Als der Zürcher Mitte-Politiker Philipp Kutter am 17. März ans Mikrofon im Nationalratssaal trat, um gegen die Volksinitiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» zu argumentieren, legte er zuerst seine Interessenbindung in der Sache dar. «Ich bin Präsident der Schweizerischen Lauterkeitskommission», erklärte er.

Was dann folgte, war ein flammendes Plädoyer dafür, der Tabakindustrie die Werbung für ihre Produkte nicht zu verbieten. Hersteller von legalen Produkten müssten für diese Produkte auch Werbung machen können, forderte der Familien- und Bildungspolitiker. 

Wenig später drängte es Therese Schläpfer ans Rednerpult. Die SVP-Parlamentarierin aus dem Kanton Zürich war bisher vor allem als Hardlinerin im Ausländerrecht und als Verfechterin einer rigiden Drogenpolitik aufgefallen. In der Nationalratsdebatte legte sie sich jedoch wie Kutter vehement für die Tabakwerbung ins Zeug.

Kutter und Schläpfer haben etwas gemeinsam: Sie sitzen im Vorstand einer Organisation namens Vision Konsum – ein Mandat, das Kutter im Parlament nicht deklariert hat. Der Verein wurde erst vor eineinhalb Jahren gegründet und behauptet von sich kühn, die «Vereinigung der Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten» zu sein.

Eine auffällig wirtschaftsfreundliche Perspektive

Die Positionen klingen jedoch eher, als stammten sie aus Wirtschaftskreisen. So sprach sich der Verein letzten Sommer für höhere Eintrittspreise bei Freibädern aus, um coronabedingte Ertragseinbussen wettzumachen. Kurz danach weibelte er für die Abschaffung der Importzölle auf Industriegütern – aus einer auffällig wirtschaftsfreundlichen Perspektive: Die Massnahme diene den Unternehmen und sei wichtig für Industrie-Arbeitsplätze, liess sich Präsidentin und FDP-Nationalrätin Daniela Schneeberger im «Bund» zitieren. Die Sicht der Konsumierenden? Kein Thema.

Wer konkret hinter dieser Organisation steht, ist weitgehend unklar: Auf der Website steht nur das Nötigste: eine «Vision», die von «günstigen Gütern und Dienstleistungen» handelt und von «niedrigen Steuern»; der Auftritt auf Facebook wirkt ziemlich altbacken. Auf Twitter hat der Verein gerade mal einen Follower. Anfragen von potenziellen Mitgliedern via Kontaktformular auf der Website bleiben unbeantwortet.

Anruf ins Leere

Wenn man jedoch etwas tiefer gräbt, mutiert die angebliche Konsumentenschutz- plötzlich zu einer gut getarnten Lobbyorganisation. Und das soll offensichtlich auch so bleiben.

Vision Konsum verweigert jegliche Antworten auf konkrete Fragen. Präsidentin Daniela Schneeberger – auch sie als Vizepräsidentin des Gewerbeverbands deutlich näher bei der Wirtschaft als beim Konsumentenschutz positioniert – ignoriert Anrufe des Beobachters.

Vorstandsmitglied Michel Rudin, ehemals Geschäftsführer des Konsumentenforums, des bürgerlichen Pendants zur breit abgestützten Stiftung für Konsumentenschutz, verweist an die Geschäftsstelle, ebenso Philipp Kutter. Dort agiert David Trachsel, seit gut einem Jahr Präsident der Jungen SVP Schweiz. 

Dieser will nur schriftlich Auskunft geben, antwortet aber auf konkrete Fragen bloss mit ein paar knappen Sätzen. Schliesslich teilt er mit, dass Vision Konsum gänzlich auf eine Stellungnahme verzichte. So bleibt unbeantwortet, wie viele Mitglieder der Verein hat, wer ihn finanziert und welche Organisationen dahinterstehen. 

Renommierte Adresse

Geld scheint bei Vision Konsum durchaus vorhanden. Präsidentin Daniela Schneeberger gibt auf der Website des Parlaments an, dass ihr Mandat bezahlt ist. Die offizielle Geschäftsadresse befindet sich an der Effingerstrasse 1 in Bern, in einem Bürogebäude, in dem unter anderem eine der renommiertesten Wirtschaftskanzleien der Schweiz residiert. Und Geschäftsführer David Trachsel verschickt seine Vision-Konsum-Mails gelegentlich von einer Firma aus, die kaum gratis arbeiten dürfte: von der Paxedra AG, der Lobbyfirma von Sebastian Frehner, 2019 abgewählter SVP-Nationalrat. 

Die Spurensuche nach den Hintergründen von Vision Konsum führt ebenfalls zu ihm. Frehner galt in seiner Zeit in Bundesbern als Mann, der sein Nationalratsmandat zum Geschäftsmodell machte. Die «NZZ am Sonntag» bezeichnete den Juristen einmal als Opportunisten, der sich auch mal von der Parteilinie abwende, «um seinen Mandanten zu gefallen». Frehners Portfolio an Mandaten umfasste während seiner Zeit im Parlament ein ausgesprochen breites Spektrum. Er lobbyierte unter anderem für Krankenkassen, die Pharmaindustrie, Softdrinks, Spirituosen und Tabak. Die letzten beiden führte er dabei in der IG Genuss zusammen. Mindestens einmal pro Jahr lud er als deren Präsident zu einem Parlamentarieranlass. Ganz am Ende seiner letzten Legislatur tauchte Vision Konsum zum ersten Mal in seiner Liste der Interessenbindungen auf.

Enge Bande zu Tabakkonzern

Und just beim Tabak wird man auch fündig, wenn man nach den Geldgebern von Vision Konsum sucht. Bei Frehners IG-Genuss-Anlässen war auffällig häufig Japan Tobacco International (JTI) als Mit-Gastgeber aufgeführt. Die damalige Verantwortliche für Public Affairs des Zigarettenmultis durfte sich bei den Nachtessen vor versammelter Parlamentarierinnen-Schar etwa zum Tabakproduktegesetz und zu den darin vorgesehenen Werbeverboten äussern. Frehner sagt zu alledem noch weniger als die anderen Vorstandsmitglieder von Vision Konsum: gar nichts. 

Auf Anfrage beim Tabakkonzern antwortet Mediensprecherin Andrea Hausmann: «JTI ist Mitglied von Vision Konsum, weil wir die Ziele der Organisation teilen.» Nachfragen zum Mitgliederbeitrag mag sie «aus wettbewerbstechnischen Gründen» jedoch nicht beantworten.

Die Bande zwischen dem Zigarettenmulti und Vision Konsum, beziehungsweise deren Vorstandsmitglied Sebastian Frehner, sind auch sonst eng. An Frehners Geschäftsadresse residiert unter anderem eine Beratungsfirma, bei der ein Mitarbeiter der Abteilung Corporate Affairs & Communications von JTI mit Einzelunterschrift handeln kann. 

Abstimmungsempfehlungen ans Parlament

Doch offensichtlich steht Vision Konsum nicht ausschliesslich im Dienst der Tabakindustrie. Seit der letzten Session verschickt die Geschäftsstelle auch Abstimmungsempfehlungen an die Mitglieder von National- und Ständerat.

  • Die Motion für ein Einfuhrverbot von Waren aus Zwangsarbeit etwa beurteilt Vision Konsum als «nicht umsetzbar».
  • Die parlamentarische Initiative zum Schutz des Grund-, Trink-, Fluss- und Seewassers vor nachweislich schädlichen Pestiziden hält der Verein für eine «überflüssige Regulierung».
  • Im Sommer 2020 trommelte Geschäftsführer David Trachsel zudem Jungpolitikerinnen und -politiker von bürgerlichen Parteien für ein Werbevideo für die neue Mobilfunktechnologie 5G zusammen. Die Geldgeber des bieder gemachten Filmchens: unbekannt. 

Das thematische Portefeuille von Vision Konsum dürfte noch breiter werden. Noch fehlen lediglich die echten Konsumententhemen.

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Quelle: Beobachter Bewegtbild
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