Werde ich gerecht beurteilt?
Für viele Angestellte und Vorgesetzte ist das Jahresendgespräch eine Alibiübung. Zu Unrecht.
Veröffentlicht am 31. Oktober 2019 - 11:35 Uhr

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- wie Sie argumentieren, wenn Ihr Vorgesetzter wenig Lust auf ein Mitarbeitergespräch zeigt.
- warum ein Protokoll zum Gespräch unentbehrlich ist und was es aussagen sollte.
- was Sie tun können, wenn Sie mit der Beurteilung der Vorgesetzten nicht einverstanden sind.
- inwiefern Sie zu einer allfälligen Personalakte Einsicht verlangen.
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Eine reine Pflichtübung – das denken viele Arbeitnehmer über das Mitarbeitergespräch. Auch Chefs halten es oft für überflüssig – schliesslich hat man einen kollegialen Umgang, tauscht sich beim Feierabendbier aus. Und der «Formularkrieg» nervt alle.
Aber eigentlich wissen es alle: Im hektischen Arbeitsalltag kommt man selten dazu, sich auszutauschen, Bilanz zu ziehen, Zukunftsperspektiven zu erörtern sowie grundlegende Fragen und Probleme zu besprechen. Zudem können Konflikte jederzeit und überall auftauchen
. Ein formelles Mitarbeitergespräch ist daher nicht nur ein Ritual. Es zahlt sich als Angestellter aus, darauf zu bestehen – besonders auch darauf, dass das Gespräch protokolliert wird. Doch was, wenn der Chef das anders sieht?
Das Gesetz schweigt zum Thema. Der Arbeitgeber hat jedoch eine gesetzliche Fürsorgepflicht, und aus dieser lässt sich ableiten, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Anspruch auf regelmässigen Austausch haben. Dazu gehört auch das Feedback zu Leistung und Verhalten. Zudem dürfen Mitarbeiter jederzeit ein Arbeitszeugnis verlangen . Und da dieses auch über Leistung und Verhalten Auskunft geben muss, lässt es sich nur auf Grundlage von regelmässigen Mitarbeiterbeurteilungen aussagekräftig erstellen. Zudem sind Mitarbeitergespräche in vielen Gesamtarbeits- und teils auch Einzelarbeitsverträgen vorgeschrieben.
Wenn der formelle Austausch nicht regelmässig erfolgt, ist es ratsam, selbst die Initiative zu ergreifen und ein Gespräch vorzuschlagen. Sagen Sie dem Chef, dass Sie gern mal wissen würden, wie zufrieden er mit Ihnen ist und wo Sie stehen.
Anders als ein Arbeitszeugnis, das auch Externe sehen, muss das Protokoll nicht wohlwollend formuliert sein, da es nur firmeninterne Personen zu sehen bekommen. Es darf und soll Klartext gesprochen und geschrieben werden.
Die Beurteilung muss jedoch objektiv sein, also nach einem einheitlichen und nachvollziehbaren Massstab erfolgen. Die Privatsphäre des Mitarbeiters ist zu achten. Fragen etwa zur politischen Gesinnung haben beim Standortgespräch nichts verloren.
Welche Loyalität darf der Arbeitgeber einfordern? Welche Rechte hat man, wenn man sich im Mitarbeitergespräch oder bei der Leistungsbeurteilung ungerecht behandelt fühlt? Darf der Chef private Mails mitlesen? Beobachter-Abonnentinnen und -Abonnenten wissen, welche Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis gelten, und können sich wehren, wenn es die Situation erfordert.
Entscheidend ist, dass das Mitarbeitergespräch schriftlich festgehalten und das Protokoll von beiden Parteien unterschrieben wird. Wenn eine Angestellte mit dem Inhalt nicht einverstanden ist, kann sie dies bei ihrer Unterschrift festhalten. Etwa so: «Eingesehen, aber nicht einverstanden, siehe beiliegende Stellungnahme». Dazu muss sie schriftlich und sachlich festhalten, womit sie nicht einverstanden ist und weshalb.
Bei Unklarheiten und unspezifischen Pauschalvorwürfen («Andere haben sich über Sie beklagt») sollte man nachfragen und Fakten, Zahlen, Namen und Beispiele verlangen. Und allenfalls auch ein klärendes Gespräch vorschlagen.
Im Streitfall kann ein Gesprächsprotokoll durchaus juristische Bedeutung haben. Es ist deshalb wichtig, dass auch eine allfällige Stellungnahme des Mitarbeiters zusammen mit der Qualifikation der Vorgesetzten beim Personaldossier abgelegt wird. Sonst kann sich die Arbeitgeberin später auf ihre negative Beurteilung berufen, etwa wenn es Streit ums Arbeitszeugnis gibt oder ein Angestellter sich gegen eine missbräuchliche Kündigung wehrt . Die Arbeitgeberin kann ansonsten belegen, dass sie schon länger nicht zufrieden war und der Arbeitnehmer ihr nicht widersprochen hat.
Auch bei einer Verwarnung durch den Chef, mit der man nicht einverstanden ist, sollte man auf die gleiche Art Einspruch erheben.
Die Arbeitnehmerin darf – gestützt auf das Datenschutzgesetz – jederzeit Einsicht in ihre Personalakte nehmen. Der Arbeitgeber muss ihr kostenlos eine Kopie des kompletten Dossiers zustellen. Ein «graues» Dossier, also ein inoffizielles, paralleles Personaldossier mit «vertraulichen» Informationen, die für die betroffene Person nicht zugänglich ist, ist unzulässig. Es ist jedoch erlaubt, reine Gedankennotizen zurückzuhalten.





