In aller Kürze
Das entliebte Paar
Die Liebesbeziehung
Die Trennung
Was bleibt

Wegen Tim und einer überraschenden Schwangerschaft liess Hannah ihr bisheriges Leben hinter sich: Sie verabschiedete sich von Job, Freunden und tiefen Überzeugungen und zügelte ans andere Ende der Welt. So was geht selten reibungslos. Hier erzählt die 48-Jährige ihre Geschichte – in fünf Kapiteln:

I. Aus und vorbei: «It’s always sad at home»

Beobachter Schöner scheiden: Ein Herz zerreisst in zwei Hälften.

Namen und Orte wurden teilweise verfremdet – die Gefühle sind echt.

Quelle: Joël Borter - Fotos: Freepik

Das Ende unserer Liebesbeziehung kam eigentlich von unserem Sohn aus. Collin hatte plötzlich angefangen, auf dem Heimweg vom Kindergarten wieder in die Hose zu machen, nachdem das vorher jahrelang kein Thema mehr gewesen war. Ich fragte: «Hey, Collin, was ist los? Wieso passiert das? Du weisst doch, wie man aufs WC geht.» Und er hat geantwortet: «Whenever I go back home, I get the blues.» Ich hab nur leer geschluckt, und er: «It’s always sad at home.»

Kapitelübersicht

Das hat mir so sehr das Herz gebrochen. Bei uns zu Hause herrschte damals wirklich eine Stimmung wie in einem Eispalast. Und mir wurde schlagartig bewusst, dass wir unserem Sohn ja damit vorlebten, wie Mann und Frau in einer Beziehung miteinander umgehen. So ein kühles Nebeneinander. Und da haben Tim und ich uns hingesetzt und gesagt: «Okay – fertig. Das wollen wir beide nicht.»

II. Wie alles begann: «Es fühlte sich an, als sei es meant to be»

Beobachter Schöner scheiden: Ein Falte bewegt seine herzförmigen Flügel.
Quelle: Joël Borter - Fotos: Freepik

Tim und ich haben uns 2010 in Indien kennengelernt, auf einem Klettertrip. Er ist Neuseeländer, wohnte damals in Wellington und arbeitete an seiner Doktorarbeit. Ich lebte damals in Kopenhagen, wo ich studiert hatte und danach hängengeblieben war.

In Indien war ich mit einer Freundin unterwegs. Ich war seit einigen Monaten Single, und sie hatte gerade eine schlimme Trennung hinter sich. Deshalb wollten wir uns nur aufs Klettern konzentrieren. Wir hatten uns gesagt: «Ey, auf dem Trip: keine Männer. Wir lassen den ganzen Gerümpel weg und werden so hart klettern wie möglich – keine Ablenkungen.»

Aber dann bin ich halt Tim begegnet, mit seinen blauen Augen, und – paff! Ich hab mich richtig schnell verliebt. Ich hab mich gar nicht wiedererkannt.

Als Tim dann schon nach zwei Wochen wieder zurück nach Neuseeland musste, sass ich da und heulte, wirklich wie ein Schlosshund. Das war überhaupt nicht ich – ich bin sonst eher kontrolliert.

Kaum zu Hause, flog ich zu ihm nach Wellington. Tim nahm sich 14 Tage frei, und wir gingen klettern. Und in diesen Kletterferien wurde ich schwanger. Da waren wir vielleicht einen Monat zusammen.

«Eine Flasche Wein getrunken – so als Statement gegen diese Schwangerschaft.»

Dabei hatte ich mich damals von meinem vorherigen Partner getrennt, weil er unbedingt ein Kind wollte – und ich unbedingt nicht. Ich hatte Musik studiert, war freischaffende Künstlerin, und ein Kind passte wirklich überhaupt nicht in meinen Lebensentwurf. Ich habe diesen Kinderwunsch nie in mir gespürt. Und ich weiss ja eigentlich auch, wie man kein Kind bekommt. Aber ich war so verliebt.

Und der erste Reflex war dann schon, die Schwangerschaft abzubrechen – denn das geht eh nicht, er in Neuseeland, ich in Kopenhagen … Weiter kann man fast nicht auseinander sein.

Ich hab dann einen Termin bei meiner Gynäkologin vereinbart, um die Abtreibung zu besprechen. Und ich habe mit einer Freundin eine Flasche Wein getrunken – so als Statement gegen diese Schwangerschaft.

Eigentlich war schon alles aufgegleist, aber dann sagte mein ganzer Körper irgendwie sehr physisch und wider alle Vernunft: «Nein, wegmachen wäre schlimm.» Es fühlte sich an, als sei es meant to be. Und Tim dachte ähnlich. Also wollten wir schauen, dass wir dieses gemeinsame Leben zusammen hinbekommen.

Dann war ich da in Kopenhagen, allein und schwanger, und Tim auf der anderen Seite der Welt. Ich wollte in Dänemark gebären, weil es da 50 Wochen Elternzeit gibt.

«Und dann waren wir dort in Wellington – und ich war sehr unglücklich.»

Sechs Wochen nach der Geburt flog ich mit dem kleinen Bündel nach Wellington, mit dem Ziel, dort zu leben. Tim hatte schon damals in Indien gesagt, er werde nie aus Neuseeland weggehen. Und ich so: «Ich kann überall leben, mir ist schnell wohl.» 

Ausserdem wollte ich auf keinen Fall eine Single Mom werden. Ich bin mit einer alleinerziehenden und berufstätigen Mutter aufgewachsen und hab gesehen, was das heisst. Das wollte ich nicht wiederholen.

Und dann waren wir dort in Wellington – und ich war sehr unglücklich. Auf einmal war ich genau in dieser Mutterrolle, die ich nie gewollt hatte, so ganz klassisch: er am Arbeiten und ich zu Hause mit dem Baby, ohne Unterstützung. Ich kannte niemanden dort, und er hatte nur ein paar Uni-Kumpels. Und seine Eltern lebten dreieinhalb Autostunden weg.

«Das Baby allein aufziehen war echt heftig.»

Ich war auch finanziell plötzlich mega abhängig. Ich bin freischaffende Musikerin – ich mache Elektronik, eher so Experimental-Zeug, keine Chartmusik. In dieser Szene lebt man von seinem Netzwerk. So war ich darauf angewiesen, dass mir Tim ein Taschengeld gibt. Was von ihm her total easy war. Aber für mich hat das viel mit unserer Beziehung gemacht. Mit mir, mit meinem Stolz.

Und das Baby allein aufziehen war echt heftig. Collin schrie viel und schlief nicht. Deshalb hatten wir bald getrennte Schlafzimmer. Dadurch ist auch unsere körperliche Nähe sehr schnell eingeschlafen. Und so wirklich unangestrengt wurde es danach nie wieder.

So haben wir uns durchgeschleift. Aber nach einem Jahr, als Tim mit seiner Doktorarbeit fertig war, sagte ich: «Einfach Europa – wohin, ist mir egal, aber Europa.»

III. Der Anfang vom Ende: «Wir haben nicht miteinander geteilt, wie einsam wir eigentlich sind»

Beobachter Schöner scheiden: Zwei von Fliegen befallene Herzen.
Quelle: Joël Borter - Fotos: Freepik
Hannahs Lied zum Leid

Gorillaz: «On Melancholy Hill» (2010)

Tim erhielt dann ein Angebot der ETH, ein Traumjob für ihn, das half uns massiv. Und so zogen wir nach Lugano, wo die ETH alle ihre Supercomputer hat.

Das Problem war: Lugano ist einfach auch ein shithole, irgendwie. Zum Ferienmachen schön, aber sonst klein und eng. Leider schafften wir es dort nicht, einen Freundeskreis aufzubauen. Selbst die Kletterleute waren abweisend – sobald sie merkten, dass ich eigentlich Deutschschweizerin bin, wars gelaufen.

«Das Hauptproblem war, dass wir nicht miteinander geteilt haben – wie einsam wir eigentlich sind.»

Tim war auch sehr einsam. Er hatte zwar die Arbeit und da seine Expat-Bubble. Aber das waren halt auch nicht enge Freunde. Das Hauptproblem war, dass wir das nicht miteinander geteilt haben – wie einsam wir eigentlich sind. Wir haben uns selbst darin noch gegenseitig allein gelassen.

Aber ich hatte damals das Gefühl, ich hätte schon in Wellington so schwierig getan. Und dann kommen wir in die Schweiz, in mein Land, und es passt mir wieder nicht – nachdem ich behauptet hatte, ich könne überall leben. Darum versuchte ich, mich zusammenzureissen, so: «Yayyy! Danke fürs Herzügeln!»

Und Tim hatte auch Schuldgefühle, weil er dachte, wir seien wegen seines Jobs da und er hätte mich in diese Situation gebracht.

Die vier Jahre in Lugano waren lang. Zu lang, um unsere Beziehung da hindurchzuretten.

«Und wie es so geht, hatte ich dann eine Affäre.»

Wir hatten zwar nie einen Streit – wirklich nie. Schrecklich, eigentlich. Wir haben versucht, dem anderen möglichst viel Raum zu geben, und haben uns dabei einfach freundlich auseinandergelebt. Sobald wir abends Collin ins Bett gebracht hatten, verschwand jeder in seinem Zimmer. So eine freundlich unterkühlte Stimmung.

Und wie es so geht, hatte ich dann eine Affäre. Ich war nicht verliebt oder so. Es ging wirklich nur darum, mir meiner eigenen Unzufriedenheit bewusst zu werden. Ein bisschen Ghetto machen, ein Aufbrechen von etwas.

Die Affäre war für uns beide kein Trennungsgrund. Aber es war wohl der Moment, in dem mir klar geworden ist, dass ich wieder mal gesehen werden möchte. Dass ich ein Gegenüber brauche. Oder möchte.

Etwa zur selben Zeit erhielt Tim die Möglichkeit, seinen Job von Zürich aus zu machen. Und so beschlossen wir, noch zusammen nach Zürich zu ziehen und zu schauen, was eine gute Stadt mit uns macht.

IV. Das neue Miteinander: «Wir leben immer noch zusammen, obwohl Tim und ich beide längst in neuen Partnerschaften sind»

Beobachter Schöner scheiden: Ein gebrochenes Herz fügt sich zusammen und wird mit einem Pflaster geklebt.
Quelle: Joël Borter - Fotos: Freepik

Ich finde Zürich grossartig, eine wunderschöne Stadt. Und eigentlich hatten wir uns in dieser 3,5-Zimmer-Wohnung und im Quartier sehr gut eingelebt, als Collins Traurigkeit uns zwang, nochmals genau hinzuschauen. 

Durch den Entscheid, uns zu trennen, hatte sich zu Hause alles schon mega entspannt. Aber dann war die Frage: Wie weiter? Wir hatten Collin gerade erst hergezügelt und wollten ihn nicht schon wieder aus allem herausreissen. Aber das Nestmodell konnten wir uns nicht leisten.

Also sagten wir: «Easy, wir bleiben einfach mal und schauen, bis sich was ergibt.» Aber es war ganz klar, dass das eine provisorische Lösung ist. Mittlerweile ist das sieben Jahre her, und wir leben immer noch zusammen, obwohl Tim und ich beide längst in neuen Partnerschaften sind.

«Ich war anfangs fast eifersüchtiger wegen Collin.»

Wir kamen beide gar nie gross ins Daten. Tims zweites Date war schon Sophie, seine jetzige Partnerin. Und ich bin nun auch schon vier Jahre mit Dani zusammen. Anfangs hatten wir die Regel, dass der oder die Neue wieder weg ist, wenn einer von uns nach Hause kommt. Aber irgendwann hat man sich dann halt doch gekreuzt. Es dauerte aber sicher Monate, wenn nicht ein Jahr, bis ich Sophie mal wirklich getroffen habe.

Zuvor hat Tim mal vergessen, ihr Badetuch wegzuräumen. Und da kam dann doch diese Eifersucht. Das auszuhalten, dass da jemand an meinem Platz ist, ganz nahe, in meinem Leben drin. Das war schon schwierig. Umgekehrt für Tim auch.

Ich kann mir das heute gar nicht mehr vorstellen. Jetzt sieht das alles so einfach aus. 

Und wie geht deine Trennungsstory?

Wir sammeln inspirierende Beispiele von Ex-Paaren, die trotz Beziehungsende gemeinsam weiterkutschieren. Erzähl uns deine Geschichte!

Ich war anfangs fast eifersüchtiger wegen Collin – dass diese Frau jetzt auch Zeit mit meinem Sohn verbringt. Dabei hätte ich doch froh sein müssen, dass es die beiden gut haben. Irgendwann habe ich realisiert, dass ich immer das Mami bleibe, ganz unangefochten.

Heute gehört Sophie einfach zu meinem Leben. Wir haben sogar einen Hund zusammen. Und Tim und Dani verstehen sich auch wirklich gut. Die beiden gehen auch mal zusammen an ein Fussballspiel oder so. Wir hatten beide das Glück, sehr passende neue Partner zu finden. Sonst wärs wohl schwierig geworden.

V. Wie weiter: «Wir sind immer noch verheiratet, aber es fühlt sich jetzt auch nicht total falsch an»

Beobachter Schöner scheiden: Zwei herzförmige Wegweiser zeigen in verschiedene Richtungen.
Quelle: Joël Borter - Fotos: Freepik

Meine Beziehung zu Tim wird immer schöner. Es klingt kitschig, aber es hat sich so gelohnt, das alles durchzustehen. Wir leben jetzt doch 15 Jahre zusammen und kennen uns so gut und müssen so nichts, weil wir das ganze Beziehungsding nicht auch noch abhandeln müssen. Und die körperliche Anziehung ist so was von gegessen. Ich glaube, das ist wichtig.

Aber ich kann sagen, dass ich für Tim eine Art Liebe empfinde. Wir sind auch immer noch verheiratet. Zwar eher, weil wir zu faul sind, um die Scheidung anzugehen, aber es fühlt sich jetzt auch nicht total falsch an. Allerdings: Würde ich im Koma liegen, hätte Tim als Ehepartner viel mehr Rechte als mein aktueller Partner. Dani stört das nicht. Vielleicht beschäftigt es mich mehr als ihn. Er zieht übrigens bald in unsere Nachbarwohnung.

Es hätte jetzt die Möglichkeit gegeben, auszuziehen. Aber ich lebe gern mit Tim zusammen. Und weder er noch ich haben Lust, das Familiengefüge aufzulösen, auch wenn Collin schon bald Richtung Lehrstellensuche geht. Unser Lebensmodell gegen aussen zu erklären, ist manchmal immer noch mühsam. Ich glaube, vor allem Collin findet das mega anstrengend, ständig erklären zu müssen, dass seine Eltern getrennt sind, aber wir alle noch zusammenwohnen – gerade in seinem Alter, wo du so viele Leute kennenlernst. Oder im Schulkontext, wenns irgendeine Veranstaltung gibt und wir da halt auch mal zu viert ankommen.

«Am meisten stolz bin ich auf die Zeit nach der Trennung.»

Selbst in meinen Musikerkreisen gibts immer wieder Leute, die finden: «That’s fucked up! Du kannst doch nicht mit deinem Ex zusammenleben?!» Man muss den Menschen einfach etwas Zeit geben, sich auf neu Gedachtes einzulassen. Mittlerweile erkundigt sich sogar das Grosi von nebenan: «Und wie geht es Ihrem Partner?» Und meint Dani.

Von Kolleginnen oder Kollegen habe ich anfangs oft gehört: «Wow, das wäre bei uns nie gegangen!» Aber vermutlich würde dieses Modell bei mehr Leuten funktionieren, als man meint. Ich kanns jedenfalls sehr weiterempfehlen.

Am meisten stolz bin ich auf die Zeit nach der Trennung, als auch unsere neuen Partner dazukamen. Dass es möglich ist, sich durch so was durchzuarbeiten. Unsere Erfahrung hat mich gelehrt, dass in einer Beziehung so viel mehr möglich ist als dieses Binäre «Ich liebe dich, ich liebe dich nicht mehr». Ich würde mich nie als polyamor bezeichnen, aber was Tim und ich haben, konnte nur wachsen, weil wir bereit waren, die Besitzansprüche und die Eifersucht zu überwinden und offen zu sein.

Ich habe angefangen, auch andere Konzepte völlig neu zu denken. Was ist eigentlich eine «Familie»? Was ist eine «Ehe»?

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