Update vom 4. November 2020

Bundesrat weitet rückwirkenden Erwerbsersatz aus

Der Bundesrat hat am 4. November beschlossen, dass neu auch Personen in arbeitgeberähnlichen Positionen Erwerbsersatz beziehen können. Selbständige also, die wegen Corona-Massnahmen ihre Arbeit erheblich einschränken mussten und deswegen Umsatzeinbussen zu beklagen hatten, ohne dass behördliche Verbote angeordnet worden waren. 

Die Entschädigungen im Rahmen der Covid-19-Verordnung gelten rückwirkend ab dem 17. September. Betroffene Personen können ab sofort bei den zuständigen Ausgleichskassen entsprechende Anträge stellen. Die Regelung ist befristet und gilt bis am 30. Juni 2021. 

Bisher hatten nur jene Selbständigen Anspruch auf Corona-Erwerbsersatz, die ihre Tätigkeiten einschränken mussten, weil amtliche Verbote zur Bekämpfung des Corona-Virus ausgesprochen wurden. 

Martin Kündigs Telefon klingelte ständig, nachdem der Bundesrat Mitte Oktober über die neuen Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie informiert hatte. Am Hörer waren Eventveranstalter, die ihm die Absagen ihrer Anlässe mitteilten. Einer nach dem anderen. Kündig verlor als selbständiger Tontechniker innerhalb von wenigen Tagen die meisten seiner Aufträge. «Ich schaue jetzt auf einen Winter, in dem ich wahrscheinlich keine Aufträge habe. Ich weiss zurzeit nicht, ob und wie ich Unterstützung erhalten werde», sagt der 35-jährige Familienvater. 

Im Frühling stand er bereits einmal an diesem Punkt. Doch im April beschloss der Bundesrat die Corona-Erwerbsersatzentschädigung Selbständige Habe ich Anspruch auf Entschädigung? , wovon auch er Gebrauch machen konnte und so finanzielle Unterstützung erfuhr. «Nur mit der Unterstützung vom Bund, einigen neuen Streaming-Jobs und unseren Ersparnissen war es uns möglich, den Sommer gut zu überstehen.» Am 16. September jedoch lief diese Verordnung aus. Seither haben Selbständige wie Kündig keinen Anspruch mehr auf Erwerbsersatz.

Nun kommen die neuen Massnahmen des Bundesrats hinzu, die die Schlinge noch enger werden lassen. Sie schreiben eine Maskenpflicht in Innenräumen vor – auch in Gastrobetrieben, solange Konsumentinnen und Konsumenten nicht sitzen. Zudem gilt eine Personenbeschränkung auf 100 Gäste.

Kulturlokale und Musikclubs müssen Konsequenzen ziehen

Für viele Kulturlokale, Musikclubs und Partyveranstalter bedeutet das ein faktisches Berufsverbot, weil die neuen Auflagen nicht umgesetzt werden können. Die Nachtkulturunternehmen dürfen zwar geöffnet bleiben, nur ist das wirtschaftlich nicht mehr rentabel.

«Durch die sitzende Konsumation lässt sich nur ein Bruchteil des normalen Gastronomie-Umsatzes erzielen», schreibt etwa die Bar und Club Kommission Zürich. Hinzu kämen die Mehrkosten beim Personal – schon alleine die Durchsetzung der Maskentragpflicht sei mit einem Mehraufwand von bis zu 300 Stellenprozent verbunden. 

In der ganzen Schweiz haben deshalb diverse kulturelle Einrichtungen bekannt gegeben, dass sie ihre Türen bis auf Weiteres schliessen. Für sie ist die Party ist vorbei. Und weil es keine Partys und Konzerte mehr gibt, gibt es für Tontechniker wie Martin Kündig keine Arbeit – und kein Geld. Schuld daran ist eine Lücke in der geltenden Covid-19-Regelung, die der Bundesrat im Rahmen des Notrechts einführte. 

Ein Rattenschwanz

Martin Kündig hat gemäss der Verordnung keinen Anspruch auf Erwerbsersatz, weil die Schliessung der Lokale «freiwillig» passierte – und nicht auf Anordnung der Behörden. Der Verlust seiner Aufträge durch die Schliessungen ist somit ebenfalls nicht auf eine amtliche Anordnung zurückzuführen. Deshalb kann Kündig bei der Sozialversicherungsanstalt Zürich (SVA) – sie setzt das Bundesgesetz um – keinen Erwerbsersatz geltend machen.

«Wenn die Schliessungen ein behördlicher Entscheid gewesen wären, hätte ich Anspruch auf Taggelder der SVA», erklärt Kündig. Er hätte die Aufträge, die wegbleiben, bei der SVA angeben können und so einen Tagessatz von ungefähr 150 Franken erhalten. «Dieser Betrag entspricht dem, was wir bis Mitte September erhielten.» 

Nur aber fängt ihn kein solches Netz auf und Martin Kündig bangt um seine Existenz. Auch Kurzarbeit kann er nicht beantragen, weil er selbständig ist. Die Situation sei beängstigend. «Viele meiner Kollegen in der Branche haben sich bereits verabschiedet. Für sie ist nun das Ende gekommen, weil sie finanziell nicht überleben können», erzählt Kündig.

Warten auf den Bundesrat

Das Bundesamt für Sozialversicherungen ist sich der Lücke in der aktuellen Verordnungsregelung bewusst. «Zumindest zurzeit hat eine selbständigerwerbende Person nur sehr beschränkt Anspruch auf finanzielle Hilfe.» Im Rahmen des Covid-19-Gesetzes habe das Parlament jedoch entschieden, dass Selbständigerwerbende und Gesellschafter Corona-Erwerbsersatz erhalten werden, wenn sie eine signifikante Umsatzeinbusse von mindestens 55 Prozent im Vergleich zu den Jahren 2015 bis 2019 erleiden und vorweisen könnten, weshalb diese Einbusse auf die Pandemie zurückzuführen sei. 

Nachdem das Parlament das neue Covid-19-Gesetz beschlossen hat und darin Selbständige stärker berücksichtigen will, liegt die Änderung in der Praxis nun beim Bundesrat: «Jetzt muss der Bundesrat dieses Gesetz noch auf Verordnungsstufe umsetzen, teilweise rückwirkend auf den 17. September», sagt das BSV. «Die neuen Regelungen dürften bald bekannt werden.» Danach können Selbständige wie Tontechniker Martin Kündig neue Anträge auf Erwerbsersatz bei den kantonalen SVA stellen. 

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