Altes Brot, Gemüseabschnitte, welker Salat: In Privathaushalten haben viele gelernt, mit diesen Lebensmitteln zu kochen, statt sie wegzuwerfen. Doch schon bevor wir Esswaren kaufen, sind häufig Abfälle entstanden, die vermieden werden könnten. Die meisten Verarbeiter sind auf einzelne Produkte spezialisiert. Für die Lebensmittelindustrie ist es daher oft günstiger, Abfälle, die in der Produktion anfallen, zu Tierfutter zu verwerten oder an die Biogasanlage zu liefern, als sie zu etwas Essbarem weiterzuverarbeiten.

Molke, Kleie, Presskuchen

Im Zuge der Vermeidung von Foodwaste ist klar, dass sich das ändern muss. Auch beim Bundesamt für Umwelt (Bafu) heisst es auf Anfrage, dass sogenannte Nebenströme für die menschliche Ernährung nutzbar gemacht werden sollen. Gemäss einer Studie der ETH Zürich gehen fast 30 Prozent der Lebensmittel in der Verarbeitung verloren. Das Bafu schätzt das Potenzial der Nutzung dieser Abfälle als hoch ein – sowohl in Bezug auf die Masse als auch die Umweltwirkung. Als Beispiele für Nebenströme nennt das Bafu Molke, die bei der Käseherstellung anfällt, Kleie aus der Weissmehlproduktion oder auch Ölpresskuchen und Zuckermelasse.

Diese Liste liesse sich fast endlos ergänzen. Glücklicherweise nehmen auch die Ideen zu, was man aus diesen eigentlich noch essbaren Abfällen machen könnte – und junge Unternehmen setzen diese in die Tat um. So wird Foodwaste verhindert, und nicht selten entstehen dabei sogar spannende Delikatessen.

Fleischersatz aus Okara

Um Tofu herzustellen, braucht man zuerst einmal Sojamilch. Dafür werden getrocknete Sojabohnen eingeweicht, gekocht, gemahlen und abgepresst. Das Resultat ist Sojamilch, die dann zu Tofu eingedickt wird.

Wenn die Bohnen quasi gemolken sind, bleibt viel Trester zurück, auch Okara genannt; ein Überschuss-Lebensmittel, auf das drei junge Männer – ein Foodie, ein Lebensmitteltechnologe und ein Koch – aufmerksam wurden. 2021 gründeten sie das Berner Start-up Luya, das Biookara zu veganem Fleischersatz aufbereitet.

Bei Luya wird Okara, das mit Kichererbsen angereichert ist, mit einem asiatischen Edelschimmelpilz fermentiert. So wird der pflanzenbasierte Rohstoff mit einem Schuss Umami-Geschmack versehen. Das erste Luya-Produkt, die «Chunks», ist bereits in der ganzen Schweiz im Detailhandel zu finden. Bis es so weit war, musste die Luya-Crew aber einen langen Weg zurücklegen. «Und wir sind immer noch dran», sagt Mitgründer Flavio Hagenbuch. «Denn unser Okara ist bei den Tofuproduzenten zwar Ausschuss, der tonnenweise anfällt. Das heisst aber nicht, dass es für uns ein billiger Rohstoff ist.»

Okara ist leicht verderblich, deshalb muss es von Luya umgehend verarbeitet werden. «Wir holen es selbst in Biotofureien ab – unsere Transportkosten sind aktuell höher als der Rohstoffpreis», sagt Hagenbuch, der den Produktionsprozess nun zu optimieren versucht. 

www.luya.bio

Guetsli aus Ölpresskuchen

Illustration Guetsli aus Ölpresskuchen
Quelle: Anne Seeger

Wenn Ölsaaten wie Leinsamen oder Sesam gepresst werden, bleiben Feststoffe übrig, Presskuchen genannt. Auch sie landen vielerorts im Tierfutter oder in der Biogasanlage. Foodwaste entsteht aber auch bei einem zweiten Schritt in der Ölherstellung, nämlich bei der Absenkung der noch verbliebenen Feststoffe ganz zum Schluss.

Mirela Josty betreibt seit 2022 eine Ölmanufaktur in Mettmenstetten ZH, in der sie hochwertige Biorohstoffe verarbeitet, möglichst aus der Region. Und falls diese aus dem Ausland kommen, kennt Josty zumindest die Bauern. «Von Beginn an habe ich mir zum Ziel gesetzt, meine Rohstoffe komplett zu verwerten», sagt die Unternehmerin, die zuvor als biomedizinische Analytikerin gearbeitet hat. Ein erstes Upcycling-Produkt bietet sie bereits an: Die Feststoffe, die sich zum Schluss absenken, verkauft sie als Mus. Im Orient kennt man beispielsweise das Sesammus unter dem Namen Tahin.

Josty verkauft ebenfalls ein Tahin, aber auch andere Muse. Doch sie möchte noch einen Schritt weitergehen. Weil sie mit der Kaltpressung nur 30 Prozent des Öls, das sich in einer Saat befindet, gewinnen kann, ist auch der Trester ein wertvolles Nahrungsmittel. Nach dem Trocknen kann er vermahlen werden. Die Ölmüllerin wird ihn vorerst als Mehl anbieten, mit dem man ein Müesli anreichern kann – oder backen. Aktuell entwickelt sie Guetslirezepte, die schon bald mit ihrem Ausschuss gebacken werden sollen. «Wir denken an süsse und salzige Gebäcke, die natürlich sehr nährstoff- und proteinreich sind», sagt Josty.

www.josty-naturprodukte.ch

Ei-Ersatz aus Kichererbsen-Kochwasser

Illustration Ei-Ersatz aus Kichererbsen-Kochwasser

 

 

Quelle: Anne Seeger

Das Zürcher Start-up Eggfield entwickelt Alternativen zum Hühnerei aus pflanzlichen Rohstoffen und ohne Zusatzstoffe. Eine der Hauptzutaten im natürlichen Ei-Ersatz von Eggfield ist Aquafaba, also Kochwasser von Hülsenfrüchten – seit dem veganen Boom vielen ein Begriff. «Doch schon zu Kriegszeiten im 20. Jahrhundert wurde es genutzt», sagt Silvan Leibacher, Mitgründer von Eggfield. «Man hat es einfach wieder etwas vergessen.» Das Kochwasser von Hülsenfrüchten ist quasi getränkt mit Eiweiss, das beim Garen austritt. Das Eiweiss und weitere natürliche Inhaltsstoffe verleihen dem Kochwasser ähnliche Koch- und Backeigenschaften, wie sie das Eiweiss vom Hühnerei hat.

Ums Backen ging es bei Eggfield auch ganz zu Beginn. Leibacher gründete 2010 mit seinen Geschwistern Petra und Claudio die Leibacher Biber-Manufaktur. Schnell machten sie sich einen Namen als Hersteller von hochwertigem Gebäck aus regionalen Zutaten. Seit 2013 verzichtet Leibacher aus ökologischen Gründen, wo immer möglich, auf tierische Rohstoffe. Irgendwann kam die Frage auf, ob man für Backwaren nicht auch auf Eier verzichten könnte. «Jedes zweite Ei in der Schweiz wird passiv konsumiert», sagt Leibacher. Nicht als erkennbares Ei, sondern in verarbeiteter Form. Etwa in Teigwaren, Saucen und Backwaren.

Leibachers hielten Ausschau nach einem Ei-Ersatz – und merkten, dass viele Produkte einen erheblichen Anteil an Zusatzstoffen enthalten. Sie begannen, selbst einen Ei-Ersatz zu entwickeln. Doch von der Aquafaba-Idee bis zur Nutzung eines Nebenstroms der Lebensmittelbranche vergingen mehrere Jahre. Heute bezieht Eggfield das Aquafaba unter anderem vom Lebensmittelproduzenten Hilcona in Schaan (FL). Dort fällt es bei der Produktion von Hummus an und landete bislang in der Kanalisation. «Wir mussten den Aufbereitungsprozess von A bis Z definieren und der Frage nachgehen, wie das Wasser gesammelt, transportiert, sauber aufbereitet und weiterverarbeitet wird», so Silvan Leibacher. Unterstützt wird Eggfield von der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften. Das half etwa bei der Prozessdefinition und der Beantragung eines Patents.

Das Produkt von Eggfield wird nur an die Lebensmittelindustrie oder an Gastronomen geliefert. Wer also probieren möchte, wie gut aufbereitetes Kochwasser schmeckt, kann das bei Eggfield-Partnern tun. Allen voran bei Leibacher, wo man heute Amaretti ohne Ei zubereitet.

www.eggfield.com