Wenn Mo Sherif eine Überweisung machen will, ist das für ihn vor allem eines: mühsam. Nicht, weil er sie nicht bezahlen könnte, sondern weil er nicht sehen kann. Denn Sherif ist von Geburt an blind. Ihm und weiteren rund 380’000 Menschen mit Sehbehinderung in der Schweiz werden im Internet immer wieder Steine in den Weg gelegt.

Eigentlich wären Digitalangebote für ihn eine Chance. «Sie geben dir Selbständigkeit zurück», sagt Sherif. Die Rechnung käme digital in sein E-Mail-Postfach, oder er erhielte eine E-Rechnung. Dann wäre er mit ein paar Klicks in seinem E-Banking, wo er dank spezieller Software auch blind navigieren und alles überweisen könnte. Wäre, käme, könnte – die Realität sieht oft anders aus. Denn noch immer hinken viele Schweizer Banken bei der Barrierefreiheit ihrer Websites und E-Bankings hinterher.

Vielerorts fehlt es offenbar am Bewusstsein, wie sich Menschen mit Sehbehinderung im Internet zurechtfinden. Sherif benutzt zum Beispiel einen sogenannten Screenreader, der ihm den Inhalt der Website in rasantem Tempo vorliest – ungeübte Ohren können dabei kaum folgen. Mit der Tastatur kann er dann verschiedene Elemente ansteuern und sich so zu den Informationen vorarbeiten, die er benötigt.

Das Problem: Viele Websites sind nicht entsprechend programmiert, so dass wichtige Informationen für den Screenreader fehlen oder die Navigation umständlich bis unmöglich ist. Als Berater für Barrierefreiheit bei der Stiftung «Zugang für alle» weiss Sherif das nur zu gut. «Viele Websites sind für mich im Wesentlichen unbrauchbar», sagt er. «Und die Verbesserungen geschehen nur langsam. Das schliesst mich von vielen Digitalangeboten aus.» Während Barrierefreiheit am Bahnhof, in öffentlichen Gebäuden oder in neuen Zügen immer wieder thematisiert wird, sieht die Lage also im digitalen Raum ernüchternd aus. Das gilt auch für viele Websites der dreizehn grössten Banken der Schweiz, wie Andreas Dietrich von der Hochschule Luzern herausfand.

Verbesserungspotenzial bei Banken

Der Professor für Banking wollte sich mit seinem Team einen Überblick verschaffen und untersuchte unter anderem die Websites von Postfinance, UBS, CS, Raiffeisen und Migros-Bank auf ihre Barrierefreiheit hin: Kommen Menschen mit Sehbehinderung an alle Informationen, die sie brauchen? Können sie auf der Seite navigieren und das Login zum E-Banking finden? Und werden ihre besonderen Bedürfnisse irgendwo thematisiert?

Dabei stellte Andreas Dietrich viel Verbesserungspotenzial fest. Bereits einfache und wesentliche Dinge funktionieren nicht: zum Beispiel Buttons, Bilder und Grafiken, für die kein Alternativtext hinterlegt ist. Dieser Text wird im Hintergrund der Seite abgespeichert und kann von Screenreadern abgerufen werden. Dann weiss die Person, was auf dem Bild sichtbar ist oder was die Funktion eines Buttons ist. Für blinde Menschen ist das oft die einzige Information, die sie über ein Bild erhalten.

Andreas Dietrich überprüfte gemeinsam mit seinem Team auch, ob sich eine blinde Person auf den Websites überhaupt zurechtfinden kann: Lässt sich die Webseite bloss mit der Tastatur navigieren? Denn einer blinden Person bringt der Mauszeiger gar nichts. Oder: Werden die unterschiedlichen Elemente – Menüpunkte, Spracheinstellungen, Login-Bereich, Fusszeile – mit dem Screenreader in einer logischen und intuitiven Reihe anvisiert? Geschieht das nicht, fühlen sich blinde Menschen schnell wie in einem Labyrinth gefangen.

Postfinance ist vorbildlich

All das sind eigentlich Mindestanforderungen für moderne Websites. Und wenn Banken die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen berücksichtigen würden, wären die Probleme auch einfach zu beheben. Dass das zu wenig gemacht wird, zeigt ein weiterer Befund der Studie: Nur ein Drittel der Banken setzt sich auf der Website überhaupt mit dem Thema Barrierefreiheit auseinander und bietet zum Beispiel eine Informationsseite oder Kontaktadressen an.

Einzig die Postfinance legt einen vorbildlichen Umgang mit der Thematik an den Tag. Sie erklärt auf einer separaten Seite ausführlich, wie sich die Website barrierefrei nutzen lässt, und setzt in der Untersuchung der HSLU die meisten Bedingungen für Barrierefreiheit um. Auch von der Stiftung «Zugang für alle» erhielt sie das zweithöchste Zertifikat für Barrierefreiheit. Bei ihr sind blinde Menschen gut aufgehoben.

Andere, wie die Basler oder die Zürcher Kantonalbanken, müssen noch über die Bücher. Bei der BKB gibt es Probleme beim Login zum E-Banking, während die ZKB Grundanforderungen – wie Alternativtexte bei Links, Bildern oder Buttons – nicht erfüllt. Beide bieten zudem keine Informationen für Menschen mit Behinderungen auf ihren Websites.

Die ZKB schreibt dazu: «Wir sind laufend damit beschäftigt, unsere Dienstleistungen zu verbessern und auch das Thema Barrierefreiheit in der Entwicklung angemessen zu berücksichtigen.» Sie werde die Studie genauer analysieren und allfällige Massnahmen ergreifen. Die BKB gibt an, dass bereits Verbesserungen vorgenommen wurden – wobei die Studie zeige, «dass die Barrierefreiheit unseres Webauftritts noch zu wenig konsequent angegangen wird». Deshalb wolle sie die Website nochmals überprüfen und weitere Verbesserungen umsetzen.

Gesellschaftliche Verantwortung übernehmen

Andreas Dietrich betont, dass es in der Studie nicht darum ging, schwarze Schafe zu identifizieren oder ein Ranking zu schaffen. Wichtiger sei ihm, auf das Thema Barrierefreiheit bei digitalen Finanzdienstleistungen überhaupt aufmerksam zu machen. «Wir haben eine gesellschaftliche Verantwortung, in der digitalen Transformation an alle Menschen zu denken und alle mitzunehmen», sagt Andreas Dietrich. «Wenn es keine Schalter mehr gibt, an denen man sich beraten lassen kann, so müssen zumindest die digitalen Schalter für Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen nutzbar sein.»

In der Verfassung steht ein Gleichstellungsgebot, das die Diskriminierung wegen körperlicher Behinderungen verbietet. Auf die tatsächliche Gleichstellung im Alltag hat das aber offensichtlich noch zu wenig Einfluss. Ein Grund, weshalb am 27. April die Inklusionsinitiative lanciert wurde, die die tatsächliche Gleichstellung «in allen Lebensbereichen» in der Verfassung festschreiben will. Bei barrierefreien Websites wäre es keine Hexerei, diese Inklusion zu leben. Das bestätigt Sherif: «Es gibt durchaus Banken wie die Postfinance, die ihre digitalen Angebote barrierefrei gestalten. Das zeigt ja, dass es geht.» Man muss es nur machen.