In den Skigebieten konnten es die Ärzte während der Sommermonate stets etwas ruhiger angehen. Doch diese Zeiten sind vorbei. Mountainbiker halten sie auf Trab. Allein aus dem Bikepark Lenzerheide mussten zwischen Mai und Oktober rund 80 gestürzte Downhiller geborgen werden. Die Rettungsequipe der Parkbetreiber bringt die Verletzten für die Erstversorgung jeweils in die lokale Hausarztpraxis.

Zum Beispiel zu Michael Fierz. Der 47-Jährige ist seit 14 Jahren Hausarzt in der Lenzerheide. «In meiner Praxis sind wir Sport- und Notfallverletzungen gewohnt. Doch was seit dem Mountainbike-Boom auf uns zukommt, ist überfordernd.»

Zu den 80 Verletzten aus dem Bikepark kommen all diejenigen, die sich auf den zahlreichen Trails verletzen. Wenn sie nicht von der Rega gerettet werden müssen, landen auch sie früher oder später im Wartezimmer der drei Lenzerheidner Hausärzte. 

Vor allem an Wochenenden gefordert

Seit fünf Jahren hat Michael Fierz nun auch im Sommer zwei Assistenzärzte zur Unterstützung. Allein könnte er den Ansturm nicht mehr bewältigen.

In Grindelwald, dem Veranstaltungsort der Eiger Bike Challenge, ist die Zahl der verletzten Biker ebenfalls gestiegen. Gemäss dem Hausarzt Marc Müller sind die verletzten Sommersportler bei gutem Wetter – vor allem an den Wochenenden – eine beträchtliche Mehrbelastung. Zugleich gibt es immer weniger Hausärztinnen und Hausärzte.

Stürze mit dem Mountainbike machen mittlerweile einen Fünftel aller Unfälle mit dem Velo aus. 2015 zählte die Suva-Statistik 6422 Mountainbike-Unfälle – das sind doppelt so viele wie 2005 (siehe Grafik). Die Zahl der Unfälle mit dem Fahrrad im Strassenverkehr dagegen blieb ungefähr gleich.

Wie viele dieser Verunfallten bei Hausärzten in den Tourismusgebieten landen, ist nicht bekannt. Ein Beispiel aus der Praxis von Michael Fierz illustriert aber, wie viel die Ärzte leisten: Am diesjährigen Lenzerheidner Bikeanlass TestRide landeten an einem einzigen Wochenende neun mittelschwer Verletzte bei ihm. Fünf davon hat Fierz selber versorgt, die vier anderen hat er ans Kantonsspital Graubünden überwiesen.

Mehr Biker heisst mehr Stürze

«Kompetente und chirurgisch gut ausgebildete Hausärzte entlasten uns beträchtlich», sagt Christoph Sommer, Chefarzt der Unfallchirurgie am Kantonsspital Graubünden. Denn auch in Chur spürt man den Bike-Boom. 188 Mountainbiker wurden von April bis August behandelt. Vor drei Jahren waren es im gleichen Zeitraum noch 121.

Der Grund für die steigenden Unfallzahlen, vermutet die Suva, ist simpel: Immer mehr Leute schwingen sich auf ein Mountainbike. Vom Sattel stürzen dann mehrheitlich Männer zwischen 30 und 50.

«Ohne Assistenzärzte könnte ich den Ansturm nicht mehr bewältigen.»


Michael Fierz, Hausarzt, Lenzerheide

Die Hausarztpraxen in den Bergen funktionieren dann wie kleine Spitäler. Michael Fierz gipst Knie, fixiert Schlüsselbeine und renkt Schultern ein. Nach happigeren Stürzen behält er Patienten schon mal für zwei, drei Stunden zur Überwachung in der Praxis. Das kann die Abwicklung mit den Unfallversicherern schwierig gestalten. Die Behandlungszeit eines Hausarztes ist eigentlich auf 20 Minuten Sprechstunde festgelegt.

Komplexere Behandlungen nötig

Viel Zeit kostet es Michael Fierz auch, die Wunden zu säubern. Meist sind sie voller Schlamm oder Sand – die Behandlung ist deshalb komplexer als bei Skiunfällen. «Wenn man mit der Pinzette mühselig Kieselsteine aus der Wunde picken muss, hat man schnell über eine Stunde Behandlungszeit beieinander. Und wenn es besonders dumm gelaufen ist, sind die Steinchen im Schleimbeutel über der Kniescheibe verschwunden und müssen zuerst per Röntgenbild oder Ultraschall geortet werden.»

«Wir Ärzte hier oben haben den Standort für unsere Praxen natürlich bewusst gewählt», sagt der Grindelwalder Hausarzt Marc Müller. Und sie hätten im Hinblick auf die Sportverletzungen auch die notwendigen chirurgischen Vorkenntnisse erworben. «Aber in diesen Regionen gibt es auch ohne die steigende Zahl von Bikeverletzungen schon Herausforderungen genug.»

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Tina Berg, Redaktorin
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