Kunststoffabfall wiederverwerten? Ein frommer Wunsch. Von den rund 800'000 Tonnen Plastik, die Jahr für Jahr in der Schweiz anfallen, werden nur neun Prozent recycelt. Sechs Prozent werden wiederverwendet. Das heisst: 85 Prozent landen im Müll und werden verbrannt. Die Zahlen stammen von 2017; neuere Daten hat das Bundesamt für Umwelt nicht.

Es ginge auch anders. In Deutschland wurden 2019 bloss 53 Prozent der Plastikabfälle verbrannt. Selbst ein Drittel aus Haushalten wurde verwertet. Triebfeder dafür ist eine EU-Richtlinie: Sie fordert bei Plastikverpackungen bis 2025 eine Recyclingquote von 65 Prozent.

Doch Quote sei nicht alles, sagt Magdalena Klotz von der ETH Zürich. «Hohe Sammelmengen nützen wenig, wenn das rezyklierte Plastik nur begrenzt neues ersetzt.» Man müsse spezifischer sortieren und Kunststoffprodukte einheitlicher designen, fordert die Umweltwissenschaftlerin. Nur so lasse sich die für das Recycling unerwünschte Vermischung vermeiden.

Zum Sortieren ins Ausland

Die Schweiz hinkt schon beim Sammeln hinterher. Es gibt nach wie vor keine landesweite Separatsammlung von Plastikabfällen aus Haushalten. Auch Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft schöpfen ihr Potenzial bei weitem nicht aus. Polyethylen-Folie wird zum Beispiel nur zu rund 20 Prozent wiederverwertet.

Und wenn Kunststoffabfall aus Haushalten separat gesammelt wird, muss er vor dem Recycling zum Sortieren ins Ausland gekarrt werden. Eine entsprechende Anlage gibt es in der Schweiz nicht.

Konflikt mit dem Gesetz

Das alles passt schlecht zur gesetzlichen Forderung, dass Wiederverwerten vor dem Verbrennen kommen sollte. Warum? «Weil beim Recycling die für die Herstellung des Kunststoffs benötigte Energie nicht verlorengeht und Rohstoffe eingespart werden können», hält das Bundesamt für Umwelt (Bafu) fest.

Und weil beim Verbrennen klimaschädliches CO2 entsteht, sollte man darauf gemäss der geltenden Abfallverordnung verzichten. Geschehen soll das nur, «soweit Abfälle nicht stofflich verwertet werden können».

Das Bundesamt für Umwelt sieht keinen grossen Vorteil im Sammeln von Kunststoff aus Haushalten.

Warum hält sich die Schweiz, die sich offiziell zur Kreislaufwirtschaft bekennt, nicht an ihr eigenes Gesetz? Eine Erklärung liefert das Bafu. Es sieht keinen grossen Vorteil im Sammeln von Kunststoff aus Haushalten. Wer ihn sammelt, nütze der Umwelt pro Jahr so stark, wie wenn er auf eine Autofahrt von 30 Kilometern verzichten würde – zeigt eine Studie, die vom Bafu, von mehreren Kantonen und Abfallverwertern bezahlt wurde.

Die ernüchternde Kernaussage in dieser Studie ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Da steht auch der Satz: «Aus ökologischer Sicht zeigt sich, dass alle untersuchten Kunststoffsammelsysteme der Schweiz besser abschneiden als das Verbrennen.»

Verbrennungsanlagen lieben Plastik

Laut Bafu verfügt die Schweiz aktuell «über ein gut funktionierendes Abfallbewirtschaftungssystem, worin Kunststoffe entweder stofflich oder thermisch verwertet werden». Diese vage Bewertung befeuert vor allem das Geschäftsmodell der Schweizer Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA). Denn Kunststoffabfälle weisen einen besonders hohen Heizwert auf.

Der Verband der Betreiber Schweizerischer Abfallverwertungsanlagen beteuert gleichwohl, man betreibe keine gezielte Akquise für Kunststoffabfälle und sei nicht verantwortlich für die geringe Sammelmenge.

Millionen-Investitionen wirken als Bremsklotz

Klar ist aber: Bei der Verwertung von Abfall sind in den vergangenen Jahrzehnten wechselseitige Abhängigkeiten entstanden. Die KVA, die von Zweckverbänden der Gemeinden betrieben werden, haben Hunderte Millionen in ihre Anlagen investiert und liefern vielerorts die begehrte Fernwärme.

Entsprechend behutsam geht die Politik mit den Verbrennern um, allen Bekenntnissen zur Kreislaufwirtschaft zum Trotz. Die eidgenössischen Räte haben Anfang 2021 zwar eine Motion überwiesen, die landesweit das Sammeln von gemischten Kunststoffabfällen fordert. Das Projekt läuft unter dem Namen «Sammlung 2025». Es kommt aber nur schwer aus den Startlöchern.

Recyclingfirmen, Industrie und Behörden streiten bis heute über die Gebühren.

Eigentlich wollte der federführende Verband Swiss Recycling schon 2022 mit dem Sammeln starten. Daraus wurde aber nichts. Recyclingfirmen, Industrie und Behörden sind bis heute unter anderem bei einer Frage uneins: Soll man von Konsumentinnen und Konsumenten eine vorgezogene oder eine nachgelagerte Gebühr für ihre Kunststoffabfälle verlangen?

Geplant ist für das laufende Jahr, wenigstens die Voraussetzungen für ein landesweites System zu schaffen. Man verschafft sich so vor allem eins: Zeit.

Ein Freipass für Verbrennungsanlagen

Das gilt auch für die CO2-Reduktion bei der Abfallverbrennung. Gemäss dem zwölf Jahre alten CO2-Gesetz kann der Bundesrat die Betreiber von Anlagen, die viel Treibhausgas ausstossen, dazu verpflichten, beim Emissionshandelssystem mitzumachen.

Doch ausgerechnet die KVA sind bis heute von dieser Regelung ausgenommen – und das wird noch Jahre so bleiben.

Verbrennungsanlagen sind verpflichtet, bis 2030 ­mindestens 100'000 Tonnen CO2 einzufangen. Bloss gibt es die Technologie noch nicht.

In einer Vereinbarung des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation verpflichten sich die KVA, bis 2030 mindestens 100'000 Tonnen CO2 einzufangen. Ob die neue Technologie aber wunschgemäss funktionieren wird, ist nicht sicher.

Es ginge einfacher: Wenn man nur schon 40'000 Tonnen Kunststoffabfälle nicht verbrennt, hat das den gleichen Effekt.

Das Abfallrecht verlangt bis heute nur, dass nach dem Stand der Technik verwertet wird. Doch was heisst das für Kunststoffabfälle? 2016 hatte der Bundesrat vom Bafu verlangt, eine Vollzugshilfe auszuarbeiten, um klare Verhältnisse zu schaffen. 2018 lag ein erster Entwurf vor.

2020 aber sistierte das Bafu die Arbeiten an der Vollzugshilfe – wegen Personalmangels. Seither ist nur wenig passiert.

Niemand will verantworlich sein

Nun kündigt das Bafu die Publikation für das laufende Jahr an. Wobei das Bundesamt für Umwelt die Bedeutung der Vollzugshilfe relativiert: Sie sei für Kantone und Gemeinden nicht rechtsverbindlich. Um eine Verwertungspflicht bei Kunststoffabfällen durchzusetzen, brauche es aber zuerst eine eigene Verordnung.

Dem widersprechen verschiedene Fachleute vehement. Es sei unsinnig, den Stand der Technik in einer Verordnung zu regeln. Denn er verändere sich ja ständig. Sie spielen den Ball an das Bafu zurück und fordern, es müsse endlich seine Hausaufgaben machen