Eine wahre Blechlawine wälzt sich täglich von der Franche-Comté her über die Grenze. Rund 20 000 Franzosen arbeiten im Vallée de Joux VD und in den Kantonen Neuenburg und Jura. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es kaum, 98 Prozent der Pendler sind im Auto unterwegs, 90 Prozent davon allein. Die Folge: Tausende stecken im Stau.

Ein grenzüberschreitendes Pilotprojekt will diese Situation nun entschärfen – und zwar mit der Förderung von Fahrgemeinschaften. Über 60 Betriebe haben sich auf einer Website registriert, Angestellte können darauf ihre Arbeitswege angeben und leicht herausfinden, wer die gleiche Route fährt. Zugleich unterstützt eine Telefonzentrale die Suche nach Fahrgelegenheiten; fest definierte Halteplätze sollen das Zu- und Aussteigen erleichtern.

Vielversprechend, aber…

Mit Fahrgemeinschaften die Stauproblematik entschärfen – das sei durchaus realistisch, sagt Francesco Ciari, der sich am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme der ETH Zürich mit dem sogenannten Carpooling beschäftigt. «Gut organisiert, sind sie eine effizientere Art, die vorhandenen Kapazitäten zur Beförderung von Personen zu nutzen», sagt er. In einer Studie für das Bundesamt für Strassen kommt er zum Schluss, dass sich mit Fahrgemeinschaften im Raum Zürich bis zu 35 Prozent der Pendlerfahrten einsparen liessen.

Fahrgemeinschaften allein bringen Staus jedoch nicht zum Verschwinden. «Wenn sich die Erreichbarkeit einer Ortschaft verbessert, weil der Verkehr zurückgeht, wird sie attraktiv für Neuzuzüger», sagt Ciari. «Das Staurisiko kann dann wieder ansteigen.»

Zudem zeigten Studien aus den USA Nebeneffekte auf: Fährt der Haupterwerbstätige eines Ein-Auto-Haushalts nicht mehr selber zur Arbeit, nutzen oft andere Familienmitglieder den Wagen – und helfen so mit, die Strassen zu verstopfen.

Die USA haben langjährige Erfahrung mit Fahrgemeinschaften. 1973 öffneten die Behörden im Zuge der Ölkrise die Busspur eines Highways in Virginia nur für Autos, in denen mindestens vier Personen sassen – und schufen damit die erste Fahrgemeinschaftsspur. Das System funktioniert noch heute: 2005 legten Wagen auf besagter Spur die Strecke von 48 Kilometern in 29 Minuten zurück – statt deren 64 auf der «Normalspur». Seither sind die Strecken der «high-occupancy vehicle lanes» in den USA auf rund 2000 Kilometer gestiegen.

Kreative Nutzniesser

Dazu kommen Strecken und Brücken, für deren Benutzung Carpools tiefere oder keine Mautgebühren bezahlen. Dies brachte das «slugging» hervor: Autofahrer stellen vor Mautstellen ihren Wagen ab und stehen in eine kurze Warteschlange, bis jemand hält, der sie mitnimmt und dafür günstiger an sein Ziel kommt. In Indonesiens Hauptstadt Jakarta machen sich «car jockeys» dieses System zunutze: Arbeitslose, die am Strassenrand stehen, gegen Bezahlung bei den Pendlern zusteigen und ihnen so die Benutzung einer Fahrgemeinschaftsspur ermöglichen.

In der Schweiz hat sich die Idee der Fahrgemeinschaft bislang nicht durchgesetzt. Es gibt zwar mehrere Internetplattformen und Smartphone-Apps, auf denen sich Pendler zusammenschliessen können – die nötige kritische Masse an Teilnehmern hat jedoch noch keine erreicht. Die Bereitschaft, sein Auto mit jemandem zu teilen, den man nicht kenne, sei noch gering, sagt Francesco Ciari. Allerdings dürfte sich das langsam ändern. «Junge Leute sind es von sozialen Netzwerken her eher gewohnt, mit Unbekannten in Kontakt zu treten und Dinge zu teilen», sagt er.

Zudem neigen sich die Zeiten, in denen das Auto als Erweiterung des Wohnzimmers galt, dem Ende zu. Ciari: «Wir wissen aus Studien in anderen Ländern, dass das Auto bei jungen Leuten den Stellenwert als Statussymbol verliert. Gut möglich, dass dadurch auch in der Schweiz die Bereitschaft steigt, das Auto zu teilen.»