Sie schreiben SMS mit beiden Daumen und posten Fotos in Sekunden. Junge sind digital flink. Aber wenn sie sich online bewerben sollen, stehen viele da wie der Esel am Berg. Das stellen zumindest Berufsberater fest. «Viele Jugendliche haben grosse Mühe, sich zurechtzufinden. Auch gute Schüler», sagt Daniela Triantafyllidis vom Laufbahnzentrum der Stadt Zürich. Chatten sei eben nicht dasselbe wie Daten einzugeben oder Dokumente hochzuladen.

Genau das verlangen aber vor allem grosse Lehrbetriebe immer öfter – auch solche, die nicht primär Bürojobs anbieten. Sie setzen auf elektronische Bewerbungen und geben teilweise gar keine Postadressen mehr an. Stattdessen gibt es Formulare, die online ausgefüllt werden müssen. Die Migros hat damit bereits vor zehn Jahren begonnen. Bewerbungen auf Papier würden zwar noch akzeptiert und hätten die gleichen Chancen, man kommuniziere danach aber online mit den Bewerbern, sagt Sprecherin Martina Bosshard. Etwa die Hälfte aller Lehrstellenbewerbungen erhält die Migros noch auf dem Postweg.

Bei Schindler liegt die Onlinequote schon bei 72 Prozent. Der Aufzughersteller hat dieses Jahr erstmals alle Lehr- und Praktikumsstellen nur noch auf seiner Website ausgeschrieben und möchte grundsätzlich alle Bewerbungen online erhalten. Die Login Berufsbildung AG, die für die SBB und weitere ÖV-Firmen die Berufslehren organisiert, setzt seit fünf Jahren Onlineformulare ein. 40 Prozent der Bewerbungen treffen online ein. Für die Firmen ist das effizienter, denn die Dossiers gelangen direkt ins System. Zudem wirken die Betriebe nach aussen modern. Nur hängen sie damit einen Teil ihrer Zielgruppe ab.

Was bitte ist ein PDF?

Manche Junge scheitern schon, bevor es überhaupt losgeht. Bei vielen Firmen muss man sich registrieren, um zum Bewerbungsformular zu gelangen. Die Registrierung muss per E-Mail-Link bestätigt werden – eine Zusatzschleife, die nicht alle schaffen. Zudem sollte man sämtliche Unterlagen im richtigen Format zum Hochladen parat haben: PDFs von Lebenslauf, Motivationsschreiben, Eignungstests, Zeugnissen. «Es gibt Jugendliche, die nicht mal wissen, was ein PDF ist. Geschweige denn, wie man eine solche Datei erstellt und komprimiert», sagt Patrik Kleger von der St. Galler Lehrstellenbörse.

«Es ist auffallend, dass gerade junge Stellensuchende Mühe mit digitalen Bewerbungsformen haben», sagt Claudia Walther Jörg vom BIZ Berufsberatungs- und Informationszentrum in Thun. Die Formulare seien oft nicht auf Schulabgänger zugeschnitten. «Sie sind etwa verunsichert, wenn nach einem akademischen Titel gefragt wird.»

Auch E-Mail-Bewerbungen stellen für manche Jungen eine Hürde dar. «Einige haben keine Ahnung, was sie im Mail selber noch schreiben sollen – und ob überhaupt etwas», sagt Andreas Schaaf von der Stiftung Zukunft Thurgau, die jährlich etwa 140 Jugendliche bei der Lehrstellensuche unterstützt.

«Bei uns sind sogar Handyfotos der Dokumente möglich. Wir wollen niemanden ausschliessen.»

Giovanna Severgnini, Login Berufsbildung AG

«In einem Fall habe ich es nicht geschafft, den Anhang für die E-Mail-Bewerbung zu verkleinern», erzählt eine Jugendliche, die bei der Thurgauer Stiftung ein sogenanntes Motivationssemester absolviert. «Mein Lehrer konnte es auch nicht, und als ich in der Firma anrief, sagte der Chef, er akzeptiere nur E-Mail-Bewerbungen.» Fazit: «Ich habe mich dort dann halt nicht beworben.» 

Eine andere füllte das Onlineformular bis zum Schluss aus, dann wurde sie dazu aufgefordert, den Eignungstest hochzuladen. «Den hatte ich aber noch gar nicht», sagt sie.

Das Motivationssemester absolvieren vor allem Lehrabbrecher oder Jugendliche, die nach dem kantonalen Brückenangebot keine Lehrstelle finden. In Sachen Bewerbung sind viele Digital Natives erstaunlich konservativ. «Ich finde es übersichtlicher, wenn alles ausgedruckt vor mir liegt», sagt eine Teilnehmerin. «Am liebsten bringe ich die Bewerbung selber vorbei. Ich bin da halt altmodisch», ein anderer.

Die Arbeitgeber ticken anders. Wer nicht mit digitalen Bewerbungen klarkomme, müsse sich Unterstützung holen, lautet der Tenor. 

«Es gibt Nachhilfebedarf»

Ganz im Regen stehen lassen will man die Bewerber aber nicht. So will die Firma Schindler fürs Erstellen von PDF-Dokumenten demnächst eine Anleitung aufschalten. «Wir haben erkannt, dass hier Nachhilfebedarf besteht», sagt Frédéric Michaud, Projektleiter E-Recruiting. 

Die Login Berufsbildung AG hat das Vorgehen vereinfacht. «Man muss Dokumente nicht in einem bestimmten Format hochladen, sogar Handyfotos sind möglich», sagt Giovanna Severgnini, Leiterin Selektion. «Wir wollen niemanden ausschliessen, nur weil er niemanden hat, der ihm hilft.» 

Berufsberater bemängeln, in der Schule werde das Kapitel Onlinebewerbung oft stiefmütterlich behandelt. Das bestätigt auch Severgnini: «Der Anschluss an die Berufswelt wäre bestimmt besser, wenn man darauf mehr Wert legen würde.»

Der Pizzaiolo, der ein Bewerbungsvideo einsenden muss

Onlinebewerbungen können auch für ältere Stellensuchende mit geringen Qualifikationen zur Herausforderung werden. Selbst für einfache Jobs, für die keine PC-Kenntnisse nötig sind, verlangen Firmen zunehmend Onlinedossiers.

Diese Erfahrung machte der 47-jährige ungelernte Pizzaiolo Mahir W*. Er stammt aus Bangladesch und lebte mit seiner Familie 20 Jahre in Italien, wo er als Pizzabäcker und Küchenhilfe im Restaurant arbeitete. Vor vier Jahren kam er als Pizzaiolo in die Schweiz. 

Seit vier Monaten sucht er jetzt eine neue Stelle und bewarb sich unter anderem bei der US-Kette Domino’s Pizza. Er erhielt eine E-Mail mit der Bitte, eine App herunterzuladen, um ein Video-Interview zu erstellen. Für Mahir W. ein Ding der Unmöglichkeit. «Ich verstand schlicht nicht, wie das funktioniert.» 

Er fragte seine Beraterin bei der Fachstelle Impuls des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks (SAH) in Zürich. «Mit Herrn W.s Handy war es gar nicht möglich, die App herunterzuladen, und einen PC hat er nicht», sagt sie. Mahir W. bewarb sich nicht.

Wozu muss ein Pizzaiolo eine App bedienen können? Domino’s Pizza begründet es mit Zeitgewinn: Video-Interviews würden seit 2015 für alle Jobs eingesetzt, weil man so gleich die Deutschkenntnisse des Bewerbers erkenne und Vergleiche ziehen könne, ohne alle einladen zu müssen. «Für uns ist es eine grosse Entlastung», sagt HR-Managerin Alexandra Scherrer. Wenn jemand damit nicht klarkomme, gebe es andere Wege. «Ich habe auch schon ein Telefoninterview gemacht, weil der Bewerber Mühe hatte und deswegen anrief.»

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Jasmine Helbling, Redaktorin
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