Es ist 19 Uhr. Ich sitze im Restaurant, allein. Meine Freundin lässt auf sich warten. Blick aufs Handy. Keine Nachricht. 19.10 Uhr. Immer noch keine Spur von der Freundin, dabei hatten wir doch vereinbart, um 19 Uhr zu essen. Überhaupt hat sie sich schon bei den letzten drei Treffen verspätet Selbstorganisation Wenn Sie ständig Terminen hinterherrennen . 19.20 Uhr. Sie stürmt ins Restaurant. «Es tut mir so leid. Ich habe …»

Ich mag gar nicht hören, welche Erklärung sie mir heute auftischt. Ich weiss nur, ich bin sauer. Weil ich immer pünktlich bin. Weil ich nicht gern warte. Weil ich meiner Freundin ganz offensichtlich egal bin und sie sich deshalb nicht einmal die Mühe macht, mir eine Nachricht zu schreiben, wenn sie wieder mal zu spät dran ist.

Doch halt! Hier spielt mir die Natur gerade einen Streich.

Die Evolution machts

Wenn wir das Verhalten unseres Gegenübers nicht verstehen, es nicht nachvollziehen können, suchen wir nach einer Erklärung. «Und dabei unterstellen wir sehr schnell böse Absichten», sagt Kommunikationsexpertin Elisa Streuli. Sie ist Dozentin und Beraterin am Institut für Angewandte Psychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Ein urmenschliches Verhalten: Wer sich bedroht fühlt – auch durch einen Angriff auf das Selbstwertgefühl –, flüchtet oder greift seinerseits an. Der Körper schüttet Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol Stress und Körpersymptome Körper im Alarmzustand aus, um schnell reagieren zu können.

Dieser Hormoncocktail kann in gewissen Gefahrensituationen lebensrettend sein, doch bei kommunikativen Konflikten verschlimmert er das Problem. Man missversteht Dinge, trifft falsche Annahmen – und schon eskaliert der Konflikt.

«Die Evolution hat unser Gehirn darauf programmiert, Dinge zu bewerten», sagt Streuli. Die schlechte Nachricht: Daran lässt sich nichts ändern.

Es ist also menschlich, wenn man folgert, die Freundin sei desinteressiert, wenn sie sich verspätet. Doch wahr ist es deshalb noch lange nicht. Die gute Nachricht: Wir können steuern, wie wir reagieren. Nur weil wir uns angegriffen fühlen, müssen wir nicht automatisch zum verbalen Gegenangriff ausholen. Die Situation bleibt unangenehm. Viele geraten in ein Dilemma: Sie möchten für ihr Anliegen einstehen, gleichzeitig aber eine gute Beziehung nicht durch ein schwieriges Gespräch gefährden. Was ist also der Weg aus der Sackgasse?

Freundlich ansprechen

«Wir können und sollen uns für unsere Interessen einsetzen», sagt die Konfliktmanagerin. Das kann man sehr bestimmt, beharrlich, aber zugleich auch freundlich tun. Statt also verärgert zu reagieren, sich zurückzuziehen oder die Faust im Sack zu machen, spricht man das Problem in einem freundlichen oder zumindest neutralen Ton Beschwerden Der Ton macht die Reklamation an. So verletzt man die andere Person nicht und gibt ihr die Chance, ihr Gesicht und damit ihr eigenes Selbstwertgefühl zu wahren.

Hilfreich können dabei die berühmten Ich-Botschaften sein. Doch auch hier lauert ein Fallstrick. Denn nicht jeder Satz, der mit einem Ich beginnt, ist auch tatsächlich eine Ich-Botschaft. «‹Ich finde, du bist ein Trottel› wird vom Gegenüber schätzungsweise nicht weniger bedrohlich interpretiert als die direkte Botschaft ‹Du bist ein Trottel›», erklärt Streuli mit einem Augenzwinkern. Anders gesagt: Kommunikationstechniken sind nur so viel wert wie die Haltung, die dahintersteckt.

Die ewige Schuldfrage

Was ist das Ziel des Konfliktgesprächs Mediation Konflikte konstruktiv beenden ? Viele überlegen sich das nicht und beginnen automatisch damit, Schuldige zu suchen. «‹Ich hab recht und du bist schuld› ist vielfach der wichtigste Punkt», sagt Streuli. Seit jeher wollen die Menschen Schuldige benennen. Das trägt dazu bei, das eigene Selbstwertgefühl zu schützen. Doch es kann zu einem Machtkampf führen, der alles noch schlimmer macht. Denn der Mensch, der kritisiert wird, hat ebenfalls das Bedürfnis, sich zu verteidigen.

Besser ist es deshalb, sich weniger auf die Schuldfrage zu konzentrieren und mehr darauf, wie sich der Konflikt in Zukunft vermeiden lässt. Das heisst auch: zuerst zuhören und die Gefühle des Gegenübers anerkennen. Jemandem seine Gefühle abzusprechen, verschärft den Konflikt nur.

Hart in der Sache und sanft zu den Menschen – das ist auch der Grundsatz des Harvard-Verhandlungskonzepts, aufgestellt 1981 von den US-Autoren William Ury und Roger Fisher. «Dieses Prinzip eignet sich für praktisch alle Gesprächssituationen und ganz speziell für schwierige Fälle, die ein besonderes Fingerspitzengefühl erfordern», sagt Streuli. Ein respektvoller Umgang mit dem Gegenüber bedeutet also nicht, seine Emotionen zu unterdrücken, sondern lediglich, sich nicht von ihnen beherrschen zu lassen Wenn das innere Kind ausflippt Was tun, damit man die Selbstbeherrschung nicht verliert? . Statt das Gegenüber zu beschuldigen und zu attackieren, lohnt es sich, eigene Wünsche und Sichtweisen klarzumachen.

Ich bin noch wütend. Doch statt die Faust im Sack zu machen, wähle ich eine andere Strategie. Ehrlichkeit! «Ich komme mir dumm und unwichtig vor, wenn ich immer wieder auf dich warten muss», sage ich zu meiner Freundin. Sie schaut verschämt weg, nimmt einen Schluck Wein – und wir beginnen miteinander zu reden.

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Tipps für ein gutes Konfliktgespräch

Mit diesen fünf Punkten gelingt es, auch schwierige Gespräche zu einem glücklichen Ende zu führen.

  • Gut zuhören: In Konfliktsituationen neigen viele dazu, sich auf die eigene Meinung zu versteifen und dem Gegenüber keinen Raum zu geben. Durchbrechen Sie dieses Muster, indem Sie auf das Gesagte eingehen, statt zu widersprechen. Insbesondere zu Beginn eines Gesprächs geht es um eine Würdigung der Anliegen und nicht darum, ob sie berechtigt sind oder nicht.
  • Gemeinsame Ziele: Während eines Streits sind die Differenzen häufig sichtbarer als das gemeinsame Ziel. Beziehen Sie sich immer wieder auf das, was Ihnen beiden wichtig ist.
  • Optionen präsentieren: Gespräche scheitern häufig daran, dass jede Partei die andere von der eigenen Position überzeugen möchte. Stellen Sie stattdessen klärende Fragen, und präsentieren Sie verschiedene Varianten und Optionen. So signalisieren Sie dem Gegenüber, dass Sie sich nicht nur für die eigenen, sondern auch für seine Ansichten interessieren.
  • Positiver Fokus: Statt in der Vergangenheit nach Schuldigen zu suchen, lohnt es sich, den Blick in die Zukunft und auf die gemeinsame Vision zu richten: Wie kommen Sie gemeinsam vorwärts? Welche Lösung bringt beiden Personen etwas?
  • Keine Unterstellungen: Das Gegenüber hegt womöglich keine schlechten Absichten, sondern hat schlicht andere Interessen als Sie. Machen Sie ein Gedankenexperiment. Stellen Sie sich vor, dass die andere Person in guter Absicht handelt, und reagieren Sie entsprechend.

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