«Hammer, irrsinnig, ein Traum», ruft eine Frau. Das Handy ist gezückt, ihr Fuss ragt aus dem rollenden Auto, die Begeisterung eilt ihr voraus. Vom Parkplatz über die Strasse, Blick nach rechts, Blick nach links, secklä. Tausend goldene Lämpchen leuchten am Stall des Bauernhauses, Dutzende weihnachtliche Figuren schmücken den Hof der Familie Grossenbacher in der bernischen Gemeinde Uebeschi. Wo vor Einbruch der Dunkelheit noch Popmusik aus dem Stall dudelte, ist der Bass der Besinnlichkeit gewichen. Es riecht nach Gülle und Glühwein.

Schnell füllen sich die beiden Fonduestübli. Alle paar Minuten schauen Spaziergänger durch einen Spalt in der Tür. «Mir wei nume schnäu go gwundere», heissts dann. «Go gwundere kommen viele», sagt Ruth Grossenbacher, doch das macht ihr nichts aus. «Hauptsache, die Besucher haben so viel Freude wie ich.»

Der Advent beginnt für die Bäuerin schon Ende September, wenn sie die Weihnachtsschachteln vom Staub befreit. Zwei Monate später verwandelt sich der Hof allabendlich in ein leuchtendes Lebkuchenhaus.

«In ländlichen Gegenden zeigt sich der Wunsch nach Licht und Wärme in der dunklen Jahreszeit besonders deutlich», sagt der Ethnologe Mischa Gallati. «Da glitzert es nicht sowieso schon an jeder Ecke wie in der Stadt.»

Hollywood lässt grüssen

Dass wir uns in dieser Jahreszeit so nach Lichtern sehnen, ist kein Zufall. «Licht hat seit je eine tiefe Bedeutung für die Menschen», sagt Gallati. Christoph Sigrist, Pfarrer am Grossmünster in Zürich, pflichtet ihm bei. Dunkelheit werde mit Kälte und Tod in Verbindung gebracht, Licht hingegen stehe für das Leben und vermittle Wärme. Dieser Symbolgehalt entstand schon lange vor dem Christentum. Das lässt sich daran erkennen, dass Licht in nahezu jeder Religion eine herausragende Rolle einnimmt. Früher versammelten sich Familien bei Kerzenlicht und wärmten sich am Feuer, heute hat sich der Brauch in die Öffentlichkeit ausgeweitet – mit LEDs und blinkenden Weihnachtsfiguren.

Das gefällt nicht allen. «Kerzen und einzelne Lämpchen können sehr besinnlich sein. Grossflächiges Geblinke ist mir aber zu viel», findet Pfarrer Sigrist. «Das passt zum Konsumverhalten, das immer extremer von Amerika nach Europa schwappt.» Tatsächlich hat Hollywood unsere Vorstellung von Weihnachten stark beeinflusst. So stehen Rentiere anstelle von Eseln in unseren Gärten, Geschenke fliegt ein beleibter Santa Claus auf dem Schlitten herbei.

«Fortschritt und Wohlstand wurden schon immer gern zur Schau gestellt», sagt Mischa Gallati. «Diese Funktion übernehmen heute auch Weihnachtsschmuck und Beleuchtung Weihnachtsbeleuchtung Zu hell – kann ich mich wehren? .» Dass Weihnachten inzwischen anders gefeiert wird als vor ein paar Jahrhunderten, ist laut dem Ethnologen ganz natürlich: «Gesellschaften wandeln sich – und mit ihnen auch Bräuche.» So sei das Fest öffentlicher geworden und werde nicht mehr ausschliesslich im kleinsten Familienkreis gefeiert. «Wenn sich mehrere Leute oder ganze Quartiere fürs Schmücken zusammenschliessen, kann das sehr gemeinschaftsfördernd sein.»

Winterwunderland in Lyss

Das beste Beispiel dafür ist das Stegmattquartier in der bernischen Kleinstadt Lyss. Etwa sechs Häuser präsentieren hier Jahr für Jahr das Neuste an Glitzerpracht. Auf dem Parkplatz vor Martin Heinigers Haus reiht sich an vielen Abenden Auto an Auto. Aus den Wagen springen Hunde, purzeln Kinder, klettern Grosseltern. Blinzeln einmal, zweimal, dreimal. Weil das Licht so hell ist. Schon schiebt sich Heiniger ins Blickfeld und winkt mit Glühwein. «Huusrezäpt, besser als das Züüg uf de Märit», versichert er. Ein junges Paar lehnt dankend ab; sie seien Muslime. «Quieres uno?», fragt eine andere Frau ihren Partner. «Spanier, Italiener, Briten – alle kommen sie zu uns.» Heiniger ist stolz.

Der 81-Jährige besass früher ein Sportgeschäft, das nun die Söhne führen. Jetzt hat er genug Zeit, sich seinem Weihnachtshobby zu widmen. Im Oktober beginnt er, sein Haus mit LED-Lämpchen zu dekorieren. Damit die Schmückerei nicht langweilig wird, sieht das Haus jedes Jahr ein wenig anders aus. Manchmal muss Heiniger Abstriche machen: «Letztes Jahr wollte ich einen Lichter-Wasserfall, aber dann hatte der Nachbar schon einen», grummelt er. Dafür ist sein Samichlaus ein Hingucker. Wenn Kinder einen Batzen einwerfen, singt er und schwingt die Hüften.

Beleuchtung im Stegmattquartier

Stegmattquartier in Lyss.

Quelle: Nik Hunger

Sich etwas Neues einfallen zu lassen ist gar nicht so einfach: Im Stegmattquartier leuchtet ein Haus heller als das andere. Beim einen reihen sich blaue Pinguine um einen Teich, Glöckchen bimmeln, ein Baum wechselt seine Farben im Sekundentakt. Zwei Nummern weiter tritt in luftiger Höhe ein Samichlaus in die Pedale, im Garten überquert ein Lichterzug den Teich per Brücke. Alle Nachbarn schmücken auf ihre Art, ein Quartierkonzept gibt es nicht.

Wären die Häuser nicht durch Zäune geschützt, würden Schaulustige mitten in die Gärten spazieren. Schon jetzt halten sie die Handys über Sträucher, recken ihre Köpfe zwischen Büschen hervor. Fast scheint es, als würden Uebeschi und Lyss in der Vorweihnachtszeit zu Pilgerorten: Jeder möchte die Lichter sehen.

«Natürlich gibt es Nörgler, die das nicht verstehen»

Doch auch in Märchen taucht so viel Idyll nicht ohne Gegenspieler auf. «Natürlich gibt es Nörgler, die das nicht verstehen», sagt Ruth Grossenbacher. «An die Umwelt denkt niemand. Überall soll man Strom sparen, aber dann so was», hat jemand einen Artikel über ihren beleuchteten Bauernhof kommentiert. Vor fünf Jahren wählten 18'000 Leser der Gratiszeitung «20 Minuten» ihre Weihnachtsbeleuchtung zur schönsten des Kantons Bern.

Ruth Grossenbacher wurde auch schon persönlich mit Vorwürfen konfrontiert: «Meist sind es Männer, die mich abschätzig und ohne Begrüssung fragen, was der ganze Spass kostet.» Davon lässt sich die Bäuerin ihr Hobby aber nicht vermiesen: «Meine Stromkosten gehen niemanden etwas an. Ich frage schliesslich auch nicht, wie oft andere in die Ferien fliegen.»

Doch fällt der Stromverbrauch von Weihnachtsbeleuchtungen überhaupt ins Gewicht? Inzwischen gibt es praktisch nur noch LED-Lichter zu kaufen, die bis zu zehnmal weniger Strom brauchen, sehr lange halten und weniger Wärme entwickeln. Der höhere Kaufpreis amortisiert sich relativ schnell. Früher waren LEDs wegen ihres «kalten» Lichts unbeliebt, doch mittlerweile erkennt man kaum mehr Unterschiede zu herkömmlichen Glühbirnen. «Wer den Stromverbrauch in Grenzen halten möchte, schaltet die LED-Lämpchen nur vom 1. Dezember bis zum 6. Januar ein», sagt Giuseppina Togni von der Schweizerischen Agentur für Energieeffizienz (Safe). «Und nachts mit einer Zeitschaltuhr ab.» Vielerorts wird das aus Rücksicht auf die Nachbarn bereits gemacht, auch in Uebeschi und Lyss.

Strom für 25'000 Haushalte

Problematischer ist der Stromverbrauch allerdings, wenn anstelle von LEDs herkömmliche Glühbirnen verwendet werden. «Viele Hausbesitzer kaufen erst neue Lichterketten, wenn die alten nicht mehr funktionieren. Das dauert aber meist lange, da sie nur wenige Wochen pro Jahr in Gebrauch sind», weiss Togni. Würden Glühbirnen durch LED-Lichter ersetzt, könnte der Stromverbrauch in der Weihnachtszeit stark gesenkt werden.

Momentan gehen im Monat Dezember zwei Prozent des Stromverbrauchs auf das Konto von Weihnachtsbeleuchtung, schätzt man bei der Safe. Diese 100 Millionen Kilowattstunden entsprechen dem Stromverbrauch von 25'000 Haushalten. «Das hört sich nach viel an, in der Schweiz wohnen aber gut 8,5 Millionen Menschen in rund 3,8 Millionen Haushalten», relativiert Togni.

Und nicht in jedem Schweizer Wohnzimmer funkeln LEDs und tanzende Weihnachtsmänner um die Wette. Dafür vielleicht ein, zwei Kerzen.

Problem Lichtverschmutzung

Wenn es um Weihnachtsbeleuchtung geht, ist schnell von Lichtverschmutzung die Rede. Der Begriff bezeichnet direkt blendendes Kunstlicht sowie Kunstlicht, das an Luft- und Staubteilchen in der Atmosphäre gestreut wird und damit den Himmel aufhellt.

Insekten, die sich normalerweise am Mondlicht orientieren, können nicht mehr navigieren und verbrennen an heissen Glühbirnen. Es kann sogar vorkommen, dass Vögel so lange über erleuchteten Städten kreisen, bis sie erschöpft vom Himmel fallen. Und dass sich Fledermäuse für die Nahrungssuche nicht mehr aus ihren Verstecken trauen. Beim Menschen stören Lichtquellen die Ausschüttung des Hormons Melatonin, das den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus Schlafrhythmus Ein Volk von chronisch Übermüdeten regelt – sogar bei geschlossenen Augenlidern. Das führt immer wieder zu Nachbarschaftsstreitigkeiten, die schon vor Bundesgericht ausgetragen wurden.

Besonders schädlich sind nach oben gerichtete Leuchten oder Projektoren, die Muster an Häuserwände zeichnen. Lichterketten an einem privaten Haus haben allerdings bei weitem keinen so grossen Einfluss wie grossflächige Leuchtreklamen, Lichterdekorationen und Scheinwerfer in Städten.

Lichtverschmutzung in Europa
Quelle: Getty Images
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Jasmine Helbling, Redaktorin
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