Beobachter: Der Pharmariese Pfizer hat kürzlich die Alzheimerforschung gestoppt. Warum?
Lawrence Rajendran: Nicht nur Pfizer hat die Forschung eingestellt, sondern auch Merck und Axovant.

Beobachter: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die News hörten?
Rajendran: Warum tun sie das? Hängt das mit ihrer Firmenphilosophie zusammen? Glaubt man nicht an Profit? Wären die Investitionen so viel höher als der zu erwartende Gewinn? Oder ist das Problem, dass alle bisherigen Entwicklungen in den anschliessenden Patiententests versagt haben? Wenn einer meiner Studenten ein Projekt abbricht, ist das zwar traurig. Aber wenn eine Pharmafirma Ärzte Pharmaindustrie verteilt Millionen aufgibt, ist das dramatisch. Denn es geht um die Hoffnungen unzähliger Patienten und ihrer Angehörigen, aber auch um staatliche Gelder und um Arbeitsplätze. Das ist ein massiver Rückschritt.

Beobachter: Was bedeutet das für Sie als Forscher?
Rajendran: Ich bin Teil einer Kette. Ich forsche, kann etwas belegen und gebe meine Erkenntnisse weiter. Ich übergebe sozusagen die olympische Fackel dem Nächsten. Jetzt steht da aber jemand, der sagt: «Ich will das olympische Feuer nicht.» So kommt man nicht ans Ziel. Solche Entscheide werfen einen riesigen negativen Schatten auf alles.

Beobachter: Können Firmen einfach so entscheiden, nicht weiterzuforschen?
Rajendran: Das frage ich mich auch. Ist das moralisch vertretbar? Eigentlich sollte die Frage aber lauten: Will eine Firma ein wirksames Medikament finden oder will sie Geld verdienen? Wenn es ihr primär ums Geld geht, ist der Entscheid aus rein wirtschaftlicher Perspektive verständlich. Wenn die Firma aber behauptet, sie wolle Medikamente entwickeln und damit Menschen heilen, dann frage ich mich: Wie um alles in der Welt kann man so einen Entscheid fällen? Meiner Meinung nach darf das gar keine Option sein. Das ist moralisch nicht okay.

«Aufgeben darf für eine Pharmafirma keine Option sein. Das ist moralisch nicht okay.»

Lawrence Rajendran, 43, ist Molekularbiologe und forscht für die Universität Zürich zu neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer.

Beobachter: Haben diese Firmen denn gar kein Gewissen?
Rajendran: Es ist wie im Sport: Manchmal kommt man als Erster ins Ziel, manchmal nicht. Manchmal trägt einen das Publikum, manchmal treiben einen die Konkurrenten zu Höchstleistungen an. Auch in der Forschung kann man kein Rennen allein gewinnen. Wenn wir jetzt sehen, wie eine Firma nach der anderen die Forschung an einem Alzheimermedikament aufgibt, schadet das allen – nicht bloss den betroffenen Firmen, den Patienten und den Forschern.

Beobachter: Warum ist es so wahnsinnig schwierig, ein Medikament gegen Alzheimer zu entwickeln?
Rajendran: Alzheimer ist unendlich kompliziert. Wenn man diese eine Krankheit, die wohl eher eine Ansammlung verschiedener Krankheiten ist, zum Beispiel mit Ebola vergleicht, sieht man das: Kaum hatte man das Ebolavirus identifiziert, gab es auch schon eine Impfung. Bei Alzheimer haben wir aber keinen einzelnen, konkreten Feind. Deshalb wissen wir noch nicht einmal so ganz genau, wo genau ein Alzheimermedikament ansetzen müsste.

Beobachter: Die Forschung steht vor einem Rätsel?
Rajendran: Wenn man dauernd in den sozialen Medien liest, dass ein Durchbruch kurz bevorstehe, kommt das nur vom Druck, dass Forscher unbedingt publizieren müssen. Tatsache ist: Wir sind noch nicht besonders weit.

Beobachter: Gibt es wenigstens aussichtsreiche Ansätze?
Rajendran: Nach heutigem Stand weiss man wirklich nicht viel mehr, als dass es Antikörper gibt, die die kognitiven Fähigkeiten von Alzheimerpatienten verbessern. Konkret gibt es ein solches Mittel der Uni Zürich. Es ist aber noch nicht zugelassen. Doch dabei geht es um reine Symptombekämpfung.

 

«In der Forschung ist es wie im Sport: Man kann kein Rennen allein gewinnen.»

Lawrence Rajendran, Molekularbiologe

 

Beobachter: Gibt es noch andere erfolgversprechende Ansätze?
Rajendran: Es gibt Erkenntnisse in Bezug auf die Ernährung. Im Moment sieht es so aus, als gebe es drei Lebensphasen, die im Hinblick auf neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer oder Demenz unterschiedlich sind: Im Wachstum kommt es darauf an, dass wir genug und gesund essen. Im mittleren Alter sollte man möglichst nicht dauernd essen, sondern längere Pausen zwischen den Mahlzeiten einlegen. Ab ungefähr 65, 70 ist es dann wieder wichtig, genug zu essen. Leider ist es oft umgekehrt: Menschen werden in den mittleren Jahren dick und faul und haben dann im Alter keinen Appetit mehr. Unsere Hypothese ist, dass dieses Verhalten Alzheimer begünstigt.

Beobachter: Das ist aber nur ein Ansatz. Weshalb kommt man nicht an die Wurzel des Übels?
Rajendran: Ich glaube, dass es nicht wirklich die eine Alzheimer-Erkrankung gibt, sondern dass sich dahinter eine ganze Reihe von Krankheiten und Symptomen verbirgt, die in verschiedenen Ausprägungen und Kombinationen auftreten. Vielleicht sind es drei Krankheiten, vier, fünf oder zwanzig. Wir müssen sie zuerst einmal in Unterkategorien ordnen. Manchmal muss man beim Bergsteigen ja auch zuerst ein Stück hinuntergehen, um auf den nächsten Gipfel zu gelangen. Immerhin wissen wir inzwischen, was wir alles noch nicht wissen. 

Wissen, was dem Körper guttut.
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Chantal Hebeisen, Redaktorin
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