Heute geht es um Genitalien. Falls Ihnen das unangenehm ist, sollten Sie weiterlesen. Weil dann die Chance gross ist, dass Sie viel mitnehmen können. Die meisten Leute sprechen nicht besonders gern über Genitalien . Nicht in der Öffentlichkeit, nicht in kleinen Runden, nicht bei der Ärztin, nicht mit sich selbst. Und das ist total schade.

Zugegeben, auch Gespräche über Ellbogen, Wädli, Bauchnabel oder Kinnspitzen führen die Listen mit Lieblingsgesprächsthemen nur selten an. Aber wenn wir uns zu diesen Körperteilen austauschen müssen oder wollen, geht die Konversation in der Regel recht flüssig und ohne grossen Ärger, Kicheranfälle oder peinliche Pausen voran. Bei Genitalien ist das anders.

Viele Leute haben schlicht keine Worte dafür. Und ich wähle hier bewusst den Plural. Denn kein Ding, das in derart vielen verschiedenen, emotional und inhaltlich potenziell aufgeladenen Kontexten vorkommt, kommt mit einer einzigen Bezeichnung aus.

Wie nennt man das da unten?

«Ich sage ‹Schlitzli›», erklärte kürzlich ein Vater, als wir in einer Runde über die Frage diskutierten, wie man mit Kindern korrekt über Genitalien spricht. Als ich fragte, warum er nicht einfach Vulva oder Vagina sage, ging ein Raunen durch die Runde. Vulva sei ein hässliches Wort, vor allem aber zu erwachsen und deshalb ungeeignet. Zudem ergab sich die übliche Verwirrung, wo denn genau die Vagina anfange und die Vulva aufhöre und was genau der Unterschied sei.

«Bitte nennen Sie die Genitalien Ihrer Kinder beim Namen.»

Caroline Fux, Psychologin

Für alle, die jetzt grübeln: Die Vulva ist das äussere weibliche Genital, die Vagina der innere Teil. Auch Penisse bekamen die üblichen abenteuerlich-niedlichen Namen. Kaum jemand verwendete für Genitalien die neutralen Begriffe Vulva, Vagina, Penis.

Ich möchte Ihnen das kleine Plädoyer, das ich in jener Runde geführt habe, nicht vorenthalten: Bitte nennen Sie die Genitalien Ihrer Kinder beim Namen. Zugegeben, es mag sich zunächst komisch anfühlen, bei einem Baby von einem Penis oder einer Vulva zu sprechen. Tun Sie es trotzdem. Gern von Anfang an. Schlitzli, Schnäbi, Mumu oder Sisi sind okay, es sollten aber nicht die einzigen oder die Hauptbezeichnungen sein. Sie schicken Ihre Kinder vermutlich auch nicht ausschliesslich mit Füessli, Näsi, Ärmli oder anderen Verniedlichungen raus in die Welt. Ein Penis darf Penis heissen, eine Vulva Vulva. Auch bei ganz jungen Menschen.

Keine sprachlichen Schranken in den Köpfen

Schenken Sie Ihren Kindern auch in Bezug auf Sexualität eine Sprache. Und zwar eine vielseitige. Denn so können sich Menschen in verschiedenen Situationen kompetent und sicher fühlen. Das Argument, dass die Worte Penis oder Vulva zu steril oder offiziell seien, ist, mit Verlaub, Quatsch. Denn das Sterile oder Offizielle passiert in unseren Köpfen. Und es setzt Schranken, die nicht zuletzt deshalb schaden, weil in der Regel keine tauglichen Alternativen mitgegeben werden.

«Nicht alles, was sexuell ist, ist auch erotisch aufgeladen.»

Caroline Fux, Psychologin

Reden über Sex braucht Übung. Und die Erkenntnis, dass es einen Unterschied gibt zwischen Sexualität und Erotik. Denn nicht alles, was sexuell ist, ist auch erotisch aufgeladen. Das zu wissen und vertreten zu können, ist essenziell. Oder mögen Sie den Gedanken, dass Ihre Tochter vielleicht mal sprachlos bei der Gynäkologin sitzt, weil ihr dämmert, dass es gleich saudoof klingt, wenn sie sagt, dass an ihrem Schlitzli etwas nicht stimme? Eben.

Fordern Sie sich heraus. Machen Sie einfach mal eine Liste mit Bezeichnungen, die Sie für Genitalien kennen. Bitten Sie eine vertraute Person, dasselbe zu tun und gleichen Sie dann Ihre Listen ab. Ich garantiere, Sie werden mindestens ein kleines bisschen Spass haben. Wenn Sie keine besonders grosse Vielfalt zusammenbringen, dann googeln Sie «Namen für Penis» respektive «Namen für das weibliche Genital». Lesen Sie, lernen Sie, lächeln Sie. Und spielen Sie mit dieser Vielfalt. Denn in Bezug auf den sexuellen Körper sprachlos zu sein, ist für den A … llerwertesten.

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Bereits im Säuglingsalter wirkt der eigene Körper sehr spannend. Und mit zunehmenden Alter kommen auch die ersten Fragen, zum Beispiel woher die Kinder kommen. Beobachter-Abonnenten lesen im Merkblatt «Sexuelle Entwicklung des Kleinkindes», wie sie als Eltern dem Forscherdrang ihrer Kinder begegnen.

Zur Person

Caroline Fux

Caroline Fux schreibt für den Beobachter über ihre Arbeit als Psychologin und die tägliche Konfrontation mit sich selbst. Ausserdem ist sie Co-Autorin der Beobachter-Bücher «Was Paare stark macht», «Guter Sex» und «Das Paar-Date».

Quelle: Paul Seewer

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