Strassenlärm verursacht jedes Jahr in der ganzen Schweiz 500 Todesfälle wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dazu kommen 2500 neue Diabetesfälle. Das zeigen Hochrechnungen. Bis Ende März hätten deshalb alle Strassen nach einer 30-jährigen Übergangsfrist lärmsaniert sein sollen. Doch das Ziel wurde um Meilen verfehlt, auch in der Stadt Zürich.

Umso erfreulicher, dass sich Zürich für ihre lärmgeplagten Einwohner einsetzt und auf vielen Kommunal- und Kantonsstrassen Tempo 30 einführen will. Die Stadt ist bis vor Bundesgericht gegangen, um rund 40 neue Tempo-30-Strecken sowie vergrösserte Tempo-30-Zonen Kommentar Warum es Tempo 30 braucht gegen den TCS und den Automobilclub Schweiz zu verteidigen. Und hat gewonnen.

Das klingt beruhigend

Damit erhalten aber gerade mal 25'000 der 140'000 lärmgeplagten Zürcher Lärmklage So wehren sich Anwohner gegen Autolärm ausreichende Lärmsanierung. Das liegt auch daran, weil an etlichen der betroffenen Strecken mehr Büros als Wohnungen liegen. Nichts vom Sieg in Lausanne haben zum Beispiel die rund 3000 Anwohner in der Zürcher Brunau. Ihr Quartier ist stark lärmbelastet, den Anrainern stünden per Gesetz Lärmschutzmassnahmen «an der Quelle» zu.

«An der Quelle» bedeutet, dass beim Verkehr angesetzt werden soll. Doch die Stadt weigert sich standhaft, die entsprechenden Massnahmen zu ergreifen, und bietet lediglich bessere Fenster an. Dagegen haben bereits 200 Personen Einsprachen eingereicht, gemeinsam mit dem VCS.

Zeitverluste kosten Geld

Tatsächlich sind die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) dafür verantwortlich, dass Tempo 30 ausgebremst wird. Sie gehören zum Departement der Industriellen Betriebe, das FDP-Stadtrat Andres Türler anführt. Die VBZ halten für den Stadtrat als Grund hin, dass die Einführung solcher Zonen aus Kostengründen verhindert werden soll.

Konkrete Beispiele gibt es einige, zum Beispiel die Klosbachstrasse: Geplant ist die Lärmberuhigung auf einem Abschnitt von rund 500 Metern. Messungen der VBZ haben jedoch ergeben, dass das Tram mit Tempo 30 auf dieser Tour im Schnitt acht Sekunden einbüssen würde – und das auf eine Fahrzeit von 69,1 Minuten, die es in der Hauptverkehrszeit für die ganze Strecke braucht. Der Fahrplan könne im Feierabendverkehr ohnehin nur knapp mit den vorhandenen Fahrzeugen eingehalten werden, heisst es aus Türlers Departement. Die zusätzlichen acht Sekunden Fahrzeit würden die Anschaffung eines zusätzlichen Tramzugs notwendig machen.

Hört sich ziemlich abenteuerlich an. Doch es kommt noch absurder: Sieben der acht Sekunden fallen weg. Denn eine geplante Begegnungszone, die «fahrzeitverzögernd» gewirkt hätte, wird nicht realisiert. Damit ist klar: 700 Anwohner müssen unter zu viel Lärm leiden, weil das Tram für seine Tour im Schnitt eine Sekunde länger brauchen würde.

Mehr Kreativität gefordert

Ähnlich der Fall Aemtlerstrasse mit rund 1500 Lärmbetroffenen. Weil es dort beim 72er-Bus zu 36 Sekunden Verzögerung käme, wurde das Projekt abgelehnt. Wegen der halben Minute müsste gemäss VBZ ein neuer Bus für 1,3 Millionen Franken angeschafft werden. «Nur so kann der vorgesehene Taktfahrplan eingehalten werden», erklärt Departementssprecherin Renata Huber.

Markus Knauss, Co-Geschäftsführer des VCS Zürich, kann das nicht verstehen: «Es kann doch nicht sein, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Lärmschutz erhält, weil die VBZ zu wenig kreativ sind, um Verlustzeiten des öffentlichen Verkehrs auszugleichen.»

Auch im Fall der Brunau begründen die zuständigen Ämter die Ablehnung des Projekts damit, dass es im öffentlichen Verkehr sonst zu Zeitverlusten käme. Ob die Busse länger unterwegs wären, ist aber fraglich.

In der Stadt Zug wurde unlängst auf Geheiss des Bundesgerichts ein Versuchsbetrieb mit Tempo 30 angeordnet. Der Zeitverlust des Busses betrug exakt 0 Sekunden.

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Jasmine Helbling, Redaktorin
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