Unfall oder Nicht-Unfall – diese Unterscheidung ist oft schwierig. Vor allem für Versicherungen geht es bei dieser Entscheidung um Tausende von Franken. Denn bei Unfall ist der Arbeitnehmer beispielsweise bedeutend besser abgesichert als bei Krankheit. Das führt dazu, dass nicht alles, was nach Unfall aussieht, auch tatsächlich ein Unfall im rechtlichen Sinn ist.

Pech im Unglück

Ein Missgeschick, das für viele von uns als «blöder Unfall» durchgehen würde, passierte einem 58-jährigen Büroangestellten aus dem Kanton Aargau im April 2016. Der Mann, wir nennen ihn Daniel Egger, dreht sich eines Tages – wie schon so oft zuvor – auf seinem Bürostuhl vom PC weg, um nach Dokumenten zu fassen. Doch irgendwie bleibt er dabei derart unglücklich mit den Füssen hängen, dass sich seine Hüfte verdreht. Er hört ein lautes Knacken, gefolgt von starken Schmerzen. Als er einige Tage später zum Arzt geht, stellt dieser fest: Das künstliche Hüftgelenk ist gebrochen.

Ein klarer Fall für die Unfallversicherung, denkt sich Egger, und reicht eine Schadensmeldung ein. Doch die zuständige Zürich Versicherung stellt sich quer: Sie lehnt die Leistungspflicht ab. Grund: Beim Vorfall auf dem Bürostuhl sei «kein ungewöhnlicher äusserer Faktor» festzustellen. Daher sei der Unfallbegriff nicht erfüllt. In diesem Fall müsste die Krankenkasse für die notwendige Operation aufkommen.

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Bei der Unfallversicherung (UVG) gibt es kein Mindest- oder Höchstalter für Angestellte. Alle Versicherte profitieren, wenn auch die rechtliche Definition eines Unfalls manchmal für Unklarheiten sorgt. Beobachter-Abonnenten erfahren, in welchen Fällen die Unfallversicherung zahlt, welche Leistungen sie beinhaltet und wie etwa Teilzeitangestellte versichert sind, die bei mehreren Arbeitgebern tätig sind.

Doch der Betroffene will sich das nicht gefallen lassen, er legt Beschwerde ein beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau. Dort erhält Egger zwar recht, doch nun beschliesst die Zürich Versicherung den Weiterzug, womit der kuriose Fall beim Bundesgericht landet.

«Üblicher Vorgang im Büroalltag» wurde gestört

Doch die Richter der ersten sozialrechtlichen Abteilung in Luzern lehnen die Beschwerde ab. Der Grund: Weil der Mann beim Drehen auf seinem Bürostuhl mit dem Fuss am Boden oder Stuhlbein hängen blieb, sei dies als «Programmwidrigkeit einer ungeplanten Bewegungsabfolge» in einem sonst üblichen Vorgang im Büroalltag zu bezeichnen. Damit sei die «Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors» gegeben. Auch der Einwand der Versicherung, es müsse beim Hüftgelenk ein Materialfehler vorliegen, weist das Gericht zurück.

Die Zürich Versicherung muss nun nicht nur für den Schaden aufkommen, sondern zusätzlich Verfahrenskosten in der Höhe von 500 Franken bezahlen und Daniel Egger für das Gerichtsverfahren mit 2800 Franken entschädigen.

Kommt immer wieder vor

Beobachter-Expertin Gitta Limacher ist zufrieden mit dem Urteil: «Da der Versicherte am Stuhl hängen geblieben und so in seinem geplanten Bewegungsablauf gestört worden ist, ist das vom Hergang her eindeutig ein versicherter Unfall». Ihre Erfahrungen am Beratungstelefon zeigen, dass es immer wieder vorkommt, dass sich Versicherungen gegen solche Zahlungen wehren.

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