Helene von Gugelbergs Schloss: Ansporn von den Ahnen

Beobachter: Wie ist es, in einem Schloss zu wohnen?

Helene von Gugelberg: Seit wir Handys haben, ist es sehr viel einfacher geworden. Vorher musste ich mit meinen Gästen jeweils abmachen, wann und 
wo wir uns wieder treffen. Jetzt kann man anrufen und fragen: «Wo steckst du gerade?» 

Beobachter: Schloss Salenegg in Maienfeld hat 79 Räume – nutzen Sie die denn alle?

Auf 79 Räume kommt man, wenn man jede Besenkammer und jeden Ökonomieraum mitzählt. Schloss Salenegg war seit jeher ein Selbstversorgungsbetrieb, und seit dem 11. Jahrhundert wird hier Wein produziert. Heute werden manche Räume, etwa die Werkstatt oder die Schmiede, nicht mehr genutzt.

Beobachter: Wie viele Zimmer sind bewohnbar? 

27. Davon kann ich im Winter sieben mit Zentralheizung heizen, die restlichen mit Kachelöfen. 

Beobachter: Der Einbau einer Zentralheizung wird die Wohnqualität im Schloss enorm gesteigert haben.

Auf jeden Fall. Niemand friert gern. In den zentralgeheizten Räumen wird es im Winter angenehme 20 Grad, aber auf den Gängen ist es nicht wärmer als 11 Grad. Das ist frisch und stört mich am Leben im Schloss am meisten.

Beobachter: Was schätzen Sie an Ihrer Wohnsituation besonders? 

Ich kann für jede Tätigkeit ein Zimmer in Beschlag nehmen und alles liegen lassen, wenn ich eine Pause mache. Mein Wohnzimmer ist immer aufgeräumt, wenn unangemeldeter Besuch kommt.

Beobachter: Die Aussicht wird wahrscheinlich auch herrschaftlich sein. Was sehen Sie, wenn Sie zum Fenster rausschauen?

Hauptsächlich Rebberge. Und die Autobahn. Da bin ich eigentlich ganz froh darum – so weiss ich, dass sich die Welt noch dreht. Im Salenegg kann man schon das Gefühl bekommen, die Zeit sei stehen geblieben.

Beobachter: Schloss Salenegg ist über 300 Jahre im Besitz Ihrer Familie. Engt so viel Familiengeschichte nicht ein?

Als Kind haben mir die Ahnenbilder tatsächlich etwas Angst gemacht: Sie scheinen einem hinterherzuschauen, vor allem wenn man etwas ausgefressen hat. Meine Auslandaufenthalte haben mir aber geholfen, sie in einem etwas anderen Licht zu sehen. 

Beobachter: Wie denn? 

Ich habe Schloss Salenegg 1997 von meinem Vater übernommen. Seither geben mir die Ahnen Halt. Wenn es mal nicht so gut läuft, tröstet es mich, zu wissen, dass es meine Vorfahren auch nicht immer einfach hatten. Sie spornen mich auch an: Man möchte ja nicht unbedingt diejenige sein, die die jahrhundertealte Familientradition in den Sand setzt. 

Beobachter: Sie leben allein im Schloss?

Seit meine beiden Kinder ausgezogen sind, ja. Auf dem Grundstück wohnen aber noch die Gärtnerfamilie und das Hauswartpaar. Als die Kinder von allen drei Familien noch zu Hause lebten, waren wir zwölf Personen. 

Beobachter: Haben Sie auch einen Schlossgeist?

Sicher. Das ist der ehemalige Schlossherr Ritter Anton von Molina, der im 17. Jahrhundert hier lebte und dessen Tod von mysteriösen Berichten umrankt ist. Wir verstehen uns gut.

Wohnung in einer Siedlung

Corina Spaeth heizt in ihrer Wohnung mit Holz.

Quelle: Joseph Khakshouri
Familie Käsermann-Spaeth: Zusammenleben und zusammen bestimmen in der Siedlung

Corina Spaeth sitzt am Fenster, damit sie den Lastwagen nicht verpasst. Der bringt die Bio-Orangen aus Spanien. Die 41-Jährige baut mit anderen Mietern einen Quartierladen im Murifeld BE auf, doch weil die Baubewilligung auf sich warten lässt, verkauft sie die Orangen an einem Marktstand in der Nachbarschaft. «Das ist eigentlich ganz lustig.»

Sie wohnt mit ihrem Mann Stefan, 46, und den beiden Kindern Ezra, 17, und Zoë, 14, in der städtischen Wohnbausiedlung Murifeld. «Ich könnte nicht in einem Einfamilienhaus leben», sagt sie. «Hier dreht sich alles um das Soziale, um das Zusammenleben. Wir haben viele Freunde in der Siedlung gefunden, im Sommer sitzen wir abends draussen im Garten oder auf dem Trottoir, machen ein Feuer und essen gemeinsam.» 

Auch das vielfältige kulturelle Angebot bringt die Bewohner der 260 Wohnungen zusammen. Im Kulturatelier finden Bars und Yogastunden statt. Man trifft sich an Kinoabenden, im Quartierverein, an den legendären Sommerfesten. Oder man macht bei der Znachtgruppe mit und isst reihum bei einer anderen Familie. «Die Energie ist gut», sagt Corina Spaeth. Ihr Mann macht das Fenster auf: «Hörst du, wie ruhig es hier ist?» Tatsächlich, erstaunlich – wenn man bedenkt, dass wir nur zehn Minuten vom Stadtzentrum entfernt sind.

Minimal ökologisch renoviert

Die Siedlung ist ein Kind der achtziger Jahre: Damals lebte eine Mischung aus älteren Bewohnern, Ausländern, Familien und Alleinerziehenden in den günstigen Wohnungen der städtischen Liegenschaften, die teilweise nicht einmal warmes Wasser hatten. Als die Stadt 1987 eine «uniforme» Sanierung ankündigte, fing es im Quartier zu brodeln an. Nur wenige Monate zuvor hatte die Stadt die alternative Hüttensiedlung «Freies Land Zaffaraya» am Stadtrand von Bern geräumt. Einige der Zaffarayaner hatten bei Freunden im Murifeld Unterschlupf gefunden. 

Alternative Wohnformen und Lebensmodelle wurden in der Siedlung lebhaft diskutiert, die jüngeren Quartierbewohner begannen, sich gegen die Sanierungspläne zu wehren. Schliesslich brachten die Quartierbewohner eine minimale und ökologische Renovation unter Mitwirkung der Mieterschaft auf politischem Weg durch: 1989 wurde eine entsprechende Motion im Berner Stadtrat knapp angenommen. 

Der Sieg sei, munkelt man, Gegnern zu verdanken gewesen, die in der Sitzungspause zu lange gejasst und die Abstimmung verpasst hätten.

Null Bock auf Einfeuern

Als die erste Sanierungsetappe 1995 begann, durften die Mieter bestimmen, ob sie etwa einen Balkon oder eine neue Küche wollten. So konnten sie die Wohnungen ihren Bedürfnissen und die Mieten ihren Budgets anpassen. Käsermanns Vormieter entschieden sich damals für einen Balkon, verzichteten aber auf eine neue Küche. Geheizt wird mit Holzöfen. Heute kostet eine solche Zweizimmerwohnung rund 550 Franken. Die Familie kam vor 16 Jahren ins Quartier, und weil es kaum grössere Wohnungen gibt, mieteten sie zwei Zweizimmerwohnungen auf dem gleichen Stockwerk. «Mit kleinen Kindern war das umständlich», sagt Stefan Käsermann. «Aber es hat auch Vorteile, wenn sich Eltern und Teenager separieren können.» 

«Ich könnte nicht in einem Einfamilienhaus leben. Hier dreht sich alles um das Soziale»

Corina Spaeth

Der rudimentäre Komfort stört das Paar nicht. Klar, die Wohnungen seien schlecht isoliert – aber weil man «es im Haus gut miteinander hat», störe das Babygeschrei oder die laute Musik aus den anderen Stockwerken nicht. Die Holzheizung sei natürlich ein Zusatzaufwand. Die Kinder hätten einige Winter «keinen Bock» auf das Einfeuern gehabt und seien dann halt manchmal in der Daunenjacke in ihren Zimmern gesessen, erzählt Käsermann. Heute würde es Tochter Zoë aber schätzen, mit ihren Freundinnen am warmen Öfeli zu sitzen. «Das ist etwas Spezielles.» 

Hausgemeinschaft entscheidet über Wohnungsvergabe

Das schweizweit einzigartige Kooperationsmodell verpflichtet alle Mieter, sich für ein friedliches Zusammenleben zu engagieren und beim Unterhalt der Gärten mitzuwirken. Stefan Käsermann wurde von der Mieterschaftsversammlung zum Delegierten der Siedlung gewählt und ist das Bindeglied zwischen den Mietern und der Immobilienverwaltung. Er moderiert Nachbarschaftskonflikte und Wohnungsvergaben. Die Wohnungen werden öffentlich ausgeschrieben; die Mieter müssen Kriterien bezüglich Einkommen und Wohnungsbelegung erfüllen, so wie das bei städtischen Liegenschaften in dieser Preisklasse üblich ist – einzigartig ist aber, dass sich die Bewerber bei der Hausgemeinschaft vorstellen und diese entscheidet, wer die Wohnung bekommt. 

Für die Liegenschaftsverwaltung ist die Mitsprache Mehraufwand. Doch heute ist das Murifeld ein Vorzeigeprojekt. Über 50 Nationen leben hier meist friedlich zusammen, darunter viele Bewohner am Existenzminimum – eine solche Siedlung könnte auch ein Problemquartier sein. So gesehen, sagt Corina Spaeth, «lohnt sich der Mehraufwand auch für die Stadt». 

Inzwischen ist die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Mietern eng und gut. Als die Idee aufkam, einen Quartierladen mit einem Mietzinsaufschlag von 7 Franken pro Monat mitzufinanzieren, sagte die Liegenschaftsverwaltung: Könnt ihr machen – wenn das Projekt von mindestens zwei Dritteln der Mieter getragen wird. Ganze 95 Prozent stimmten für den Laden. «Auch für uns Mieter bedeutet das Kooperationsmodell einen Mehraufwand», sagt Stefan Käsermann. «Doch alles, was ich hier reinstecke, kommt direkt zurück.»

Tiny House

In einem Tiny House muss Tanja Schindler deutlich weniger aufräumen.

Quelle: Joseph Khakshouri
Tanja Schindlers Minihaus: Ein Luxus – das gute Raumklima

Beobachter: Warum baut man sich ein 35-Quadratmeter-Haus? 

Tanja Schindler: Als ich in meiner Kindheit «Das fliegende Klassenzimmer» las, faszinierte mich der Eisenbahnwagen, in dem der Nichtraucher wohnt, total. Später kam hinzu, dass ich mir als Baubiologin gewünscht habe, Baubiologie erlebbar zu machen. Als ich nach meiner Scheidung eine neue Wohnung suchte, setzte ich meinen Traum um. 

Beobachter: Mussten Sie sich von vielen persönlichen Gegenständen trennen, als Sie umzogen?

Ich überlegte mir bei jedem Gegenstand, ob ich den brauche oder nicht. Obwohl ich meine Sachen heute gar nicht weiter reduzieren will, stelle ich fest, dass ich immer weniger besitze. Das passiert automatisch, ohne dass ich mich bemühe. 

Beobachter: Wie organisiert man ein kleines Haus? 

Für mich ist es wichtig, dass es schön und gemütlich ist. Ich kann keinen vollgestopften Raum im Blickfeld haben. Mein Büro kann ich beispielsweise mit einem Vorhang schliessen. Ich achte auch darauf, dass ich alles, was in der Wohnung steht, in passenden Farben kaufe, damit es nicht zu unruhig wird.

Beobachter: Ist ein kleines Haus praktischer als ein grosses? 

In einem echten Tiny House, in dem man Tisch und Bett zum Gebrauch herunterklappen muss, ist das Wohnen schon etwas aufwendig. Aber in meinem Minihaus ist gerade so viel Platz, dass die Einrichtung fix sein kann. Ich muss deutlich weniger aufräumen und putzen als in einer grösseren Wohnung. 

Beobachter: Was ist Ihr grösster Wohnluxus?

Das gute Raumklima. So gleichen etwa die Lehmwände die Feuchtigkeit aus: Es kann keinen Schimmel geben, aber die Raumluft ist dennoch immer genug feucht, weil der Lehm die Feuchtigkeit speichern und wieder abgeben kann. 

Beobachter: Haben Sie auch eine tolle Aussicht in Altdorf?

Die kann man sich mit einem mobilen Haus ja aussuchen. Ich habe grosses Glück und sehe rundum die Berge. Weil es in der Schweiz aber so schwierig ist, Bauland für ein Minihaus zu finden, darf man bei der Aussicht nicht wählerisch sein. 

Beobachter: Sie heizen mit einem Holzofen – zusätzlicher Aufwand oder besonderer Komfort?

Ich feure ihn nur bei schlechtem Wetter ein. An einem sonnigen Wintertag heizt die Sonne das Haus bis zu 30 Grad auf. Dann trage ich drinnen ein T-Shirt, anstatt das Fenster aufzureissen. Ich passe mich dem Wetter an, damit die Materialien die Wärme speichern können.

Beobachter: Verdichtetes Bauen ist ökologischer, als Minihäuser auf die Wiese zu stellen. 

Richtig. Aber die Kleinhausbewegung will Häuser ja nur dort hinstellen, wo man das Bauland nicht anders nutzen kann. Etwa als Zwischennutzung. 

Beobachter: Dann dürften all jene, die davon träumen, am Waldrand oder am See ein Tiny House hinzustellen, enttäuscht sein.

Ja, solche romantischen Vorstellungen höre ich öfters, und ich muss sie jeweils ziemlich schnell zerstören. An einem See oder einem Waldrand darf man nicht wohnen. Wenn man ein Kleinhaus aufstellen will, muss man Kompromisse eingehen. 

Beobachter: Welche mussten Sie machen? 

Nicht weit von meinem Haus ist eine Hauptstrasse und direkt vor mir eine Militärbaracke. Aber das stört mich nicht mehr. Ich schaue einfach über die Baracke und sehe die Berge.

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Deborah Bischof, Redaktorin
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