Bei Harry Potter gibt es diese Szene, in der Briefe das Haus überfluten. Es beginnt mit einem einzigen Umschlag, der nicht geöffnet wird. Am nächsten Tag liegen fünf neue vor der Tür, kurz darauf flattern Briefe durch den Türschlitz und die offenen Fenster.

Eine ähnliche Bescherung erlebte Marc Bill* (Name geändert – der Betroffene will online keine unnötigen Daten hinterlassen). Der 84-Jährige mag Briefe. Oder Postkarten. Oder Geschenke. Aber irgendwann sei auch mal gut. Vor allem, wenn alle nur das eine wollen: Geld. Für gemeinnützige Projekte, für seltene Vögel, für Gott und seine Helfer.

Also griff Bill zu Stift und Papier. «Ich habe mich zum Beobachter gemacht und ein Experiment gestartet», schrieb er an die Redaktion. Zeitraum: Oktober 2020 bis Oktober 2021. Seine Forschungsfragen:

a) Bekomme ich tatsächlich so viel Bettelpost?
b) Oder bilde ich mir das nur ein?

Nach zwölf Monaten weiss er – a) trifft zu. In seiner Statistik zur Beweisführung sind 161 adressierte Kuverts mit Begleitbrief, Einzahlungsschein und folgenden Beigaben aufgelistet:

  • 117 Bildkarten
  • 8 Schreibgeräte (4 personifiziert)
  • 4 personifizierte Bögen mit Adresse
  • 4 Jahreskalender
  • 2 Einkaufstaschen
  • 2 Kinderbüchlein
  • Notizblöcke und Post-its
  • Bling-Bling und Kuvertschmuck
  • Bierdeckel, Karabinerhaken, anderes unnützes Zeug

«Vieles von dem mitgesandten Krimskrams ist stilistisch eine Zumutung und kann wegen der Personifizierung nicht weiterverschenkt werden», nervt sich Bill.

Genau dafür wurde letzten Herbst die Flüchtlingshilfe kritisiert: Sie versandte neongrüne Handschuhe aus billigem Material – Geschenke für die Mülltonne. Der Entrüstungssturm, der sich über dem Hilfswerk entlud, zeigte Wirkung. «In Zeiten des Klimawandels ist das Bewusstsein für die negativen Folgen der Wegwerfgesellschaft gestiegen», heisst es bei der Flüchtlingshilfe. «Wir tauschen uns intern, aber auch extern intensiv darüber aus, wie wir zukünftige Versände gestalten könnten.»

Auch ohne Geschenke zeigt adressierte Werbung erstaunlich viel Wirkung. Sie wird mit 48 Prozent am stärksten beachtet – noch vor Fernsehwerbung. Das zeigt eine letztjährige Befragung des Marktforschungsinstituts Intervista. Jeder Zweite gibt an, nach einer Sendung etwas gekauft zu haben.

Datenspuren verfolgen

«Wie kommen die überhaupt an meine Adresse?», will Marc Bill wissen. Das ist nicht immer einfach nachzuvollziehen. Hilfswerke arbeiten meist mit sogenannten Adresshändlern zusammen. Diese verkaufen aufbereitete Daten weiter – Angaben wie Name, Alter, Beruf und Einkaufsgewohnheiten. «Solche Daten hinterlassen wir ständig. Oft nicht bewusst. Etwa wenn wir mit der Kreditkarte zahlen oder Kundenkarten nutzen», sagt Beobachter-Expertin Nicole Müller. Falls bekannt ist, aus welchem Pool die aufbereiteten Daten stammen, kann man gestützt auf das Datenschutzgesetz erfragen, welche Angaben wozu genutzt werden. (→ Musterbriefe: www.edoeb.admin.ch)

Bill hat nichts gegen Spenden. Im Gegenteil: «Seit ich ein eigenes Einkommen habe, unterstütze ich verschiedene Hilfswerke». Aber mit der «stetig steigenden Flut» verliere auch ein grosszügiger Spender den Überblick. Kein Wunder, knapp 10'000 Organisationen sammeln in der Schweiz, die Bereiche Sport, Tierschutz, Freizeit und Selbsthilfe mitgezählt.

Marc Bill orientiert sich am Gütesiegel der Stiftung Zewo. Es wird an Organisationen verliehen, die gewisse Standards erfüllen. «Fehlt das Siegel, heisst das aber nicht zwangsläufig, dass der Absender unseriös ist. Zewo gibt auch Auskunft über Organisationen, die kein Siegel haben», sagt Nicole Müller. Und sie ergänzt: «Es ist besser, wenige ausgewählte Organisationen mit einem grösseren Betrag zu unterstützen, als diesen aufzuteilen.»

Eine Einladung für die Zauberschule hat Marc Bill übrigens nie bekommen. Wundern würde er sich aber nicht.

So können Sie die Werbeflut eindämmen
  • Geben Sie auf Formularen nur die nötigsten Daten an.
  • Notieren Sie beim Hinterlassen Ihrer Adresse «Weitergabe an Dritte nicht gestattet».
  • Lassen Sie Ihre Daten bei der Einwohnerkontrolle sperren, wenn Sie keine Weitergabe wünschen.
  • Lassen Sie sich kostenlos auf die Robinsonliste setzen, die Werbesperrliste gegen unerwünschte, adressierte Werbepost. 
  • Streichen Sie Ihre Adresse auf dem Kuvert, notieren Sie «Refusé – bitte meine Adresse aus der Kartei streichen» und werfen Sie es unfrankiert in den gelben Briefkasten.

Unerwünschte Werbung: Was tun? Wie richtig spenden? Weitere Infos finden Sie bei Guider – der digitalen Rechtsberatung des Beobachters

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