendeckend betrieben werden kann. In den nächsten drei, vier Jahren werden Bund und Kantone deshalb wohl höhere Abgeltungen leisten müssen. Im Fernverkehr, den wir eigenwirtschaftlich betreiben, stemmen wir die Verluste selbst. Wir brauchen nur Liquidität. Die gibt uns der Bund. Dadurch steigen unsere Schulden, die wir aber wieder reduzieren können werden.


Die SBB sparen. Werden das die Kundinnen spüren?
Nein, Angebot und Preise bleiben gleich. Auch Entlassungen wird es keine geben. Wir sparen, indem wir die Effizienz verbessern, Lohnerhöhungen aussetzen, in der Verwaltung gerade niemanden einstellen. Nicht notwendige Projekte haben wir verschoben oder gestrichen. So haben wir bereits rund 250 Millionen Franken eingespart.


Planen Sie auch neue Angebote, um die Kunden zurückzugewinnen?
Wir haben in der Branche verschiedene Ideen, wollen aber zuerst schauen, wie sich die Situation entwickelt. Wir können schnell handeln. Es wäre aber verfrüht, bereits jetzt neue Produkte auf den Markt zu bringen.

«Am ­Wochenende soll es einen anderen Fahrplan geben als unter der Woche.»

Vincent Ducrot, SBB-Chef

Viele wünschen sich ein Homeoffice-GA. Sie aber sagen, das würde die Bahn kannibalisieren.
Die Branche kann nur Abos anbieten, die sich rechnen. Schauen wir zuerst die Entwicklung an. Wer drei-, viermal die Woche ins Büro fährt, für den ist das GA immer noch super. Für die anderen werden wir neue Lösungen ausdenken.


Ihr Problem sind aber nicht die Pendler. Wie wollen Sie endlich mehr Menschen in der Freizeit in die Bahn bringen?
Wir müssen flexibler werden mit unseren Angeboten. Damit haben wir bereits begonnen. Zum Beispiel planen wir mehr direkte Verbindungen von den Zentren in die Freizeitregionen. Am Wochenende soll es einen anderen Fahrplan geben als unter der Woche. Wo wir das heute schon machen, haben wir grossen Erfolg.


In den letzten Jahren hat sich der Verkehr nicht mehr von der Strasse auf die Schiene verlagert. Sehen Sie Anzeichen, dass sich das ändern wird?
Durchaus. Die Städte akzeptieren es nicht mehr, dass der Autoverkehr zunimmt. Parkplätze werden abgebaut, Strassen beruhigt, der Autoverkehr wird generell eingeschränkt. Das wird automatisch zu einer Verlagerung aufs Velo und auf den ÖV führen. Auch aus ökologischen Gründen ist es ein klarer politischer Auftrag, dafür die passenden Angebote zu schaffen.

«Bis Ende Jahr werden wir das Ziel erreicht haben: ­Genügend Lokführer, dass sofort ein ­Ersatz bereitsteht, wenn jemand ausfällt.»

Vincent Ducrot, SBB-Chef

Wenn das Angebot steigt, wird der ÖV dann noch teurer?
Nein. Ich hoffe nicht, dass das nötig wird, und wir werden alles tun, um das zu verhindern. Wir haben keine Inflation, die Löhne stagnieren, die Gesundheitskosten steigen – da darf der ÖV nicht auch noch teurer werden.


Mehr Angebot, gleicher Preis – geht das?
Bis es zum Ausbau auf den Viertelstundentakt im Fernverkehr kommt, geht es ja noch eine Weile. Der ist erst für 2035 vorgesehen. Bis dahin sehe ich viele Möglichkeiten, die Effizienz unseres Betriebs zu steigern und Kosten zu senken. Zum Beispiel bei den Fahrzeugen, den Baustellen, beim Ticketing. Zudem: Wenn es uns gelingt, die Auslastung unserer Züge zu erhöhen, müssen die Preise nicht steigen. Da können wir noch viel machen: Sparbillette zum Beispiel reduzieren die Preise, bringen uns aber mehr Kundschaft und somit mehr Einnahmen.


Sind solche Sparangebote auch regional denkbar?
Ja, durchaus, aber der Ball liegt hier nicht bei uns, sondern das müssen die Verkehrsverbünde entscheiden. Es gibt Verbünde, die damit beginnen. Ein solcher flexibler Ansatz eines Mobility-Preis-Systems kann aber nur regional funktionieren, weil die Bedürfnisse in Zürich anders sind als im Wallis.


Können Sie versprechen, dass künftig keine Züge mehr ausfallen, weil es an Lokführerinnen fehlt?
Ja, dieses Problem ist gelöst. Wir haben im vergangenen Jahr sehr viel neues Personal ausgebildet, jeden Monat schliessen Klassen ab. Bis Ende Jahr werden wir das Ziel erreicht haben: Genügend Lokführer, dass sofort ein Ersatz bereitsteht, wenn jemand ausfällt. Auch die Überstunden aus den letzten Jahren werden wir abbauen können. Wir werden auch wieder mehr Zugbegleiter ausbilden.

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Raphael Brunner, Redaktor
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