Jedes Jahr verlieren rund 1000 Scheidungskinder den Kontakt zu ihrem Vater. Keine Treffen. Keine Telefonate. Kein Skype. Das geht aus Zahlen des Bundesamts für Statistik hervor.

Wie Jonas* (11) und Jael* (8) aus dem Aargau. Auch nach der Trennung vor sechs Jahren wollten sie ihren Vater sehen. Er wollte das auch, doch nicht um jeden Preis. Im vorletzten Sommer hat er deshalb den überwachten Kontakt zu seinen beiden Kindern abgebrochen und suchte sich einen Anwalt.

Elias Biton* ist in den Augen der Kinderschutzbehörden zu gefährlich für seine Kinder. Zum einen, weil er an einer Störung aus dem schizophrenen Formenkreis leidet und deshalb eine volle IV-Rente erhält. Zum anderen, weil er seine Ex-Frau geohrfeigt hat.

Die Kesb-Beiständin taxierte sein Verhalten der Mutter gegenüber als Gefährdung des Kindswohls. Seither konnte er seine Kinder nur noch unter Aufsicht besuchen. Alle zwei Wochen dreieinhalb Stunden. Seit vier Jahren.

Die Behörden nennen solche überwachten Treffen begleitete Besuchstage. Die Kesb kann sie anordnen, wenn sie das Kindswohl gefährdet sieht, etwa wenn den Kindern Gewalt droht.

Biton will nicht länger hinnehmen, dass seine Kinder nicht zu ihm nach Hause kommen dürfen. Nur weil er krank sei, ginge von ihm noch keine Gefahr aus, argumentierte sein Anwalt vor Gericht. Der Eingriff ins Familienleben sei unverhältnismässig.

«Das blosse Vorliegen einer psychischen Krankheit ist noch kein Grund, ein übliches Besuchsrecht zu verweigern.»

Schweizerisches Bundesgericht

Vor Bundesgericht erhielt Biton Recht. «Das blosse Vorliegen einer psychischen Krankheit ist noch kein Grund, ein übliches Besuchsrecht zu verweigern», rügten die Bundesrichter. Ein grosser Erfolg. Dass ein Kläger vor Bundesgericht gegen die Kesb gewinnt, gelingt nur in fünf Prozent der Fälle gemäss einer Auswertung der Tamedia-Zeitungen (Registrierung erforderlich)

Miserables Zeugnis für Aargauer Justiz

Das Urteil des Bundesgerichts hat der emeritierte Professor Thomas Geiser verfasst. Darin stellt er der Aargauer Justiz ein miserables Zeugnis aus, was ihren Umgang mit psychisch Kranken betrifft. Die Oberrichter hätten argumentiert, dass Schizophrenie «ein übliches Besuchsrecht von vornherein nicht ohne Weiteres zulasse». Das sei falsch.

Das Obergericht habe nicht näher erklärt, inwiefern der kranke Vater das Wohl seiner Kinder konkret gefährde. Dass sein Verhalten «in Folge seiner Erkrankung oft merkwürdig» sei, reiche nicht als Grund. Auch nicht, dass er seine Ex-Frau zweimal geschlagen habe, ohne dass die Kinder dabei waren. Allerdings kam es möglicherweise zu weiteren Aggressionsvorfällen, die nicht aktenkundig sind.

«Das Besuchsrecht nur begleitet zuzulassen, ist ein schwerer Eingriff in die Beziehung zwischen dem Kind und diesem Elternteil», sagt der nebenamtliche Bundesrichter Geiser. Die Kesb müsse immer abwägen, ob die Begleitung einem Kind mehr schade als der unbegleitete Besuch.

Das Warten geht weiter

«Es geht beim begleiteten Besuchsrecht um die Einschätzung der Zukunft, nicht um die Beurteilung der Vergangenheit», erklärt Geiser weiter. Wenn jemand den anderen Elternteil geschlagen habe, heisse das nicht zwingend, dass er in Zukunft seine Kinder schlagen werde. Das mache Entscheide so schwierig. «Ohne ein Gutachten wird ein Gericht oder eine Kindesschutzbehörde kaum auskommen», so Geiser.

Das Aargauer Obergericht hat inzwischen die Argumentation des Bundesgerichts in einem zweiten Urteil übernommen. Nun soll ein Gutachten klären, ob die Kinder zum Vater kommen können. Der kranke Vater kann seine Kinder aber erst wieder ohne Aufsicht sehen, wenn ein Unbedenklichkeitszeugnis vorliegt. Bis dahin leiden Jonas, Jael und ihr Vater weiter.

* Name geändert

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