Im Juli verunfallten im Aargau innerhalb weniger Tage drei Personen. Sie alle waren hinter dem Steuer kurz eingenickt. Die «Aargauer Zeitung» titelte: «Unfallserie wegen Sekundenschlaf». Eine Schlagzeile, die Felix Hegg, Bruno Eigenmann und Gian Dogwiler nicht mehr lesen wollen. Die 18-Jährigen haben die App Awaker entwickelt. Sie soll Fahrzeuglenker warnen, wenn der Schlaf sie überkommt.

Müdigkeit spielt bei etwa 10 Prozent der schweren Unfälle eine Rolle. Bei einer Befragung in 19 europäischen Ländern gaben 17 Prozent der Teilnehmer an, dass sie in den letzten zwei Jahren mindestens einmal am Steuer eingenickt sind. Müdigkeit habe in den frühen Morgenstunden einen hohen Anteil am Unfallgeschehen, sagt Mara Zenhäusern von der Beratungsstelle für Unfallverhütung. «Die meisten Müdigkeitsunfälle ereignen sich aber bei Tageslicht.»

Gas gegeben während des Lockdowns

Die Idee für Awaker kam Felix Hegg in Kalifornien. Auf einer «Wirtschaftsexpedition» durch das Silicon Valley vor einem Jahr atmete er erstmals Start-up-Luft. Als der Kantischüler aus Baden dann vor dem Tesla-Hauptsitz in Palo Alto stand, wusste er: «Das will ich auch!» Schnell waren Mitstreiter und ein Thema für die Maturarbeit gefunden: das Gründen einer Firma und die Entwicklung einer App.

Zuerst machten sie sich an die Recherche. Was sie herausfanden, schockierte sie. «In einer US-Studie gab jeder Vierte an, bereits einmal hinter dem Steuer eingeschlafen zu sein. Das ist doch Wahnsinn!», erzählt Gian Dogwiler. Es gebe zwar Lösungsansätze, aber definitiv noch keine Lösung. Also habe man sich gedacht: «Wenn die App im richtigen Moment Alarm schlägt, wir also ein Leben retten können, dann hat sich das Ganze für uns bereits gelohnt.»

Der Lockdown kam den drei Gründern entgegen. Sie hatten Zeit, um sich Fragen zu widmen wie: Wie funktioniert die App in der Nacht? Was ist mit Brillenträgern? Bruno Eigenmann rackerte sich durch 300 Stunden Videotutorials, um sich Programmieren beizubringen. Am Schluss waren 50'000 Zeilen Code geschrieben. Würde man sie in Schriftgrösse 12 drucken, ist der Code so lang wie die Distanz von Fuss bis Gipfel des Mount Everest.

Die Software von Awaker beruht auf einem neuronalen Netz, einer Art künstlicher Intelligenz. Basis, damit das Handy den Sekundenschlaf erkennt, waren eine halbe Million Datensätze. Videoclips von Gesichtern mit geschlossenen und geöffneten Augen. Um an diese Daten zu kommen, programmierten sie eine App, die sie ihrer Familie und in ihrem Umfeld zur Verfügung stellten. Die Filmchen fütterten sie ihrer Software, bis diese zuverlässig die Wahrscheinlichkeit berechnen konnte, ob jemand dabei ist, einzuschlafen.

Eine Anwältin half bei Patentfragen Geschäftsidee Diese Idee klaut mir keiner! und beim Verfassen der Nutzungsbestimmungen. Wirtschaftslehrer Stephan Keiser gab Tipps für die Firmengründung und fürs Marketing. Jetzt kommt die App auf den Markt. Im Auto steckt man das Handy in eine Halterung an der Lüftung, die Kamera filmt den Lenker. Schliesst er die Augen zu lange, ertönt ein schrilles Alarmzeichen.

Vorschrift in der EU

Unterstützung gibt es für die drei Gründer von der Beratungsstelle für Unfallverhütung. Sprecherin Zenhäusern sagt: «Müdigkeitswarner erachten wir grundsätzlich als eine sehr empfehlenswerte Massnahme zur Reduktion von Müdigkeitsunfällen.» Ab Mitte 2022 müssten alle neuen Motorfahrzeuge, die auf den EU-Markt gelangen, über ein System zur Fahrer-Müdigkeitserkennung und Aufmerksamkeitswarner verfügen.

«Wir wollen keine falschen Versprechungen machen», sagt Felix Hegg. Es werde nie gelingen, dass Awaker für alle und auf allen Handys komplett fehlerfrei funktioniere. Aber: «Wenn wir die App jetzt nicht bringen und ein weiterer vermeidbarer Unfall geschieht, würden wir uns das nicht verzeihen.»

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