Das Schreiben kam ganz altmodisch per Post. «Provisorische Proposition», lautete die Überschrift, und danach in holprigem Deutsch: «Ordentliches Angebot Jahr 2023 – Kantons- und Landesübergreifendes Rettungsfahrtwacht», gefolgt von einer ganzen Liste von kostenpflichtigen Dienstleistungen für einen Gesamtbetrag von Fr. 552.65.

«Die Rechnung ist so gestaltet, dass sie in der Buchhaltung möglichst ohne Nachfragen bei einem Vorgesetzten durchrutscht», sagt Adrian Schaffner, Managing Partner bei der Kommunikationsagentur Evoq in Zürich. Ihm ist die Rechnung der Rettungsfahrtwacht aufgefallen – und er hat die Bezahlung verhindert. 

Die Firma, die diese Briefe verschickt, kürzt ihren Unternehmensnamen mit «ReFa» ab, und die Ähnlichkeit mit der Rettungsflugwacht Rega ist alles andere als zufällig. Tatsächlich erinnern das Logo und die Website von der Gestaltung her sehr an die Rega: Das stilisierte Schweizerkreuz im Rega-Logo hat die Refa abgeändert und mit einem stilisierten Thurgauer-Wappen ergänzt. Dazu behauptet die Refa dreist, sie arbeite mit dem Kanton Thurgau zusammen. 

Zwei Anzeigen eingereicht

Die Kantonsverwaltung in Frauenfeld ist über die suggerierte Partnerschaft wenig erfreut: «Der Kanton Thurgau arbeitet in keiner Art und Weise mit der Rettungsfahrtwacht zusammen. Unser Logo sowie die Behauptung einer Zusammenarbeit sind missbräuchlich und widerrechtlich», sagt Nathanael Huwiler, Generalsekretär des Departements für Finanzen und Soziales.

Der Kanton habe umgehend Strafanzeige eingereicht, unter anderem wegen Verletzung des Wappenschutzgesetzes und des Gesundheitsgesetzes. Eine Strafanzeige hat auch die Rega deponiert. Sie klagt gegen unbekannt wegen Markenrechtsverletzung und Betrug.

Es dürfte nicht einfach sein, Firmeninhaber Giuseppe Donatello (Name geändert) habhaft zu werden. Der italienische Staatsbürger unternimmt alles, um sich zu verstecken. Sein Unternehmen hat den Sitz angeblich an der Juchstrasse 27a in Frauenfeld. Dort weiss jedoch niemand etwas von einer entsprechenden Firma.

Beim Eintrag des Einzelunternehmens ins Thurgauer Handelsregister am 30. November 2022 legte Donatello eine notariell beglaubigte Unterschrift vor, mit der er angab, im bernjurassischen Sonvilier zu wohnen. Im altehrwürdigen Hôtel de la Balance, wo er angeblich residiert, wurde einst die anarchistische Juraföderation gegründet. Bilder auf den Kartendiensten von Google und Apple zeigen, dass im Gebäude eine «Contact Bar» betrieben wird, ein Anruf dort bleibt unbeantwortet. Die Gemeindeverwaltung erklärt, Donatello habe sich bereits im Juni 2022 aus der Gemeinde abgemeldet. 

Auch die Website rettungsfahrt.ch hilft nicht weiter. Giuseppe Donatello hat seine digitale Spur über einen amerikanischen Anonymisierungsdienst verwischen lassen. Als Adresse gibt er die Neubrückstrasse 8 in Bern an. Immerhin ist dem Mann ein gewisser Humor nicht abzusprechen: An dem Ort befindet sich das alternative Jugend- und Kulturzentrum Reitschule.

Rechtliche Lücken genutzt

Auf den verschickten Rechnungen ist zudem die Adresse Horneggstrasse 70 in Zürich-Tiefenbrunnen angegeben. Doch auch diese ist falsch: Eine Liegenschaft mit besagter Hausnummer gibt es nicht. Über den Einzahlungsschein lässt sich immerhin eine Adresse in der Nähe eruieren. Dort existiert zwar ein Briefkasten mit Donatellos Namen, aber keine Türklingel. Eine Anfrage beim Personenmeldeamt der Stadt Zürich ergibt: Giuseppe Donatello hat sich nie in der Limmatstadt angemeldet. 

Um unauffindbar zu bleiben, profitiert Donatello von rechtlichen Lücken. Bei der Anmeldung im Handelsregister wird nicht kontrolliert, ob die angegebene Adresse stimmt, ebensowenig, wenn man bei der Domain-Registrierungsstelle Switch eine Website mit der Endung «.ch» anmeldet. Und selbst für die Eröffnung eines Bankkontos braucht es keine amtlich bestätigte Adresse. Ein Briefkasten reicht. 

Giuseppe Donatello, für den die Unschuldsvermutung gilt, war für den Beobachter nicht zu erreichen.
 
Er hat es offensichtlich darauf angelegt, anonym zu bleiben. Die Links zu sozialen Medien auf der Website der Rettungsfahrtwacht führen ins Leere, und wer bei der angegebenen Telefonnummer anruft, kommt ebenfalls nicht weiter: «Diese Rufnummer ist ungültig», heisst es dort. Mittlerweile ist auch die Website nicht mehr erreichbar.

Für Rechnungen der Rettungsfahrtwacht gibt es deshalb nur zwei Möglichkeiten: ab in den Papierkorb damit – oder der Polizei melden.