Aktualisierung vom 15. April 2021

Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich rudert zurück und hebt die Testpflicht für Besuche in Heimen per sofort auf. Neu werden Tests nur noch «dringend empfohlen». Man zähle auf die Eigenverantwortung, schreibt die Gesundheitsdirektion in einer Mitteilung. Sie reagiert damit auf die breite Kritik, die nach ihrem vorherigen Entscheid laut wurde.

Artikel vom 13. April 2021

Nach Ostern hätte wieder mehr möglich sein sollen. Enkelkinder umarmen, mit den Liebsten spazieren gehen – ein Stück Normalität. Das hofften die impfwilligen Seniorinnen und Senioren in Zürcher Alters- und Pflegeheimen, die Ende März ihre zweite Impfdosis gespritzt bekommen haben. Daraus wird vorerst nichts.

Im Gegenteil: Die Zürcher Gesundheitsdirektion unter Regierungsrätin Natalie Rickli hat nun sogar die Bedingungen für einen Besuch in Alters- und Pflegeheimen verschärft: «Ab 7. April müssen Besucherinnen und Besucher mindestens einmal pro Woche ein negativer Antigenschnelltest vorweisen», heisst es in der entsprechenden Verfügung.

Die neue Regelung kommt ausgerechnet jetzt, wo die Apotheken ihre feinsäuberlich zusammengestellten Selbsttest-Kits massenhaft an die Bevölkerung verteilen und die überwiegende Mehrheit in den Altersheimen geimpft ist.

Schnelltests für Besuchende im Heim seien nur in «Ausnahmefällen» möglich, damit diese ohne Tests nicht heimgeschickt werden müssten, schreibt die Gesundheitsdirektion auf Anfrage. «Sie sollen jedoch Einzelfälle bleiben, da der Antigenschnelltest ein genaueres Ergebnis liefert.»

«Für die Angehörigen, die sich schon an den beschränkten Besuchszeiten orientieren müssen, kommt eine neue Hürde hinzu.»

Matthias Radtke, Geschäftsleiter Alterszentrums Lanzeln in Stäfa ZH

Das neue Testregime sorgt für Kritik. Zum Beispiel bei Matthias Radtke, dem Geschäftsleiter des Alterszentrums Lanzeln in Stäfa am Zürichsee: «Die Pflicht für regelmässige Antigenschnelltests ist eine sehr einschneidende Massnahme. Für die Angehörigen, die sich schon an den beschränkten Besuchszeiten orientieren müssen, kommt eine neue Hürde hinzu.» Auch gebe es logistische Probleme. Radtke sagt, er höre immer wieder, dass es aktuell nicht genügend Testkapazitäten gebe.

«Wir haben verzweifelte Angehörige, die Ihre Liebsten besuchen möchten und keinen kurzfristigen Testtermin erhalten. Man fragt sich dann schon, warum solche Verfügungen erlassen werden, die Verunsicherungen und Fragezeichen auslösen, ohne das genügend Ressourcen und Strukturen zur Verfügung stehen.»

Oberster Zürcher Arzt und Pro Senectute besorgt

Kritik äussert auch der oberste Zürcher Arzt. Josef Widler ist Präsident der Zürcher Ärztegesellschaft und beschäftigt sich als ärztlicher Leiter der Krankenstation Friesenberg und der Seniorenresidenz Spirgarten täglich mit den Bedürfnissen der älteren Generation. 

«Längerfristig schadet das der Gesundheit der Heimbewohner mehr, als etwas zusätzliche Sicherheit durch das Testen.»

Josef Widler, Präsident der Zürcher Ärztegesellschaft

«Die neue Verfügung ist masslos übertrieben. Man traut den Angehörigen nicht zu, Selbstverantwortung zu übernehmen», sagt Widler. Diese würden aber alles unternehmen, um die Menschen in den Heimen zu schützen. «Mit der neuen Regelung wird ein Besuch für die Angehörigen verkompliziert. Längerfristig schadet das der Gesundheit der Heimbewohner mehr, als etwas zusätzliche Sicherheit durch das Testen», findet Widler. Für die Menschen in Alters- und Pflegeheimen seien regelmässige Besuche enorm wichtig, um nicht noch weiter zu vereinsamen.

Diese Sorge teilt auch die Stiftung Pro Senectute des Kantons Zürich. «Wir haben einige Reaktionen erhalten von Angehörigen, die diese Verschärfung nicht verstehen können», sagt Monica Flückiger, die für die Kommunikation verantwortlich ist. Selbstverständlich gehe die Sicherheit der Menschen in Alters- und Pflegeheimen vor. Gleichzeitig seien aber auch die sozialen Kontakte für hochbetagte Menschen enorm wichtig. «Wir sind der Meinung, dass Selbsttests ausreichen sollten, um das Risiko einer Infektion zu minimieren.»

Gesundheitsdirektion hält trotz Kritik an Weisung fest

Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich hält trotz der Kritik an dem verschärften Testregime fest. «Dass sich die Weisung vereinzelt negativ auf die Geimpften und die Besucherinnen und Besucher auswirkt, lässt sich – wie zahlreiche andere Massnahmen rund um die Bewältigung der Pandemie – leider nicht vermeiden», heisst es auf Anfrage. Der Mehraufwand, den die Heimbesucherinnen- und Heimbesucher nun hätten, um ihre Verwandten und Bekannten zu treffen, sei vertretbar. Zumal die Testung bis zu einer gewissen Menge für die Privaten kostenlos und das «Test-Netz» breit aufgestellt sei.

Diese offen ausgetragene Meinungsverschiedenheit zwischen Amt und Basis führt nun wohl dazu, dass sich einige Alter- und Pflegeheime nicht an die Weisung halten werden. Das erfährt der Beobachter hinter vorgehaltener Hand. Matthias Radtke vom Alterszentrums Lanzeln gehört nicht dazu. Er wird das neue Testregime zähneknirschend umsetzen, sagt aber: «Ich setze ganz viele Fragezeichen hinter die Coronastrategie in den Pflegeinstitutionen und empfehle dringend, die Bewohnenden und Angehörigen auch einmal zu Wort kommen zu lassen.»

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