Die Szene trifft sich vor dem Verkehrssicherheitszentrum im Bernischen Roggwil. Zum «Season Begin» posieren Männer vor ihren VWs, Subarus oder Maseratis. Motoren heulen auf. Frauen sind eher auf Beifahrersitzen oder als Kadettinnen unterwegs, die die Boliden auf das Gelände einweisen. Erst am späten Nachmittag setzen sich vier Damen selber in Szene: Im Wet-Bikini waschen sie BMW und Mercedes-Benz – zum Sound von Gangster-Rapper 50 Cent. Süsslicher Shisha-Dampf liegt über dem Gelände, Caipirinha schlägt Bier.

Das Stelldichein ist symptomatisch. Poser haben in der Schweiz wenig zu befürchten, ausser sie werden auf frischer Tat ertappt. Ihre Autos schlängeln sie trickreich durch einen Dschungel von Gesetzen, der unnötigen Lärm ermöglicht statt verhindert.

Tricks für mehr Lärm

Drei Dinge lassen ihre Motoren fauchen und brüllen. Erstens: der Klappenauspuff. Weit geöffnete Klappen machen das Gefährt lauter, weil mehr Lärm nach aussen dringen kann. Auf Knopfdruck lassen sich verschieden laute Fahrmodi wählen. Die Lärmgrenzwerte sind meist kein Problem, denn die Klappen schliessen sich rechtzeitig im Testzyklus. Gemessen wird erst ab etwa Tempo 50, doch die Boliden heulen und knattern schon im Schritttempo – wenn der Poser es will. Auch Neuwagen werden mit Klappen auf die Strasse gelassen, in Maseratis und bei vielen Motorrädern sogar serienmässig.

Zweitens: der Soundgenerator. Das Geräusch eines hochzylindrischen Benzinmotors wird an Lautsprecher gesendet, die am Auspuff-Endtopf oder am Unterboden verbaut sind. Die Lautstärke lässt sich automatisch über die Bordelektronik, manuell durch einen Zusatzschalter oder per Bluetooth über ein Smartphone regeln. Auch das ist nicht illegal. Solche Lautsprecher werden serienmässig in Sportwagen diverser Hersteller verbaut. 

Drittens: Löcher schneiden. Ein in die Auspuffanlage geschnittenes Fenster oder das Entfernen von Dämpfereinsätzen, den sogenannten DB-Eatern, ist verbreitet. Immerhin ist dieses Vorgehen klar verboten.

Verkehrsplaner brüten über Flüsterbelägen und versuchen, mit Temporeduktion den Lärm zu senken. Derweil tüfteln Autobauer und Tuning-Firmen am Umgehen der Lärmgrenzwerte, um die Emotionen einer rücksichtslosen Kundschaft zu bedienen. Dagegen formiert sich Widerstand.

In mehreren Kantonen fordern Politiker den Einsatz von «Lärmblitzern», mit denen Lautfahrer auf frischer Tat überführt werden. Auch polizeiliche Poser-Einheiten, wie sie in deutschen Städten im Einsatz sind, sollen für mehr Ruhe sorgen. Die Genfer Regierung unterstützt die Entwicklung eines Lärmblitzers durch die Lausanner EPFL. Die Zürcher Regierung wies dagegen alle von grünen Kantonsräten angeregten Ideen zurück. Spezialisten für die Lärmbekämpfung seien nicht nötig, da jeder Frontpolizist entsprechend ausgebildet sei. Und für Lärmblitzer fehlten die Rechtsgrundlagen auf Bundesebene.

Das Gesetz wäre schon da

Die Schweizer Lärmliga hält diese Begründung für eine «Nebelpetarde», um nichts unternehmen zu müssen. «Es braucht keine neuen Gesetze. Das Strassenverkehrsgesetz Strassenverkehr Pflichtstoff für Besserwisser verbietet schon heute, unnötigen Lärm mit einem Fahrzeug zu erzeugen. Und genau das geschieht hier ja», sagt Peter Ettler, Anwalt und Präsident der Lärmliga.

Die von Lärmblitzern registrierten, lauteren Fahrer könnten schon verzeigt werden – wenn man den höchsten für einen Personenwagen oder Töff zulässigen Wert von derzeit 80 Dezibel plus einer Marge für Messungenauigkeiten als Grenze nähme. «Alles, was darüber ist, kann ja nur illegal sein», sagt Ettler. Es fehle einzig am politischen Willen, solche Fahrzeuge aus dem Verkehr zu ziehen und jene zu bestrafen, die für Lärmexzesse sorgten.

Die ETH rechnet mit zwei Jahren Entwicklungszeit für ein taugliches Messgerät. In Frankreich existieren bereits ähnliche Messvorrichtungen. Die Zürcher Grünen wollen es nicht bei der abweisenden Antwort ihrer Regierung belassen. «Wir werden sie mit einem weiteren Vorstoss zum Handeln bewegen», sagt die Kantonsrätin Silvia Rigoni. Auch in Basel-Stadt ist die Forderung nach Lärmblitzern bei der Regierung hängig.

Klare Regeln in Deutschland

Ausgerechnet das Autoland Deutschland geht rigoros gegen Auto-Poser vor. Soundgeneratoren dürfen seit 2018 nicht mehr nachträglich verbaut werden. Und das Nachrüsten von Steuerungen für Auspuffklappen ist nur erlaubt, wenn das Fahrzeug danach in allen Modi, Geschwindigkeiten und Drehzahlbereichen den ursprünglich zugelassenen Wert nicht überschreitet.

Deutschland nutzt so einen Handlungsspielraum, der offenbar trotz EU-weit geltender Grundregeln existiert. In der Schweiz verheddern sich Behörden dagegen im internationalen Normengestrüpp mit realitätsfernen Prüfzyklen für die Lärmmessung. So kommt es, dass Fahrzeuge trotz 2016 verschärfter Vorschriften lauter sein können als zuvor. 

«Einbauten, die für mehr Lärm sorgen, gehören auch hierzulande verboten», findet der grüne Zürcher Nationalrat Bastien Girod. Er will sich in Bundesbern mit einem Vorstoss dafür einsetzen. 

Ein Problem hat auch Deutschland nicht gelöst: In neue Fahrzeuge dürfen die Lärmanlagen nach wie vor serienmässig verbaut werden. So rollen heute die Altlasten von morgen vom Band. Für Dieter Schäfer, Direktor der Verkehrspolizei im deutschen Mannheim, sind intensive Kontrollen ein Erfolgsfaktor, um Poser aus den Städten zu drängen. Fünf spezialisierte Ermittler tun dies in Mannheim seit drei Jahren. «Das Problem ist nicht verschwunden, aber es hat sich merklich entschärft», bilanziert Schäfer. 

Die deutsche Polizei führte in den Sommermonaten Grosskontrollen durch und rief Bürgerinnen und Bürger dazu auf, besonders laute Fahrer zu melden. Diese werden in einer Poser-Datenbank erfasst, im Wiederholungsfall verwarnt, bei Uneinsichtigkeit gebüsst oder sogar aus dem Verkehr gezogen. Für rasche technische Abklärungen wurden Anlagen auf einem städtischen Areal errichtet. 

Auf dem Areal in Roggwil BE kehrt gegen Abend Ruhe ein. Berner, Zürcher, Basler und Innerschweizer verlassen das Macho-Motor-Land im Korso, wummernd und laut. Demnächst posieren sie in einer Innenstadt und dröhnen durch ein Wohnquartier. Man wird von ihnen hören.

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Peter Johannes Meier, Ressortleiter
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