Eine Patientin ist irritiert, als sie den Brief mit der Einladung zur Sprechstunde der Orthopädischen Klinik Luzern AG öffnet. Ihr Termin beim Orthopäden findet erst in vielen Wochen statt. Dann traut sie ihren Augen kaum. Ein beigelegter Flyer für «Priority Service» zeigt ihr die Lösung für eine kürzere Wartezeit auf: Gegen Zahlung von 300 Franken erhält sie innert zweier Wochen einen Termin in der Sprechstunde. Für weitere 500 Franken wird sie zwei Wochen danach operiert. Für 800 Franken ist ihr medizinisches Problem also in vier Wochen gelöst – noch bevor der im Aufgebotsschreiben genannte Termin stattgefunden hat. 

Die Klinik gibt sich im Flyer kundenorientiert. Man nehme sich individuelle Wünsche der Patienten zu Herzen und habe ein «Priority-Modell» ausgearbeitet. «Gegen Aufpreis sichern Sie sich Vorzugsbehandlungen und -termine», steht da geschrieben. «Schluss mit Warten» – dieser Slogan wirbt für die bevorzugte Sprechstunde, der Operationstermin auf der Überholspur verspricht eine «bessere Planbarkeit».

Laut BAG ist das nicht erlaubt

Es stellt sich die Frage, ob das Krankenversicherungsgesetz (KVG) ein solches Angebot überhaupt zulässt. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sagt dazu klar: «Gemäss Tarifschutz im KVG sind die vertraglich oder behördlich festgelegten Tarife und Preise verbindlich. Die Leistungserbringer dürfen keine weitergehenden Vergütungen berechnen.» Zusatzhonorare könnten nur verrechnet werden, wenn tatsächlich medizinisch begründete Mehrleistungen erbracht würden. Weiter führt das BAG aus, vorgezogene Behandlungen müssten medizinisch begründet sein. «Das KVG verlangt eine medizinische Gleichbehandlung. Alle Versicherten haben Anspruch, rechtzeitig behandelt zu werden. Oder anders gesagt: Niemand darf medizinische Nachteile wegen einer nicht bevorzugten Behandlung erleiden», sagt Grégoire Gogniat vom BAG.

«Eine verkürzte Zeit zwischen Konsultation und Operation setzt Patienten unter Druck.»

Daniel Tapernoux, Schweizerische Stiftung SPO Patientenorganisation

Die Hirslanden-Gruppe sieht darin kein Problem, da diese Zusatzleistung nicht über den Tarmed abgerechnet werde. «Das heisst, die zur Diskussion stehenden Leistungen fallen nicht unter KVG und werden dort auch nicht in Rechnung gestellt», sagt Mediensprecher Claude Kaufmann. Mehrleistungen ausserhalb des KVG dürften mit Zusatzhonoraren abgerechnet werden. Die Zusatzleistungen bestünden aus Mehraufwänden für die Organisation der rascheren Termine, der Suche nach Lücken in Belegungsplänen oder der Planung allfälliger Schichtverlängerungen des Personals. Es stehe jeder Patientin und jedem Patienten frei, solche Zusatzleistungen in Anspruch zu nehmen. Kaufmann betont: «Notfälle gehen immer den elektiven Eingriffen vor. Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit.»

Angebot fördert Zweiklassenmedizin

Unabhängig davon, ob dieses Angebot die Grundsätze des KVG verletzt, sind beschleunigte Operationstermine auch aus anderen Gründen zu hinterfragen. «Eine verkürzte Zeit zwischen Konsultation und Operation setzt Patienten unter Druck», sagt Daniel Tapernoux von der Schweizerischen Patientenorganisation SPO. Eine Bedenkzeit vor jeder Operation sei wichtig, ausser bei medizinisch dringlichen Gründen. Und bei orthopädischen Eingriffen werde eine Zweitmeinung niederschwellig empfohlen Ärztliche Zweitmeinung Soll ich mich unters Messer legen? , da seit Jahren der Verdacht bestehe, dass in diesem Medizinbereich zu schnell zum Messer gegriffen werde. Das BAG ergänzt: «Die betroffenen Personen dürfen keinesfalls unter Druck gesetzt werden. Vor allem dürfen keine medizinischen Vorteile durch die bevorzugte Behandlung versprochen werden.»

Das vorliegende Angebot weist auf einen Trend in der Gesundheitsversorgung hin: Wer besser versichert oder bereit ist, aus dem eigenen Sack zusätzlich zu zahlen, wird eher behandelt. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die aus Geldmangel hohe Franchisen wählen und anschliessend aus dem gleichen Grund nicht oder zu spät zum Arzt gehen.


In einer ersten Version schrieb der Beobachter, dieses Angebot verstosse laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) gegen das Krankenversicherungsgesetz. Das ist missverständlich. Ob das Angebot gesetzlich zulässig ist, ist fraglich.

Gegendarstellung zum Bericht über die Orthopädische Klinik Luzern auf beobachter.ch

Der Beobachter behauptet im Obertitel «Wie Hirslanden die Zweiklassenmedizin fördert». Das ist falsch. Richtig ist: Die Orthopädische Klinik Luzern AG (OKL) ist ein eigenständiges Unternehmen und gehört nicht zu Hirslanden. Die OKL nutzt die Infrastruktur der Hirslanden St. Anna Klinik Luzern.

Der Beobachter behauptete in einer ersten Version, dass das Angebot laut dem Bundesamt für Gesundheit BAG gegen das Krankenversicherungsgesetz verstösst und behauptet jetzt, es sei fraglich, ob das Angebot gesetzlich zulässig ist. Das ist falsch. Richtig ist: Das Angebot ist in allen Belangen gesetzeskonform. Die Korrektheit des Angebots wurde durch ein juristisches Gutachten eines schweizweit anerkannten Fachexperten untersucht und bestätigt. Der Beobachter hat Einsicht in das Gutachten.

Der Beobachter schreibt vom «Termin beim Orthopäden» und zitiert die Schweizerische Patientenorganisation SPO in Zusammenhang mit orthopädischen Eingriffen und dem Verdacht, dass in diesem Medizinbereich zu schnell zum Messer gegriffen werde. Das ist falsch. Richtig ist: Der Flyer mit dem Angebot wurde ausschliesslich Patientinnen und Patienten in der Handchirurgie im Bereich möglicher planbarer, ambulanter Eingriffe zugestellt. Handchirurgie ist ein eigenes Fachgebiet mit einem eigenen Facharzttitel und nicht Teil der Orthopädie. An der OKL werden 80 Prozent aller Behandlungen konservativ, ohne Operation, durchgeführt.

Kontakt für Rückfragen: Max Winiger, winiger@next-zurich.ch, Telefon: 079 340 42 57

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