Mehr als 10'000 Drohungen gegen Lebenspartnerinnen, Amtspersonen und Politiker registrieren die Schweizer Polizeistellen jedes Jahr. Die bedrohten Personen sind meist verängstigt und hilflos. Sie fragen sich: Muss ich mir ernsthaft Sorgen machen? Oder geht es nur um martialische Angeberei?

Einem Teil der Drohungen folgen Gewalttaten. Um sie möglichst zu verhindern, kommt das sogenannte Bedrohungsmanagement ins Spiel. Dabei arbeiten polizeiliche und andere Fachleute zusammen.

Die relativ junge Disziplin gibt es mittlerweile in mehr als einem Dutzend Kantonen. Sie setzt sich vorbeugend mit Gewaltandrohungen und anderen Warnsignalen auseinander, analysiert die Gefährlichkeit und trifft rasch deeskalierende Massnahmen. Das Credo lautet: erkennen, einschätzen, entschärfen. Nicht nur Drohungen weisen dabei darauf hin, dass die Situation womöglich eskaliert. Künftige Gewalttäter verhalten sich oft auch auf andere Weise auffällig, zeigen Studien (siehe «Wann Drohungen kritisch sind»).

Über die Polizei hinaus

Das Bedrohungsmanagement ist meist bei der Polizei angesiedelt, läuft aber interdisziplinär. Die Polizei steht mit anderen Fachstellen in engem Kontakt. Etwa mit Staatsanwaltschaft, Opferhilfestellen oder Frauenhäusern. Wenn zum Beispiel eine betroffene Frau oder ein Sozialdienst dem Bedrohungsmanagement eine Drohung meldet, wird anhand der übermittelten Informationen geprüft, ob Abklärungen nötig sind (siehe Artikel unten «Man kann sie nicht präventiv wegsperren»).

«Wenn du mich verlohsch, bisch tot. Ich mach dich fertig!»

Ein hasserfüllter Ehemann

Das ist gerade im Bereich der häuslichen Gewalt nicht einfach. Das Risiko kann fortlaufend ändern. Vielleicht zeigt sich der Ehemann plötzlich reuig und handzahm – seine Drohung sei ja nicht ernst gemeint gewesen. Oft klammern sich Bedrohte an solche Beschwichtigungen und drücken nochmals ein Auge zu – bis zur nächsten brisanten Situation. Darum muss eine derartige Entwicklung, gerade bei Fällen mit hohem Gewaltpotenzial, immer wieder überprüft werden. Die Fachleute müssen abschätzen, ob Massnahmen angezeigt sind – soll die Frau etwa in ein Frauenhaus Häusliche Gewalt Ins Frauenhaus – und dann? ? Wenn Kinder involviert sind, wird es noch komplizierter.

Das Bedrohungsmanagement setzt auch computergestützte Instrumente ein, um das Risiko einzuschätzen. Sie tragen Namen wie Dyrias-Intimpartner (Dynamisches Risiko-Analyse-System) oder Odara (Ontario Domestic Assault Risk Assessment) und spucken, gestützt auf Daten zum konkreten Fall, eine Prognose für das Gewaltrisiko aus.

Wenn feststeht, dass von einer Person eine konkrete Gefahr ausgeht, werden Schritte eingeleitet. Im Kanton Zürich etwa kann die Polizei Personen, die häusliche Gewalt androhen oder begehen, für 14 Tage aus der gemeinsamen Wohnung wegweisen und die Opfer durch Kontakt- oder Rayonverbote schützen. Wenn ein Strafverfahren hängig ist, kann das Bedrohungsmanagement das Risiko auch zuhanden der Staatsanwaltschaft einschätzen. Diese beantragt dann unter Umständen beim Gericht Untersuchungshaft oder eine Hausdurchsuchung.

«Ihri Dräcksbehörde hät mis Läbe ruiniert. Sie werded das no bereue! Es hät gnueg Patrone für das ganze Saupack!»

Ein Sozialhilfeempfänger

Oft ist die Gefahr aber eher latent. Dann genügt vielleicht eine sogenannte Gefährderansprache: Man sagt dem Täter, dass man ihn auf dem Radar hat – und zeigt ihm Handlungsalternativen.

Aber auch bei den Bedrohten setzt man an. Sie bekommen Ratschläge, wie sie sich besser schützen können. Opfer von Stalking Stalking Wenn aus Liebe Wahn wird sensibilisiert man für bewussteren Umgang mit dem Handy oder zeigt ihnen, wie sie Gefahren im öffentlichen Raum reduzieren. Bei Bedarf wird auch das Türschloss gewechselt.

Fühlen Sie sich bedroht?
Wann Drohungen kritisch sind

Um zu beurteilen, wie ernst eine Drohung ist, richten Fachpersonen den Fokus auf vier Bereiche:

1. Art der Drohung:

  • Wie konkret ist die Drohung in Bezug auf spezifisch dieses Opfer, auf Motiv, Mittel und Zeitpunkt der Tat?
  • Wie plausibel, realistisch und nachvollziehbar erscheint die Tat angesichts der konkreten Umstände?
  • Gibt es Hinweise auf Vorbereitungshandlungen (wird eine Waffe besorgt, wird das Opfer ausgespäht)?


2. Persönlichkeit des Drohenden, etwa:


3. Aktuelles Warnverhalten, etwa:

  • Nimmt er vermehrt Kontakt auf mit dem Opfer (SMS, Mails, Auflauern)?
  • Äussert er gegenüber Dritten (auch auf Social Media), dass er eine Gewalttat plant?


4. Akute Belastungsfaktoren, etwa:

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