Der Seelsorger Meinrad Furrer, Leiter des Teams Peterskapelle in Luzern, hat schon 2021 in aller Öffentlichkeit auf dem Zürcher Platzspitz gleichgeschlechtliche Paare gesegnet – gegen das ausdrückliche Verbot der katholischen Kirche. Dafür wurde er 2022 für den Prix Courage des Beobachters nominiert.

Die Glaubenskongregation im Vatikan hatte im März 2021 Klartext gesprochen und Vertretern der katholischen Kirche untersagt, schwule und lesbische Paare zu segnen. Gleichgeschlechtliche Beziehungen zu führen, entspreche nicht dem Willen Gottes und sei folglich eine Sünde. Das gleiche Gremium hat nun eine Kehrtwende gemacht und am Montag eine Erklärung veröffentlicht. Sie besagt, dass in der katholischen Kirche die Segnung homosexueller Paare zukünftig erlaubt sei. Die Erklärung trägt den schönen Titel «Fiducia supplicans» (flehendes Vertrauen).

Ein neues Verständnis von Segen

Gemäss dieser hat die Kirche jetzt ein neues Verständnis von dem, was ein Segen sein soll. Neu sei es möglich, «Paare in irregulären Situationen und gleichgeschlechtliche Paare zu segnen». Also Geschiedene sowie Schwule und Lesben.

Die Ehe aber wird durch die Erklärung nicht verändert. Sie bleibt nach offizieller Lesart des Vatikans die Verbindung zwischen Frau und Mann. Auch die sexuelle Vereinigung ist nur innerhalb der Ehe von Mann und Frau erlaubt.

Der Luzerner Seelsorger Meinrad Furrer freut sich über das Segenszeichen, der Papst heisse damit gleichgeschlechtliche Partnerschaften gut. Im Interview sagt er aber auch, was er bedenklich findet.

Seelsorger Meinrad Furrer segnete homosexuelle Paare – gegen den Willen der Kirche.

Seelsorger Meinrad Furrer segnete homosexuelle Paare – gegen den Willen der Kirche.

Quelle: Christian Schnur

Herr Furrer, Sie wurden 2022 für den Prix Courage nominiert, weil Sie öffentlich Segnungen von Schwulen und Lesben durchführten. Gegen den Willen der katholischen Kirche. Was geht Ihnen nun bei der neuen Erklärung und plötzlichen Kehrtwende im Vatikan durch den Kopf?
Es ist eine Art Weihnachtsgeschenk. Vor allem ist die Erklärung ein bisschen mehr als Symbolpolitik, die ja der Papst bei queeren Themen schon lange betreibt. Kürzlich hat er sich zum Beispiel bei einem Essen zusammen mit Transpersonen an den Tisch gesetzt. Jetzt wird aber tatsächlich eine Praxis möglich, die vorher explizit verboten war.


Wie hat die queere Community diese Neuigkeit aufgenommen?
Queere Menschen, die einfach die Schlagzeile wahrnehmen, reagieren sehr positiv und mit Freude darauf. Ich glaube, dass das Signal eine breite positive Wirkung hat und eines der Puzzleteile ist, die helfen, queere Identität und Lebensweise mehr und mehr als positiv zu sehen. Wer dann die Details der Verlautbarung liest, ist aber schnell frustriert über die Bedingungen für diesen Segen.


Welche Bedingungen?
Ich nehme vor allem drei Restriktionen wahr: Nur Priester dürfen diesen Segen spenden. Zweitens muss das Segensritual so gestaltet sein, dass es in keiner Art und Weise mit einer kirchlichen Trauung verwechselt werden kann. Und drittens wird der Segen nur Paaren gespendet, die sich im Rahmen der katholischen Sexualmoral bewegen. Das heisst, sie dürfen ihre Sexualität nicht ausleben. Das Gleiche gilt in diesem Papier übrigens auch für geschiedene Menschen, die sich einen Segen für ihre neue Beziehung wünschen.

«Ich befrage doch Menschen, die um einen Segen bitten, nicht zu ihrem Sexualverhalten. Das ist übergriffig und nicht praktikabel.»

Meinrad Furrer

Welche Bedeutung hat diese Erklärung für Gläubige?
Es ist ja ein Papier, das sich an alle Katholikinnen und Katholiken weltweit richtet. Bei gewissen Kreisen wird es grosses Unverständnis auslösen, weil es die Lehre der Kirche aufweiche. Doch es wird für viele befreiend wirken. Es wird auch Seelsorgerinnen und Seelsorger weltweit motivieren, mutiger neue Formen von Ritualen zu gestalten. Dass das Ritual nicht an eine Trauung erinnern soll, mag für viele ein Wermutstropfen sein. Ich empfinde es aber als Ermutigung, neue individuelle Formen zu erproben. Die katholische Kirche ist sowieso schon reich an verschiedenen Formen von Feiern, jetzt kann sie noch vielfältiger werden.


Laut der Erklärung darf den Segen nur erhalten, wer seine sexuelle Orientierung nicht auslebt.
Diese Restriktion ist wirklich unglaublich. Ich bin überzeugt, dass sich die meisten nicht daran halten werden. Ich befrage doch Menschen, die um einen Segen bitten, nicht zu ihrem Sexualverhalten. Das ist übergriffig und nicht praktikabel. Die Vorschrift verspielt auch eine Chance, nämlich Sexualität in all ihren Formen, mit ihrem Potenzial und ihren Problematiken wahrzunehmen.


Wie meinen Sie das?
Ich lehne die Einengung der Sexualität ab, die nur auf die Fortpflanzung fokussiert. Dieses Verständnis hat so viel Leid verursacht und entspricht nicht der Praxis der Menschen. Ich lehne es auch ab, Menschen in ihrer sexuellen Identität nur pastoral zu begleiten, wenn sie an etwas leiden. Die Kirche soll die vielfältige Freude an der Sexualität genauso sehen und wertschätzen.


Was muss sich noch ändern?
Es müsste noch ein viel grundlegenderer Paradigmenwechsel stattfinden. Das Dokument ist in einem Geist verfasst, der weiss, was für die Menschen richtig ist. Die Kirche muss fragen, was Menschen brauchen, was sie wirklich erleben, und ihnen dann mit einem offenen Ohr aus dem Fundus der christlichen Traditionen etwas anbieten. Das Problem ist ja nicht, dass Menschen, die sich lieben oder Lust aneinander entwickeln, Sex haben, egal ob hetero oder queer. Das Problem ist, dass Sexualität auch zu Verletzungen, Missbrauch oder Frustration führen kann.


Was könnte die Kirche dagegen tun?
Wie wäre es, wenn sie Versöhnungsrituale anböte für Paare, die mit ihrer Sexualität schwierige oder gar verletzende Erfahrungen gemacht haben? Oder sie könnte Segensfeiern für langjährige Paare durchführen, deren Sexualität lustlos und frustrierend geworden ist.