Bauunternehmer und Architektinnen im Raum Winterthur können sich die Hände reiben: Die Terresta AG, eine der grössten Immobilienfirmen der Stadt, hat letzte Woche angekündigt, mittelfristig eine Milliarde Franken in Renovationen und Neubauten zu investieren.

«Bereits diesen Herbst waren 41 Bauprojekte mit einem potenziellen Volumen von 600 Millionen Franken in Arbeit», sagte Terresta-Chef Renzo Fagetti an einer Online-Information. Dass jemand grossspurig eine Milliardeninvestition ankündigt, hat in der Schweiz Seltenheitswert, im sonst eher braven Winterthur ist es eine kleine Sensation.

Die Terresta AG verwaltet den Immobilienbesitz der sagenumwobenen Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG). Sie ist im Besitz eines riesigen Nachlasses an Kunstobjekten und Liegenschaften von Bruno Stefanini. Der Unternehmer hatte von 1950 bis 1980 ein Immobilienimperium aufgebaut und es steuergünstig in eine verschwiegene Stiftung übertragen.

Wie bei seiner Kunstsammlung, die vom Hodler-Gemälde bis zum Flohmarkt-Ramsch über 80’000 Objekte umfasst, hatte Stefanini auch bei seinen Liegenschaften Freude am Erwerben – doch kaum Interesse am sachgerechten Unterhalt. Über Jahrzehnte liess er seine Liegenschaften verlottern.

Wegen des miserablen Zustands einiger «Stefanini-Häuser», die an prominentesten Lagen in der Winterthurer Altstadt vor sich hingammelten, wurde im Zürcher Kantonsrat sogar eine «Lex Stefanini» diskutiert, um Renovationen erzwingen zu können. Den im Alter kauzigen Besitzer, der oft beobachtet wurde, wie er im abgewetzten Mantel und mit Plastiksack in der Hand auf dem Flohmarkt nach Schnäppchen stöberte, kümmerte das wenig.

Nachdem 2018 ein jahrelanger Erbstreit in der Stiftung vom Bundesgericht entschieden wurde, räumt die neue Stiftungspräsidentin Bettina Stefanini jetzt auf. Die Tochter des vor zwei Jahren verstorbenen Gründers hat eine Crew von Kunst- und Immobilienprofis an Bord geholt und bemüht sich um Transparenz – im Gegensatz zu ihrem Vater, der gegenüber der Öffentlichkeit stets immer nur schwieg, obwohl seine Stiftung dem Allgemeinwohl verpflichtet ist.

Was passiert mit den tiefen Mietzinsen?

Die jetztige Ankündigung freut die Baubranche, die Mieterinnen und Mieter in den 2160 SKKG-Wohnungen dürften die Pläne jedoch verunsichern. Denn wenn investiert wird, steigen die Preise. Und viele Stefanini-Liegenschaften sind berühmt für tiefe Mietzinsen. In einigen Altstadthäusern zieht es durch und die Duschen stehen in der Küche neben dem Kochherd. Dafür bezahlen die Bewohner nur wenige Hundert Franken Miete für eine Wohnung im Stadtzentrum.

«Bei einem Bauprojekt der Terresta AG in Bülach haben sich bereits verunsicherte Mieter bei uns gemeldet.»

Walter Angst, Mieterinnen- und Mieterverband des Kantons Zürich

Fagetti beteuert jedoch: «Trotz hoher Qualitätsansprüche bleiben die Mieten günstig.» Auf eine Nachfrage erklärte er, die Mietzinsen lägen auch nach den Sanierungen in der Regel «12 bis 20 Prozent unter dem Vergleichsniveau». Dies dank sanfter Renovationen und «vorteilhafter Finanzierungsmöglichkeiten».

Zu schön, um wahr zu sein? «Wir werden sicher genau hinschauen, ob die hohen Ziele in der Praxis auch eingehalten werden», sagt Walter Angst vom Mieterinnen- und Mieterverband des Kantons Zürich. «Bei einem Bauprojekt der Terresta AG in Bülach haben sich bereits verunsicherte Mieter bei uns gemeldet.» 

Nachdem er sich die online aufgezeichneten Vorträge der SKKG-Verantwortlichen angesehen hat, erklärt Angst: «Die angekündigten Investitionen sind zwar riesig. Angesichts des grossen Portfolios haben diese Pläne aber Hand und Fuss.» Es sei auch erfreulich, dass die Stiftung ökologisch nachhaltig wirtschaften wolle. «Denn unnötige Ersatzneubauten sind Klimakatastrophen.»

Vogelfreie Stiftungen

Grundsätzlich fordert Angst: «Bei Renovationen wäre es wünschenswert, dass keine Kündigungen ausgesprochen werden und der Besitzer die Bauabrechnung vorlegt. So können Mietzinserhöhungen wegen wertvermehrender Investitionen überprüft werden.» 

Laut Walter Angst ist es aber schon vorbildlich, dass die Stefanini-Stiftung überhaupt aus eigenem Antrieb über ihre Pläne informiert. Andere Stiftungen benachrichtigen nicht einmal die Betroffenen. So habe die Gemeinnützige Gesellschaft von Neumünster (GGN) in Zürich kürzlich die Mieterinnen und Mieter mit ihrem Neubauprojekt regelrecht überfallen. «Im Stiftungsrecht gibt es keine Informationspflicht. Deshalb können Stiftungsräte aus ihrem Immobiliengeschäft eine Black-Box machen», bemängelt Angst.

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