Werktäglich grüsst der Stau am Bareggtunnel – doch der grösste Stauverursacher ist nicht, wie viele vermuten, der Berufs-, sondern der Freizeitverkehr. Etwas mehr als ein Drittel der Staustunden geht darauf zurück. Das sind über 10'600 Stunden im Jahr 2021, zeigt eine Auswertung des Bundesamts für Strassen.

Auf den typischen Ausflugsstrecken lagen die Staustunden im vergangenen Jahr sogar über dem Vor-Corona-Niveau. Besonders betroffen sind die A2 (am Gotthard), die A13 (am San Bernardino) und die A8 (am Brünig). Der öffentliche Verkehr müsse stärker versuchen, die Freizeitreisenden abzuholen, fordert deshalb die Politik. Im Freizeitverkehr ist der Marktanteil der Bahn nicht einmal halb so hoch wie bei den Berufspendlerinnen und -pendlern.

Wie gerufen kam da das Versprechen von SBB-Chef Vincent Ducrot, der vor rund einem Jahr im Beobachter-Interview SBB-Chef Vincent Ducrot «Der ÖV darf nicht auch noch teurer werden» «mehr direkte Verbindungen von den Zentren in die Freizeitregionen» versprach. Und der CEO der Bundesbahnen kündigte an: «Am Wochenende soll es einen anderen Fahrplan geben als unter der Woche. Wo wir das heute schon machen, haben wir grossen Erfolg.»

Das war im April 2021. Vor kurzem haben die SBB detailliert veröffentlicht, wie der Fahrplan ab Dezember 2022 aussehen soll, und ein Blick darauf zeigt: Punkto Freizeitverkehr ändert sich nur sehr, sehr wenig – von einem «anderen Fahrplan am Wochenende» kann keine Rede sein.

Jedes Jahr ein bisschen

Konkret gibt es ab Fahrplanwechsel im Dezember 2022 am Samstag und am Sonntag neu zwei direkte Intercity-Verbindungen von Genf über Bern und Zürich nach Chur – bisher mussten die Reisenden dafür in Zürich umsteigen. Ausserdem gibt es einzelne neue Intercity-Züge am Freitagnachmittag von Zürich nach Lugano und am Sonntagnachmittag in der Gegenrichtung. Das ist alles.

Hat Ducrot den Mund zu voll genommen? Die Bahn wolle den bewährten Taktfahrplan «künftig flexibler gestalten als heute», sagt SBB-Sprecherin Jeannine Egi, entsprechende Angebote «wollen wir bis 2030 schrittweise ausbauen». Schrittweise heisst: jedes Jahr ein ganz kleines bisschen.

Ohnehin ist offen, ob das Potenzial so hoch ist, wie sich die Bahn erhofft. Sicher sind möglichst umsteigefreie Verbindungen die Basis, um überhaupt Kundinnen und Kunden gewinnen zu können. Doch auch mit einem Intercity von Genf nach Chur sind die Romands noch lange nicht auf der Laaxer Skipiste und die Berner Wanderfreunde auch noch nicht auf dem Wanderweg in der Surselva. Umsteigen auf den Bus oder den Lokalzug sowie das Gepäckschleppen verleiden manchen ÖV-affinen Leuten den Ausflug. Ganz zu schweigen vom Malaise mit den Veloplätzen.

Dass die SBB neuerdings in IC-Zügen die Reservationspflicht eingeführt haben, verringert die Attraktivität im Ausflugsverkehr zusätzlich: Wer weiss schon vor Beginn der Velotour, ob es am Ende auf den Zug um 16.28 Uhr oder doch erst auf jenen um 17.28 Uhr reicht?

Kreative Freizeit-ÖV-Angebote bei BLS, SOB und ZVV

Dass es nicht allein auf den Fahrplan ankommt, belegen die erfolgreichen Angebote von kleineren Anbietern. Eine Auswahl kreativer Ideen im Freizeitverkehr: 

  • Dass viele Leute mit einem preislich attraktiven Freizeitangebot angelockt werden können, zeigt der Seepass, eine Art Generalabo für den Thuner- und den Brienzersee. Zwei Erwachsene und vier Kinder geniessen für 249 Franken ein Jahr lang freie Fahrt in der 1. Klasse auf den Schiffen, für Einzelpersonen sind es 129 Franken. Mindestens 1000 Stück wollte die BLS verkaufen, 7500 sind es schliesslich geworden. (Anm. d. Red.: Der Vorverkauf des Seepasses ist inzwischen beendet, weitere Bestellungen sind nicht mehr möglich.) 
     
  • Die Südostbahn (SOB) vermarktet ganz gezielt Freizeitaktivitäten entlang ihrer Strecken in Kombination mit dem Bahnticket, etwa Rabatte auf Museumseintritten, auf Velomiete oder Bierdegustationen. Die SOB betreibt drei Interregio-Strecken (Treno Gottardo Basel/Luzern/Zürich–alte Gotthardstrecke–Locarno; Aare Linth–Bern–Burgdorf–Zürich–Chur sowie Voralpen-Express Luzern–Rapperswil–St. Gallen).
     
  • Seit Jahren ein Erfolg ist der 9-Uhr-Pass des Zürcher Verkehrsverbunds (ZVV): ein vergünstigtes Tagesticket, das erst nach der morgendlichen Rushhour gültig ist. Analoge Angebote gibt es auch in anderen regionalen Verkehrsverbünden. 
     
  • Und schliesslich günstig, aber witzig: Die Appenzeller Bahnen versteckten über das Osterwochenende Osterhasen in ihren Zügen – und lockten damit Familien zu einer Zugfahrt an.

Ab über die Grenze: Das deutsche 9-Euro-Ticket können auch Schweizer kaufen

Gedacht ist es als Kompensation für die Deutschen für das teurer gewordene Benzin. Doch auch Schweizer Ausflügler können vom deutschen 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Regionalverkehr profitieren. Das muss man dazu wissen:

  • Das Ticket kostet 9 Euro für einen Kalendermonat, erhältlich für Juni, Juli und August 2022. Kinder unter 6 Jahren reisen gratis, Kinder ab 6 Jahren brauchen ein eigenes 9-Euro-Ticket. Für Velos und für Hunde braucht es ein normales Ticket nach den sonstigen Tarifregeln.
     
  • Das Ticket gilt in ganz Deutschland, aber nur in Interregional-, Regional- und S-Bahn-Zügen sowie zum Teil in Bussen; nicht gültig ist es in IC-, EC- und ICE-Zügen. In der Fahrplan-Suchmaske klickt man dafür an, dass nur Nahverkehrsverbindungen angezeigt werden sollen. Eine für Schweizer Ausflügler wichtige Ausnahme: In den IC-Zügen Zürich–Singen–Stuttgart ist das 9-Euro-Ticket gültig.
     
  • Kaufen kann man es auch aus der Schweiz, indem man die 9-Euro-Ticket-App der Deutschen Bahn (DB) aufs Smartphone lädt; oder über den Onlineshop der DB oder am DB-Automaten an den Grenzbahnhöfen in Basel oder Schaffhausen. Im Zug selber ist es nicht erhältlich.
     
  • Das Ticket ist persönlich; man sollte die ID oder den Pass dabeihaben.
     
  • Im deutschen ÖV gilt weiterhin die Maskenpflicht.
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Martin Müller, Redaktor
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