Asta Breitenmoser ist in der achten Woche schwanger, als der Gynäkologe beim Ultraschall beim Embryo keinen Herzschlag Kindstod Abschied von den Engelskindern mehr feststellen kann. «Mein Mann fragte ihn, wann denn das Herz wieder anfängt zu schlagen; wir beide realisierten in dem Moment gar nicht, was uns der Arzt da sagte, wir standen so unter Schock», erzählt die heute 38-jährige zweifache Mutter. Am gleichen Nachmittag kauft sie die verschriebenen Tabletten, um die Fehlgeburt einzuleiten. «Ich ertrug das Gefühl nicht, einen toten Embryo in mir zu tragen», erinnert sie sich an die Situation im Herbst 2017. 

Es sind dieselben Tabletten, die Frauen bei einer Abtreibung einnehmen. «Mein Mann lief weinend aus dem Raum.» Und sie konnte sich kaum überwinden, die Pillen zu schlucken. «Obwohl das Kind in meinem Körper nicht mehr lebte, hatte ich ein Gefühl, als ob ich es durch die Tabletten töten würde. Ich fühlte mich ja nach wie vor schwanger.» Etwa fünf Stunden danach setzten Blutungen ein. Ein kleines Gewebeklümpchen, so vermuten sie und ihr Mann, war ihr Embryo. «Es sah aber nicht so aus, wie die Embryos in dieser Entwicklungsphase üblicherweise aussehen. Unser Baby war wohl nicht lebensfähig und darum hat das Herz aufgehört zu schlagen», erzählt sie. 

Fehlgeburt ist bis zur 13. Woche eine Krankheit

Noch während sie und ihr Mann um das tote Kind trauern Trauerbegleitung Wenn die Seele erste Hilfe braucht , erreicht sie Post von der Krankenkasse: Die Versicherung verlangt die Kosten für die Behandlungen während der Schwangerschaft in Höhe von rund 1800 Franken zurück. Breitenmoser hat eine Franchise von 2500 Franken. «Ich dachte, meiner Versicherung sei ein Fehler unterlaufen und wandte ich mich an die zuständige Zweigstelle, um das Missverständnis zu klären.» Doch die Kasse argumentiert, dass sie laut Gesetz die Kosten für Behandlungen zurückverlangen könne, wenn die Schwangerschaft vor der 13. Woche endet. Denn bis dahin gilt die Fehlgeburt als Krankheit und nicht als Ereignis im Zusammenhang mit der Mutterschaft. Kommt es erst später zu einer Fehlgeburt, übernimmt die Grundversicherung die Kosten vollumfänglich, ohne Selbstbehalt und Franchisen-Abzug. 

Was die Versicherung aber laut Auskunft von Stefan Otto, Leiter der Sektion medizinische Leistungen beim Bundesamt für Gesundheit, nicht dürfte: Die Kosten für Schwangerschaftsuntersuchungen zurückzufordern, während das Kind noch gelebt hat. «Dies sind Leistungen bei Mutterschaft, die von der Krankenkasse ohne Abzug der Franchise übernommen werden müssten.» Fordere eine Versicherung diese Kosten dennoch zurück, so könne man sich an die Ombudsstelle Krankenversicherung wenden oder auch den Rechtsweg beschreiten. Ob Breitenmosers Krankenkasse auch Untersuchungskosten zu Unrecht zurückgefordert hat, während das Kind noch gelebt hat, lässt sich heute nicht mehr genau nachvollziehen.

Parlament muss nochmals über die Bücher

Dass es bei einer Fehlgeburt entscheidend sei, wann das Kind stirbt, findet die Aargauer Grünen-Nationalrätin Irène Kälin daneben. «Es grenzt an reine Willkür, dass die Krankenkasse erst ab der 13. Woche zahlt. Schwanger ist man nicht erst, wenn man das kritische erste Trimester überstanden hat, sondern von Anfang an.» Als das revidierte Krankenversicherungsgesetz im März 2014 in Kraft trat, argumentierten die Versicherer, dass es zu kompliziert würde, wenn man im Nachhinein die Krankheitskosten zurückerstatten müsste. Denn während einer Schwangerschaft sind Frauen auch von einer Kostenbeteiligung befreit, wenn sie etwa wegen einer Grippe zum Arzt müssen. «Der Bundesrat stützte diese Argumentation mit der Begründung eines unverhältnismässigen Verwaltungsaufwandes. Das kann ich nicht nachvollziehen und macht mich wütend», sagt Kälin. 

Die 33-Jährige hat erwirkt, dass sich der Bundesrat und das Parlament nochmals mit dem Thema auseinandersetzen müssen: Mit einer Motion will sie eine Gesetzesänderung erwirken, damit die Versicherer die Kosten während der gesamten Schwangerschaft voll übernehmen müssen. Einen ersten Erfolg konnte Kälin bereits verzeichnen: Der Bundesrat hat dem Nationalrat empfohlen, die Motion anzunehmen. Dieser hat im letzten September der Motion zugestimmt und den Bundesrat beauftragt, einen Gesetzesentwurf vorzulegen. 

«Eine Absaugung ist aus medizinischer Sicht meist nicht notwendig.»

Anna Margaretha Neff, Hebamme und Leiterin der Fachstelle Kindsverlust.ch
Spitalaufenthalt ist oft nicht nötig bei Fehlgeburt

Dass diese Änderung zu einer Kostenexplosion führen würde, glaubt Kälin nicht. Schätzungen zufolge erleiden rund 22'000 Frauen jährlich eine Fehlgeburt, etwa jede fünfte Schwangerschaft endet also einem frühen Abort vor der 12. Schwangerschaftswoche. «Die Mehrkosten einzuschätzen ist schwierig, aber diese dürften nicht allzu hoch sein, da gynäkologische Untersuchungen nicht besonders kostenintensiv sind.» 

Diese Einschätzung teilt auch Anna Margaretha Neff. Die Hebamme leitet die Fachstelle Kindsverlust.ch, die kostenlose Beratung bei Fehlgeburten und beim frühen Tod eines Kindes anbietet. «Wenn mehr Betroffene wüssten, dass meist kein Spitalaufenthalt und keine Operation notwendig wäre und sie sich zusätzlich von einer spezialisierten Hebamme begleiten liessen, könnte man viel Kosten sparen.» Denn wenn ein Kind im Bauch stirbt, dauere es bis zu vier Wochen, bis der Fötus in einer sogenannten kleinen Geburt geboren wird.

Stattdessen wählten viele Frauen aber automatisch eine «Notfallstrategie», die Flucht, sagt Neff. Sie greifen dann, wie etwa Asta Breitenmoser, zu Tabletten wie Cytotex, die die Fehlgeburt beschleunigen. Oder sie lassen eine Curettage vornehmen, also eine Absaugung des Babys unter Narkose im Spital. In vielen Fällen sei dieser Eingriff aus medizinischer Sicht aber nicht notwendig, sagt Neff. Sondern nur, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist, etwa durch einen hohen Blutverlust oder eine Infektion. Dies sei aber selten. 

Zeit nehmen zum Trauern

«Fachpersonen sollten das rasche Handeln nicht unterstützen», findet Neff. Auf der Gefühlsebene sei dann der Tod des Kindes noch gar nicht angekommen und die Frauen bereuen im Nachhinein – auch oft noch Jahre später –, dass sie sich keine Zeit genommen haben, sich ihrer Gefühle bewusst zu werden. «Ärzte sollten die Frauen vielmehr ermutigen, einen Umgang mit der Situation zu finden, solange das Kind noch da ist.» So hätten die Mütter und Väter die Gelegenheit, ihren Sohn oder ihre Tochter würdevoll zu verabschieden und zu trauern. Bei einer Absaugung ist es beispielsweise nicht möglich, das Kind zu betrachten, weil es durch den Vorgang unkenntlich wird. 

«Eine Fehlgeburt macht etwas mit der betroffenen Frau, mit der Familie – unabhängig davon, wie lange die Schwangerschaft gedauert hat», sagt Neff. Doch in der Gesellschaft herrsche die Meinung vor, dass dies kein besonderes Ereignis sei. «Eine Fehlgeburt als Krankheit zu deklarieren ist für mich familien- und frauenfeindlich», sagt die Hebamme. Neff und Kälin glauben beide, dass sich die Situation der Frauen verbessern würde, wenn alle Kosten von der ersten Woche an von der Krankenkasse übernommen würden. «Dies würde die Betreuung der Frauen verbessern», sagt Neff. Und Kälin ergänzt, dass eine Gesetzesänderung sicherlich auch helfen wird, das Tabu Fehlgeburt in der Gesellschaft abzubauen. «Das hilft letztlich allen betroffenen Vätern und Müttern, die mit ihrer Trauer heute oft allein gelassen werden.»

«Die Fehlgeburt als Krankheit zu bezeichnen ist unmenschlich, es war ja ein Kind – und nicht ein Geschwür.»

Asta Breitenmoser, betroffene Mutter

Dass ihre Fehlgeburt als Krankheit klassifiziert wurde, findet Asta Breitenmoser vollkommen daneben. «Sein Kind zu verlieren, ist für Eltern schon schlimm genug, da braucht man nicht noch einen zusätzlichen Hammer, indem rückwirkend hohe Kosten auf einen zukommen. Das ist ein einfach unmenschlich, es war ja ein Kind – und nicht ein Geschwür.»

Wissen, was dem Körper guttut.
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Chantal Hebeisen, Redaktorin
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