Wir leben im Plastikzeitalter. Kunststoffe sind billig – und unheimlich vielseitig. Der vielleicht wichtigste Grund für ihren Siegeszug ist ihre Beständigkeit. Sie vermodern selbst dann nicht, wenn sie jahrelang Wind und Wetter ausgesetzt sind. Diese Qualität ist auch ein Fluch. Sie hat Plastik zu einem weltweiten Umweltproblem gemacht. Immer höher türmen sich die Plastikberge, immer grösser werden Plastikinseln – niemand ist da, sie abzubauen.

Niemand? Vielleicht doch. Die Anzeichen mehren sich, dass die Natur sich zumindest ein wenig auf die Plastikflut einstellt. Immer mehr Forschende berichten von Bakterien, Pilzen und Insekten, die Kunststoffe zersetzen können. Ein schwedisches Team stellte kürzlich einen Katalog von über 30'000 Enzymen aus Mikroorganismen zusammen, die das Potenzial zum Plastikabbau haben sollen. Enzyme sind jene Eiweissmoleküle, die in jeglichen Lebewesen Stoffe aufbauen, abbauen oder umbauen.

Das bekannteste Enzym, das Plastik abbaut, stammt aus einer japanischen Recyclinganlage . Forscher fanden es dort im Jahr 2016 in einem Bakterium namens Ideonella sakaiensis. Es zersetzt PET und kurbelt mit den Abbauprodukten seinen Stoffwechsel an.

Das Enzym boostern

Die Chemikerin Rebecca Buller von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften versucht, das Potenzial dieses Enzyms zu nutzen – und seine Abbauleistung zu verbessern. Dazu verändert sie einzelne Bausteine, aus denen das Enzym besteht, und prüft danach die Fähigkeit der neuen Variante, PET abzubauen.

Um schneller voranzukommen, nutzt sie zum einen Rechner, die besonders geeignete Kombinationen vorhersagen. Zum anderen eine Automatisierungsplattform, die mehrere Tausend Varianten aufs Mal herstellen kann. Enzyme, die besonders gut abschneiden, werden in einer nächsten Runde auf dieselbe Weise weiter verbessert.

«Der Mensch kann das Plastikproblem nicht der Natur überlassen.»

Rebecca Buller, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

Forscher bezeichnen dieses Vorgehen als «gerichtete Evolution». «Der Natur überlassen kann der Mensch das Plastikproblem nicht», sagt Buller. Die natürliche Evolution schreite zu langsam vorwärts, um innert nützlicher Frist die Umwelt von den riesigen Plastikmengen zu befreien. Das PET-abbauende Enzym aus Ideonella sakaiensis etwa arbeitet nicht sehr effizient. Mit ihrer Methode, sagt Buller, habe ihre Arbeitsgruppe bislang die Aktivität des Enzyms bei Raumtemperatur um das Drei- bis Fünffache beschleunigt.

«Noch wichtiger ist, dass wir es deutlich stabiler machen konnten.» Das heisst: Das Enzym arbeitet auch bei höheren Temperaturen. Das ist ein Vorteil, weil PET ab ungefähr 70 Grad in einen instabileren Zustand übergeht, in dem es sich einfacher und rascher abbauen lässt. Buller hofft, dass sie mit dem Enzym PET aus Verpackungen oder Textilien in seine Bausteine zerlegen und sie wiederverwendbar machen kann.

Dass das möglich ist, zeigt die Firma Carbios in Frankreich. Sie hat ein PET-abbauendes Enzym derart verbessert, dass es eine Tonne geschredderte PET-Flaschen in zehn Stunden zu 90 Prozent in Bruchstücke zerlegt. Daraus lässt sich neues PET herstellen – ohne die Qualitätseinbussen, die entstehen, wenn PET geschmolzen wird. Die Firma spannt nun mit Getränkefirmen wie Pepsi und Nestlé zusammen.

Mikroben, Larven und Würmer

Plastik ist aber nicht gleich Plastik. PET ist nur eine von über 200 Kunststoffarten, die heute verwendet werden. Plastikabfälle sind oft gemischt. Solche Gemenge nimmt ein von der EU gefördertes Grossprojekt namens Recover ins Visier. Man versuche, einen Cocktail aus verschiedenen plastikabbauenden Organismen herzustellen, sagt Projektleiterin María José López von der spanischen Universität Almería.

Dazu gehören einerseits Mixturen aus verschiedenen Mikroben und künstlich hergestellten oder verbesserten Enzymen. Anderseits sollen aber auch Wachsmottenlarven, Mehl-, Kompost- und Regenwürmer Plastik mampfen. Im Darm dieser Tiere finden sich Mikroorganismen, die Plastik bis zu einem bestimmten Grad zersetzen können. «Wir benutzen nun weitere Mikroorganismen als eine Art Probiotika», sagt María José López. «Wir füttern damit die Insekten und Würmer, um die Plastikabbau-Fähigkeit ihrer Darmflora zu verbessern.»

«Ein kompletter Abbau ist unrealistisch.»

María José López, Universität Almería

Das Konsortium habe schon einige Erfolge erzielt. Beim Abbau von Plastikarten wie Polyethylen, das für Getränkekästen oder Eimer verwendet wird und enorm dauerhaft ist, hätten einige Mischungen «hohe Gewichtsreduktionen» erzielt. Gegenüber der spanischen Zeitung «El País» sprach López von Abbauraten von 20 Prozent innert drei bis vier Monaten. López warnt aber vor zu hohen Erwartungen. «Ein kompletter Abbau ist unrealistisch, es handelt sich hier eigentlich um biologisch nicht abbaubare Materialien.»

Auch Schweizer Fachleute äussern sich vorsichtig. Kunststoffe wie PVC oder Polystyren seien chemisch so aufgebaut, dass Enzyme ihnen nichts anhaben könnten, sagt der Umweltchemiker Michael Sander von der ETH Zürich. Auch Kunststoffe aus pflanzlichen Rohstoffen seien nicht in jedem Fall biologisch abbaubar. «Es kommt ganz auf die Chemie der Polymere an, also wie die Moleküle miteinander verbunden sind.» Auf manche dieser Polymere sei die Natur nicht eingestellt. «Mikroorganismen fehlen quasi Messer und Gabel, also die Enzyme, um sie in mundgerechte Stücke zu zerschneiden und sie dann aufzunehmen und zu verdauen.»

Sander selbst forscht unter anderem an Mulchfolien. Landwirte legen sie im Frühjahr auf die Äcker, damit rund um ihre Gemüsesetzlinge kein Unkraut spriesst. Früher hätten solche Folien aus konventionellen Kunststoffen bestanden, die Hunderte Jahre in den Böden überdauern, sagt Sander. Heute gebe es Folien aus weniger beständigen Kunststoffen. Seine Gruppe konnte vor einigen Jahren zeigen, dass Mulchfolien aus dem Kunststoff PBAT von Bodenorganismen abgebaut werden.

Verhalten optimistisch

Wichtig ist also ein Zusammenspiel. Man muss Organismen und Enzyme finden, die Plastik auflösen können. Und es braucht neue Kunststoffarten, die sich zersetzen lassen. Nur dann können plastikabbauende Organismen beim Kampf gegen die Plastikschwemme Endlich verständlich Was man über Mikroplastik wissen muss eine Rolle spielen, sagt Ivano Brunner von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft.

Selbst der Abbau von zersetzbaren Stoffen sei schwierig und verschlinge viel Zeit. Kürzlich hat Brunner eine Vorstudie durchgeführt mit einem Start-up, das aus Polymilchsäure und getrockneten Bananenschalen eine biologisch abbaubare Schuhsohle entwickeln will. Der Test umfasste zehn verschiedene Pilze. «Es waren einige darunter, die das Schuhsohlenmaterial abbauen konnten», erzählt Brunner. «Aber sie waren langsam. Nach einem Monat stellten wir nur einen minimalen Gewichtsverlust fest.»

Es sei nicht unmöglich, dass man irgendwann so etwas wie plastikabbauende Superorganismen oder Superenzyme finde, sagt Brunner. «Aber momentan ist das ein Wunschtraum.»

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