Kopfschmerzen sind kein zuverlässiges Phänomen. «Ob Stress der Auslöser ist, zu wenig Schlaf, ein Wetterwechsel, ob man über den Tag zu wenig getrunken hat oder ob es einfach Zufall ist – das kann im Nachhinein keiner feststellen», sagt Niklaus Meier, Kopfschmerzexperte und Neurologe am Spital Thun. Denn zuverlässig reproduzieren, also quasi auf Befehl auslösen, lässt sich ein Kopfschmerz nur in sehr wenigen Fällen. Stattdessen variiert er von Mal zu Mal und von Mensch zu Mensch. Noch schwieriger: «Viele Betroffene wissen nicht, unter welchem Kopfschmerz sie leiden.»

Dabei wäre das hilfreich. «Nur wer es weiss, kann auch die richtige Therapie einsetzen, um den Schmerz zu lindern oder die Häufigkeit zu reduzieren», sagt Meier.

Die International Headache Society (IHS) unterscheidet mittlerweile über 250 verschiedene Kopfschmerzarten. Die wichtigsten und häufigsten sind der Spannungskopfschmerz, die Migräne und der Cluster-Kopfschmerz. Unter ihnen leiden 90 Prozent aller Kopfschmerzpatientinnen und -patienten. Man nennt sie primäre Kopfschmerzen, da sie ohne eindeutige Ursache auftreten, während die sekundären Kopfschmerzen Begleiterscheinungen zum Beispiel von Infekten sind.

Da sich ein unbekannter Auslöser schwer vermeiden lässt, besteht die Therapie darin, den Schmerz richtig zu bekämpfen oder gar nicht erst zuzulassen. «Darüber, wie Kopfschmerzen entstehen, ist bislang nicht viel bekannt», sagt Meier.

Mittlerweile gehen Experten davon aus, dass es angeborene neurologische Erkrankungen sind, bei denen mehrere Gene eine Rolle spielen. Entsprechend zeigen sich Kopfschmerzen bei jedem Menschen anders.

Trotz vielseitiger Symptome die richtige Therapie finden

Während ein Spannungskopfschmerz in der Regel nur schwach bis mittelstark ausgeprägt ist, sorgt eine Migräne oder ein Cluster für deutlich stärkere Schmerzen. Je grösser das Leiden, umso wichtiger ist es, festzustellen, um welche Art von Kopfschmerz es sich handelt. Doch wegen der vielseitigen Symptome bekommen Betroffene nicht immer die richtige Diagnose und Therapie.

Der Schmerzpatient Rafael Häusler schreibt in seinem Buch «Schmerz frisst Seele» zu seiner Lebensgeschichte mit Cluster-Kopfschmerz und zu den Problemen bei der Diagnose: «Der Schmerz ist eine stark subjektiv gefärbte Wahrnehmung, und es ist schwierig, sie anderen Menschen verständlich mitzuteilen.»

Neurologe Meier war Leiter einer universitären Kopfschmerz-Sprechstunde, und auch er weiss: «Eine richtige Diagnose hängt sehr von der Erfahrung des Arztes ab.» Denn auf den ersten Blick ähneln sich die Beschwerdebilder.

So hat jeder, der häufig im Büro oder zu Hause auf der Couch sitzt, ein erhöhtes Risiko für Spannungskopfschmerzen, weil die einseitige Körperhaltung leicht zu Verspannungen im Nackenbereich führt. Regelmässige Bewegung als Ausgleich für die beanspruchte Muskulatur lautet die ärztliche Empfehlung.

Migräne wird oft nicht erkannt

Aber auch mindestens 60 Prozent der Migräniker leiden bei einer Attacke an Hinterkopf- und Nackenschmerzen, und bei manchen äussert sich die Migräne manchmal ausschliesslich in Nackenschmerzen. «Das wird häufig nicht als Migräne erkannt und daher falsch oder gar nicht behandelt.» Studien schätzen, dass nur jede zweite Migränepatientin überhaupt erkannt wird, eine von drei erhalte nicht die richtige Therapie.

Cluster-Kopfschmerzen lösen bei Betroffenen häufig Panik aus. Der Schmerz ist so stark und plötzlich, dass viele an einen Hirnschlag denken. Der aber verursacht in der Regel keine Schmerzen. Beim Cluster-Kopfschmerz liegen zwischen den Attacken oft beschwerdefreie Monate bis Jahre – das erschwert die Diagnose. 

Migräne-Selbsttest mit Fragebogen

Betroffene könnten selbst zu einer besseren Diagnose beitragen, sagt Niklaus Meier. Die Häufigkeit, der Ort des Schmerzes und die Dauer geben bei deutlichen Symptomen einen ersten Hinweis, um welche Art von Kopfschmerzen es sich tendenziell handelt.

Ob der Kopfschmerz eine Migräne ist, lässt sich etwa recht zuverlässig mit dem nur drei Fragen umfassenden Fragebogen ID-Migraine erkunden. In zahlreichen Studien liegt die Erkennungsquote des Tests bei über 90 Prozent. Erfunden hat ihn 2003 der amerikanische Neurologe Richard Lipton.

Gefragt wird nach Folgendem: 

  • Beeinträchtigt Ihr Kopfschmerz für mindestens einen Tag Ihre Fähigkeit, zu arbeiten, zu lernen oder das zu tun, was zu erledigen war?
  • Verspürten Sie Übelkeit oder das Gefühl, sich übergeben zu müssen?
  • Fühlten Sie sich sehr durch Licht gestört (oder deutlich mehr als ohne Kopfschmerzen)?


Beantwortet die Patientin mindestens zwei Fragen mit Ja, ist eine Migräne sehr wahrscheinlich. Eine Weiterbehandlung sollte dann nicht mehr in Eigenregie, sondern beim Arzt erfolgen.

Buchtipp
Dem Schmerz die Stirn bieten
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Kopfschmerz-Tagebuch zeigt Muster auf 

Über zwei bis drei Monate ein Kopfschmerz-Tagebuch zu führen, ist ein weiterer Baustein zur richtigen Diagnose. «Oft zeigt sich ein klares Muster», sagt Niklaus Meier. Ausserdem könne der Arzt erkennen, ob der Patient bereits in einen Überkonsum von Schmerzmitteln reingerutscht ist, was zu zusätzlichen Schmerzen führen kann.

Das Kopfschmerz-Tagebuch dient dazu, alle Faktoren festzuhalten, die im Zusammenhang mit dem Schmerz möglicherweise wichtig sind. Dazu gehören auch Nahrungsmittel, Medikamente oder bestimmte Tätigkeiten. «Wichtig sind vor allem Angaben, wie viele Tage im Monat man Kopfschmerzen hat, an wie vielen Tagen im Monat deswegen Schmerzmittel eingenommen werden, wie stark die Schmerzen sind, und bei Frauen, wann sie ihre Menstruation haben», sagt Meier.

Weniger Schmerztage und Medikamente dank App

Die Aufzeichnungen können per Hand erfolgen, praktischer ist es aber, mit einer Smartphone-App wie der Migräne-App der Schmerzklinik Kiel zu arbeiten, die auch eine automatische Auswertung für den Arzt ermöglicht. Sie nimmt Patienten viel Arbeit beim Eintragen ab und kontrolliert die Einnahme der maximal erlaubten Medikamentenmenge.

Die App eignet sich nicht nur zur Erkennung der Kopfschmerzart, sondern auch für die Zeit nach der Diagnose. In einer Studie mit 1500 Betroffenen, die die App 13 Monate lang nutzten, konnten manche ihre Schmerztage deutlich reduzieren und mussten weniger Medikamente einnehmen.

Woran erkennt man Spannungskopfschmerzen?

Schmerzort von Spannungskopfschmerzen
Quelle: Andrea Klaiber
  • Häufige neurologische Krankheit
  • Leichte bis mittelschwere Schmerzen
  • Keine begleitende Übelkeit
  • Allenfalls Licht- oder Lärmempfindlichkeit
  • Alltägliche körperliche Aktivitäten verstärken den Schmerz nicht.
  • Dauer: sehr variabel, zwischen 30 Minuten und vielen Wochen
  • Schmerzen typischerweise schraubstockartig, drückend, werden im ganzen Kopf gespürt
  • Schwierigkeit: Abgrenzung gegenüber milder Migräne

Wie erkennt man Migräne?

Schmerzort von Migräne
Quelle: Andrea Klaiber
  • Häufige neurologische Krankheit
  • Mittelstarke bis starke Schmerzintensität
  • Betrifft Jüngere: Unter den 30- bis 40-Jährigen leiden bis zu 30 Prozent der Frauen und 15 Prozent der Männer darunter.
  • Schmerzen oft pulsierend oder drückend, typischerweise einseitig in der Region von Auge und Stirn, oft auch beidseitig
  • Alltägliche körperliche Aktivitäten verstärken den Schmerz.
  • Begleiterscheinungen: Übelkeit, Erbrechen, Lärm- und Lichtempfindlichkeit
  • Dauer ohne Behandlung: 4 Stunden bis 3 Tage

Wie äussern sich Cluster-Kopfschmerzen?

Clusterkopfschmerzen: Unerträgliche Schmerattacken hinter einem Auge
Quelle: Andrea Klaiber
  • Seltene neurologische Krankheit
  • Betroffen sind meist männliche Raucher im mittleren Alter.
  • Schmerzattacken von unerträglicher Intensität hinter einem Auge und immer auf derselben Seite
  • Die Attacken treten in Phasen von einigen Wochen bis Monaten auf. Pro Tag können es mehrere sein, typischerweise auch nachts aus dem Schlaf heraus.
  • Begleiterscheinungen: Tränen, Rötung des betroffenen Auges, körperliche Unruhe, Bewegungsdrang
  • Dauer ohne Behandlung: 15 Minuten bis 3 Stunden
Wissen, was dem Körper gut tut.
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Jasmine Helbling, Redaktorin
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