Das Appellationsgericht Basel-Stadt – die oberste Gerichtsbehörde des Kantons – hat zehn Richterinnen und Richter des Strafgerichts in den Ausstand geschickt. Sie waren zuständig für die Urteile in den «Basel Nazifrei»-Prozessen. Diese behandelten die Geschehnisse um eine Kundgebung im Jahr 2018, an der rund 2000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegen einen Aufmarsch von 100 Rechtsextremen demonstriert hatten.

Mitglieder der mittlerweile aufgelösten rechtsextremen Partei Pnos hielten an diesem bewilligten Aufmarsch antisemitische Reden. An der Gegendemonstration kam es zu Gewalt – die Polizei schoss mit Gummischrot, es flogen Steine, und auf beiden Seiten gab es Verletzte. 

Die Folge: sehr breite Ermittlungen und rund 40 Strafverfahren gegen Demonstrantinnen und Demonstranten. Die erstinstanzlichen Urteile sorgten landesweit für Diskussionen: Eine 28-jährige Frau wurde allein wegen Anwesenheit an der Kundgebung und mit Verweis auf zwei weitere hängige Verfahren erstinstanzlich zu acht Monaten unbedingter Gefängnisstrafe verurteilt.

Nun hat das zweitinstanzliche Appellationsgericht entschieden: 13 Verfahren müssen neu aufgerollt werden – es besteht der Anschein von Befangenheit der Richter. Da das Grundprinzip einer unbefangenen Justiz zentral ist, reicht bereits ein Anschein von Befangenheit aus, um Richterinnen und Richter in den Ausstand zu schicken. Mark Pieth, emeritierter Professor für Strafrecht an der Uni Basel, ordnet das Urteil für den Beobachter ein. 

Herr Pieth, zehn Richterinnen und Richter sind wegen des Anscheins von Befangenheit im Ausstand – ist das normal?
Nein, ganz und gar nicht. Dass fast alle Mitglieder einer Behörde in den Ausstand müssen, ist ein höchst seltenes Ereignis – und deutet auf ein grösseres Problem hin. 

Welches?
Die Basler Justiz wirkt hochgradig überfordert. Von der Staatsanwaltschaft über die erstinstanzlichen Gerichte bis zum Appellationsgericht. Mir scheint, man kann mit der grossen politischen Aufladung dieser Prozesse nicht umgehen. 

«Gerichte begründen ihre Urteile schriftlich, sie müssen sie nicht in den Medien verteidigen. »

 

Fangen wir von vorne an. Was war das Problem bei der ersten Instanz, dem Strafgericht?
Der Umgang mit den Medien war extrem ungeschickt – das war ja der Auslöser dieser Ausstandsbegehren. Der vorsitzende Strafgerichtspräsident hat in der «Basler Zeitung» ein Interview mit Einschätzungen zu den Prozessen gegeben. Das ist ein absolutes No-Go. Gerichte begründen ihre Urteile schriftlich, sie müssen sie nicht in den Medien verteidigen. 

Die «Wochenzeitung» und SRF deckten auf: Dieses Interview gab er nach Rücksprache mit Richterkolleginnen und -kollegen. Man hat sich zu den Prozessen vorher abgesprochen. 
Genau. Man hat sich über diese Anklagen offenbar sehr detailliert abgesprochen. Das ist schlicht illegal. Wenn man sich abspricht, sind die einzelnen Richter nicht mehr unbefangen – eine Verletzung eines grundlegenden Rechts der Angeklagten.

Das hat die oberste kantonale Instanz, das Appellationsgericht, so gesehen und die Richter jetzt in den Ausstand geschickt. Jetzt sagen Sie aber, auch das Appellationsgericht sei überfordert.
Man muss wissen: Der jetzige Entscheid ist eine Neubeurteilung, nachdem sich das Bundesgericht mit der Sache befasst hat. Das Appellationsgericht hat die Ausstandsgesuche ursprünglich bis auf eines abgewiesen. 

Dagegen haben sich die Demonstranten vor Bundesgericht gewehrt. 
Genau. Und dieses hat dem Appellationsgericht auf die Finger geklopft und festgehalten, es habe den Sachverhalt nicht ausreichend abgeklärt. Erst nach dieser Rüge kam dann im seriöseren zweiten Durchgang das wichtigste Beweisstück zutage: das Protokoll der Absprachen zwischen den Richtern. 

«Das Problem bei einer Wiederholung der Verfahren: Alle, die sich schon mit diesen Fällen beschäftigt haben, sind verbrannt.»

 

Sind Sie mit dem Urteil denn jetzt zufrieden?
Dass die Richter in den Ausstand müssen, ist sicher richtig. Ich finde aber, man hätte weiter gehen und – wie das die Verteidiger der Demonstranten gefordert haben – den ganzen Prozess einem ausserkantonalen Gericht übergeben müssen. In Basel gibt es schlicht nicht mehr genug Personal. 

Wie meinen Sie das?
Das Problem bei einer Wiederholung der Verfahren: Alle, die sich schon mit diesen Fällen beschäftigt haben, sind verbrannt. Juristisch nennt man das «vorbefasst». Wer beim ersten Durchgang dabei war und sich dort eine Meinung gemacht hat, ist beim zweiten Mal nicht mehr unvoreingenommen. Deshalb wäre ein anderer Kanton besser gewesen für das Vertrauen in die Justiz.

Muss die Justiz Lehren ziehen aus diesem Urteil?
Der Bürger in Basel muss Lehren ziehen und sich überlegen, ob er die richtigen Richter gewählt hat. Wir brauchen keine Richter, die sich medial verteidigen.

Hinweis: In einer früheren Version haben wir eine Antwort von Mark Pieth unklar wiedergegeben. Es war die Verteidigung, die gefordert hatte, den Prozess einem Ausserkantonalen Gericht zu übergeben. Die Stelle ist nun präzisiert.