Beobachter: Viele Krankheiten entstehen durch zu wenig Bewegung oder eine schlechte Ernährung. Um einen gesunden Lebensstil zu fördern, bieten Krankenkassen deshalb Bonusprogramme. Wie funktionieren sie?
Felix Schneuwly
: Bonusprogramme sind im Normalfall an Zusatzversicherungen gekoppelt. Sie spornen Frauen und Männer an, etwas für ihre Gesundheit zu tun – sei es über ein Fitnessabo, einen Schrittzähler, eine Ernährungsberatung oder mit einer Rauchentwöhnung. Wer sein Ziel erreicht, bekommt Gutscheine oder Rabatte, zahlt also weniger Prämien.


Machen da nicht nur Menschen mit, die schon fit sind?
Das ist bei Prävention im Gesundheitsbereich leider oft so. Fitte Menschen müssen nur noch aufzeichnen, was sie sowieso schon tun. Hohe Kosten verursacht aber nicht die junge Athletin, sondern der stark übergewichtige Senior. Ein Bonusprogramm muss so attraktiv sein, dass auch er sich motiviert fühlt, mit mehr Bewegung und besserer Ernährung gesünder zu werden. Das kostet mehr Überwindung.


Eine Krankenkasse kann aber nicht erwarten, dass ein übergewichtiger Versicherter 10'000 Schritte am Tag geht.
Das tut sie auch nicht. Ein gutes Bonusprogramm ermöglicht individuelle und realistische Ziele. Es reicht, wenn der Übergewichtige 4000 Schritte am Tag macht – Hauptsache, er bleibt dabei. Ein Ziel muss messbar und klar definiert sein. Nur so lässt sich später prüfen, ob es auch erreicht wurde. Die Digitalisierung vereinfacht das enorm. Oft müssen Versicherte sich nicht um die Daten kümmern – sie werden automatisch vom Schrittzähler auf die App der Krankenkasse übertragen.


Ist das nicht heikel?
Es kann heikel sein, muss aber nicht. Beim Datenschutz horchen die Kritiker immer auf. Mich nervt diese Angst vor möglichen Horrorszenarien. Wäre man im Strassenverkehr so vorsichtig, dürften sehr viele Menschen nicht mehr Auto fahren. Die Versicherungsbranche ist träge und wagt wenig. Dabei brauchte man nur klar definierte Regeln. Wer gegen diese verstösst, verliert seine Bewilligung. So einfach geht das.
 

Was machen die Krankenkassen mit den Kundendaten?
Wenig. Die werden in riesigen Mengen gesammelt, und niemand weiss so recht, wofür. Noch ist es den Krankenkassen verboten, Daten zu analysieren und Kunden zu kontaktieren. Es gibt Bestrebungen, das zu ändern. Aber wer weiss, wie lange das dauert. Dabei würden Versicherte erheblich profitieren.
 

Wie?
Ich mache ein Beispiel: Eine Krankenkasse wertet Daten aus und bespricht diese mit medizinischen Fachpersonen. Dabei zeigt sich, dass Frauen ab 65 Jahren besonders häufig an einer gewissen Krankheit leiden. Um die Beschwerden hinauszuzögern oder gar zu vermeiden, könnte eine Kasse ihre Kundinnen schon Jahre vorher warnen und auf das Präventionsangebot hinweisen. Das Bonusprogramm wäre ein Anreiz, da teilzunehmen.

«Niemand weiss so recht, wofür Daten in riesigen Mengen gesammelt werden.»

Felix Schneuwly

Sind Versicherte bereit, solche Angebote anzunehmen? Sie verlieren so ihre Privatsphäre.
Wenn die Versicherten einen Vorteil bekommen, geben sie ihre Daten in der Regel gern preis. Bessere Gesundheit für etwas weniger Anonymität, das ist ein guter Deal. Es geht ja nicht um eine Bevormundung. Die Krankenkasse macht nur Vorschläge und gibt Anreize, zum Handeln wird aber niemand gezwungen.
 

Dann muss man auch nicht mit Konsequenzen rechnen, wenn man kein Bonusprogramm nutzt?
Nein. Wer nicht teilnimmt, darf sich aber auch nicht aufregen, wenn andere begünstigt werden.
 

Vor zwei Jahren gab es Wirbel um ein Bonusmodell für Grundversicherte der Helsana. Es wurde kritisiert, weil kranke, behinderte oder technisch nicht versierte Personen keinen Zugang haben.
Ich kann die Kritik nicht nachvollziehen. Das Modell belohnt Teilnehmer mit Barauszahlungen aus freien Mitteln der Zusatzversicherungen – Grundversicherte finanzieren es also nicht mit. Sie können frei entscheiden, ob sie teilnehmen wollen. Wer das nicht tut, hat keinerlei Nachteile. Im Gegenteil: Von sinkenden Prämien profitieren alle. Ausserdem können kranke und behinderte Personen ihre Ziele individuell definieren. Wer technisch nicht versiert ist, findet im Bekanntenkreis sicher Unterstützung.
 

Untergraben Bonusmodelle nicht das Solidaritätsprinzip? Es besagt, dass alle dieselbe Prämie zahlen – ob jung oder alt, gesund oder krank.
In gewisser Weise, ja. Zum Beispiel bei den Rabatten auf Wahlfranchisen und Hausarztmodelle. In der Grundversicherung müssen Solidarität und Eigenverantwortung im Gleichgewicht sein. Davon sind wir im Moment weit entfernt. Wir müssen Menschen mehr Eigenverantwortung zutrauen! Wer fahrlässig mit seiner Gesundheit umgeht, soll auch gewisse Konsequenzen tragen.
 

Steigende Prämien führen aber auch zu höheren Einnahmen.
Krankenkassen wird ständig vorgeworfen, dass sie keine gesunden Kunden wollen. Das stimmt nicht. Sie wissen, dass Prämien nicht unendlich steigen können, das gefährdet das ganze System und auch sie als Unternehmen. Ich nehme Krankenkassen durchaus ab, dass sie ein Interesse daran haben, ihre Kunden für einen gesünderen Lebensstil zu motivieren. Ein bisschen mehr Mut und weniger Schwerfälligkeit würde ihnen aber guttun. Was Bonusmodelle betrifft, ist Deutschland viel weiter. Da wird begünstigt oder bestraft, ohne dass es grosse Diskussionen gibt.
 

Was macht Deutschland anders?
Der Wettbewerb funktioniert da besser. Das beste Zeichen dafür sind Akteure, die neu auftauchen, und solche, die verschwinden. In der Schweizer Versicherungsbranche muss sich eine Krankenkasse schon sehr dumm anstellen, bis sie verschwindet. Neue Player haben hingegen kaum Chancen, in den Markt einzutreten.

Zur Person

Felix Schneuwly ist seit 2011 Head of Public Affairs und Mediensprecher beim Internetvergleichsdienst Comparis.ch. Zuvor war der Krankenkassenexperte Leiter Politik und Kommunikation beim Krankenkassenverband Santésuisse.

Felix Schneuwly
Quelle: Matti Hillig

Sind 10'000 Schritte pro Tag gesund?

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Es ist ein weit verbreiteter Glaube, dass eine gewisse Schrittzahl gesund sei. Dabei gibt es keine Studie, die dies beweist. Doch wie viel sollte man seiner Gesundheit zuliebe gehen? Ärztin Claudia Twerenbold klärt auf.
Quelle: Beobachter Bewegtbild
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