Aufgezeichnet von Rebekka Haefeli:

«Früher weinten die Kinder oft schon, wenn wir das Zimmer betraten. Sie klammerten sich an die Mutter, weil sie wussten, was auf sie zukommt. Man musste sie der Mutter aus dem Arm nehmen. Das macht niemand gern. Das war hart.

Als ich vor 40 Jahren im Zentrum für brandverletzte Kinder des Universitäts-Kinderspitals Zürich begann, hat man fast täglich die Verbände gewechselt. Sehr schmerzhaft, ohne Narkose. Das entsprach dem damaligen Wissensstand. Heute wechseln wir die Verbände nur noch ein- oder zweimal pro Woche, meist mit einer Anästhesie.

Der Anblick der Wunden machte mir selten etwas aus. Unser Vorteil als Pflegefachleute ist ja, dass wir die Kinder nicht unversehrt kannten. Wir haben sie nie ohne Narben gesehen. Für die Eltern ist das sicher viel schlimmer. 

Aber die meisten Kinder sind Stehaufmännchen . Sie sind voller Optimismus, wenn sie merken, dass es ihnen jeden Tag etwas besser geht.

Ich habe nur wenige Male erlebt, dass ein Kind starb. Patienten mit schwersten Brandverletzungen oder Verbrühungen in kritischem Zustand verbringen die erste Zeit auf der Intensivstation. Wenn sie zu uns kommen, haben sie die lebensbedrohliche Phase in der Regel überstanden. Geträumt habe ich nie davon. Ich habe wohl von Natur aus eine gute Bodenhaftung.

Ein Klappbett im Zimmer

Die Kinder bleiben manchmal wochen- oder monatelang auf der Station. Fast immer ist die Mutter oder der Vater 24 Stunden da. Die Besuchszeiten sind schon lange nicht mehr strikt. Wir stellen ein Klappbett auf, es wird dann halt etwas eng.

Die Beziehungen, die wir als Pflegeteam zu den Kindern aufbauen, sind anders als früher. Damals gaben wir ihnen zu essen, halfen ihnen, die Zähne zu putzen, und verbrachten viel Zeit mit ihnen. Heute übernehmen die Eltern diesen Teil.

Einzelne Kinder und ihre Geschichte haben sich mir schon besonders eingeprägt. In meinen Anfängen hier brannte die Wohnung einer Familie. Dabei kam die Mutter ums Leben, das Kind wurde schwer verletzt. Das Kind sagte mir einmal, es sei sehr traurig, weil sein Kindergartentäschchen verbrannt sei. Dieser Satz tat mir entsetzlich weh.

In Erinnerung geblieben ist mir auch ein dreijähriges Mädchen aus dem Tessin. Die Mutter sprach kaum Deutsch. Ich wurde die Bezugsperson des Mädchens, denn ich kann Italienisch. Sein Stofftier war beim Feuer in Brand geraten. Instinktiv hatte das Kind das Plüschtier an sich gedrückt.

Zurück ins Spital

Nach acht Monaten konnte das Mädchen wieder nach Hause gehen. Es kam in den folgenden Jahren aber immer wieder mit seiner Mutter nach Zürich. Weil das Narbengewebe nicht gleich schnell mitwächst, müssen viele Kinder diverse Korrekturoperationen über sich ergehen lassen. Für die Familien sind das jedes Mal Zeiten des Hoffens und Bangens. Für uns Pflegefachleute sind es manchmal Balanceakte zwischen Nähe und Distanz.

Unsere kleinen Patienten brauchen viel Disziplin. Sie verbringen Stunden mit Ergo- und Physiotherapie und bekommen Kompressionsanzüge oder Schienen, damit das Gewebe in Ruhe verheilen kann. Dadurch sind sie oft gezwungen, in unbequemen Positionen zu liegen. Kleinere Kinder kann man noch eher dafür gewinnen, wenn sie einen Film ansehen dürfen. Aber bei Pubertierenden ist es nicht immer ganz einfach, sie zum Kooperieren zu bewegen.

Für manche Eltern ist es schwierig, ihre Schuldgefühle abzulegen. Sie machen sich Vorwürfe, weil sie den Unfall nicht verhindern konnten. Bei der Verarbeitung werden sie durch Psychologen des Kinderspitals unterstützt. Viele Patientinnen und Patienten bleiben ihr Leben lang durch Narben gezeichnet. Mich erstaunt immer wieder, wie gut sie sich mit ihrer Situation arrangieren.»

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Matthias Pflume, Leiter Extras
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