Das siebte Jahr in Folge keine höheren Ticketpreise für Bahn und Bus. Das verkündete die ÖV-Branche im Herbst mit Stolz. Wenn man die Reise im Zug mit der Fahrt im Auto vergleicht, sieht es allerdings anders aus. Dann ist der ÖV in den letzten Jahren deutlich teurer geworden. Das zeigt eine Berechnung des Preisüberwachers.

Ein Retourbillett kostet heute über 80 Prozent mehr als noch vor 30 Jahren. Mit dem Auto unterwegs zu sein, hat sich in der gleichen Zeit hingegen um nur 30 Prozent verteuert. Die allgemeine Teuerung betrug knapp 40 Prozent (siehe Grafik). ÖV-Tickets haben sich somit klar stärker verteuert als der durchschnittliche Schweizer Warenkorb, die Fahrt im Auto ist im Vergleich dazu sogar günstiger geworden.

Erst mit den höheren Benzinpreisen hat sich die Schere dieses Jahr zum ersten Mal wieder ein kleines bisschen geschlossen. Der Unterschied aber bleibt gross.

80 Prozent mit dem Auto

Stockt deswegen die Verkehrswende? Es ist ein klares Ziel der Schweizer Politik, dass mehr Bahn und weniger Auto gefahren wird. Wegen des Klimaschutzes und weil es auf den Strassen kaum mehr Platz gibt. Bund und Kantone haben in den vergangenen Jahrzehnten Milliarden in den Ausbau des ÖV investiert. Trotzdem steigen die Leute nicht um: Seit über zehn Jahren werden 80 Prozent aller Fahrten mit dem Auto gemacht, nur 20 Prozent mit Bahn und Bus. Seit der Corona-Pandemie sogar noch weniger.

Jetzt, mit den hohen Benzinpreisen, könnte der ÖV attraktiver werden. Doch die ÖV-Branche verschlafe die Gelegenheit, kritisiert der Preisüberwacher. Noch immer gebe es kein schweizweites Angebot für ein Homeoffice-Abo. Wer nur noch zweimal pro Woche mit dem Auto ins Büro fährt, spart Benzin. Das ÖV-Abo aber wird nicht günstiger, wenn man es weniger braucht. Ebenso kritisiert der Preisüberwacher, dass es Spartickets fast nur im Fernverkehr gibt. Dabei hätten Angebote wie das 9-Euro-Ticket in Deutschland gezeigt, dass die Menschen häufiger Bahn fahren, wenn es unkompliziert und günstig ist.

Muss die Politik aktiv werden? Der Preisüberwacher findet: ja.

Noch höhere Preise befürchtet

Der oberste ÖV-Politiker im Land aber winkt ab. «Wir können die ÖV-Preise nicht generell senken», sagt Mitte-Nationalrat Martin Candinas. Er ist Präsident von Litra, der Interessenvereinigung für den öffentlichen Verkehr in der Schweiz. Bereits heute kämen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die Hälfte jedes S-Bahn-, Tram- und Bus-Tickets auf. Die Empfehlung des Bundesrats, in der Pandemie den ÖV zu meiden, habe riesige Löcher in die Kassen der SBB gerissen. Das Ziel könne nur sein, dass die Tickets nicht teurer würden. «Bei den steigenden Energiepreisen wird das schwierig genug.» Einzig für Junge hält er allfällige Vergünstigungen zumindest für möglich.

Der ÖV sei nicht teuer, wehrt sich Candinas gegen die Kritik des Preisüberwachers. Gratis-ÖV – wie ihn manche Klimaschützerinnen und Klimaschützer fordern – findet er falsch. «Mobilität muss einen Preis haben, sie kostet schliesslich auch.» Auch er wünscht sich aber, dass es bald neue Abo-Angebote gibt. Sie kämen, das brauche aber Zeit.

Tatsächlich hat die ÖV-Branche im Herbst ein Abo mit Guthaben angekündigt, mit dem man während zwölf Monaten Einzeltickets günstiger kaufen kann. Eingeführt wird es aber erst Ende 2023. «Es stimmt, dass die ÖV-Branche jetzt von der Ankündigung langsam in die Praxis umschalten muss», übt Candinas leise Kritik.

Günstigere Tickets für Geringverdienende?

Aber reicht das, um die Menschen zum Umstieg zu bewegen? Der Verein Umverkehr arbeitet seit Jahren auf dieses Ziel hin: «Es genügt nicht, nur beim ÖV anzusetzen», sagt Geschäftsleiter Silas Hobi. Für den Klimaschutz und lebenswerte Städte und Dörfer komme man nicht um weniger Autoverkehr herum. Ihn in die Schranken zu weisen, sei legitim. Etwa indem man Parkplätze abbaue und keine neuen Strassen baue.

Der ÖV müsse dann eine Alternative bieten – und zwar eine, die für alle erschwinglich sei. «Wir müssen ihn nicht für alle gratis machen, aber es sollte Vergünstigungen für Leute mit wenig Geld geben. Wie mit der Kulturlegi.»

Bundesrat muss liefern

Kurzfristige Neuerungen sind von der Politik nicht zu erwarten. Dass es für den Umstieg auf die Bahn mehr Anstrengungen braucht, ist aber kaum bestritten. Das Parlament hat letztes Jahr vier gleichlautende Vorstösse überwiesen, einer davon stammt von Litra-Präsident Martin Candinas. Der Bundesrat muss nun aufzeigen, wie der ÖV gegenüber dem Auto Boden gutmachen kann.

Durch engere Takte? Noch mehr Verbindungen? Einen Stopp des Strassenausbaus? Oder doch mit günstigeren Preisen? «Wir alle sind gespannt, was der Bundesrat uns präsentieren wird», sagt der Bündner Nationalrat. «Es wird sicher mehrere Massnahmen brauchen.»

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Raphael Brunner, Redaktor
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