Unsere Büros werden mittlerweile nur noch auf 21 Grad geheizt. Aus dem Hahn auf der Toilette fliesst nur noch kaltes Wasser. Das ist natürlich auszuhalten – auch dank der Restwärme von Kopierern und der Kaffeemaschine, denen man noch nicht den Stecker gezogen hat.

Ein ganz anderes Betriebsklima herrscht offenbar im Bundeshaus. Dort legte man in den letzten Wochen ein erstaunliches Energielevel an den Tag: Der Bundesrat rettete die Axpo schneller, als man einen Termin mit dem Heizungsinstallateur vereinbart hat, und bereitete die Bevölkerung schon mal für den Fall einer Strommangellage vor.

Der Ständerat wollte Fotovoltaikanlagen bauen – ohne jede Rücksicht auf den Natur- und Umweltschutz. Der Nationalrat verhinderte das zum Glück. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung muss nun doch durchgeführt werden.

Auch bei den Solaranlagen auf Neubauten fanden die beiden Kammern am Ende noch einen Mittelweg. Die sind nicht für alle obligatorisch, aber immerhin für Dächer ab 300 Quadratmetern.

Der Versuchung widerstanden

Ich reibe mir mit meinen klammen Fingern die Augen. Selten wurden so schnell Kompromisse geschmiedet und auf beiden Seiten Zugeständnisse gemacht wie in der Energiedebatte. Geht doch!, will man dem Parlament zujubeln.

Doch: Die Probleme mit der Stromversorgung und den Abhängigkeiten vom internationalen Energiemarkt haben sich schon länger abgezeichnet. Immerhin hat das Parlament der anfänglichen Versuchung widerstanden, die beschlossenen Massnahmen gleich für dringlich zu erklären. Das hätte bedeutet, dass sie sofort in Kraft getreten wären – ohne Referendumsfrist. Jahrelange Versäumnisse in der Klima- und Energiepolitik wären auf Kosten der direkten Demokratie ausgetragen worden. So weit ist es zum Glück nicht gekommen.

«Solches Notrecht könnte kein Gericht überprüfen. Wie in der Pandemie.»

Katharina Siegrist, Juristin und Redaktorin beim Beobachter

Noch nicht. Denn was passiert, wenn der Strom im Winter tatsächlich knapp wird? Bis dann ist in den Walliser Alpen noch keine einzige Solarzelle verlegt. Mittels Notverordnungen müsste der Bundesrat dann wohl den Strom kontingentieren und eine Innentemperatur von maximal 19 Grad durchsetzen. Solches Notrecht wäre weder durch ein Gericht noch über eine Volksabstimmung überprüfbar. Wie während der Pandemie.

Unter Berufung auf das Notrecht ritzte der Bundesrat damals an unseren Grundrechten und hat dafür von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung enormen Vertrauensvorschuss erfahren. Rückblickend darf man sagen: Es ist mehr oder weniger gut gekommen. Doch wer oder was garantiert, dass es auch in der Energiekrise gut kommt? Oder bei einer anderen Notlage?

Das Herzstück aufgeben?

Garantieren, dass es gut kommt, kann bei uns auch kein Verfassungsgericht. Denn es gibt keins. Deutschland hat eins. Es prüft, ob Regierungserlasse der Verfassung entsprechen – und hebt Entscheide, die dagegen verstossen, notfalls wieder auf. Auch in der Schweiz wird der Ruf nach einem Verfassungsgericht lauter. Doch letztlich kann nur das Herzstück der Demokratie Garant sein für verfassungsmässiges Vorgehen: die Gewaltenteilung.

Und der Bundesrat darf die Gewaltenteilung nur im alleralleräussersten Fall ritzen und zum Notrecht greifen. Damit das nicht nötig wird, müssen aber National- und Ständerat ihre Verantwortung übernehmen und handeln. Sie müssen frühzeitig bestimmen, welche Themen und Massnahmen notwendig und prioritär sind. Dann braucht es keine dringlichen Beschlüsse, sondern es genügen vorausschauende Legislaturziele.

Und es braucht ein Volk, das sein Referendumsrecht auch ernst nimmt und sensibilisiert ist für den Schutz der Grundrechte. Alles, was daran vorbeizielt, ist angreifbar, wie wir während der Pandemie erlebt haben. Und hat das Potenzial, Familie, Freunde und die Gesellschaft zu spalten. Davor habe ich Angst, nicht vor einem kühlen Büro.

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