Im Fall Nzoy muss wieder ermittelt werden
Schon wieder starb im Kanton Waadt ein junger Mann nach seiner Festnahme durch die Polizei. Die Ermittlungen laufen – und ein Fall aus dem Jahr 2021 muss wieder aufgenommen werden.
Veröffentlicht am 30. Mai 2025 - 18:22 Uhr
Protest gegen Polizeigewalt: Porträt von Nzoy
Fast vier Jahre nach dem tragischen Tod von Roger «Nzoy» Wilhelm am Bahnhof von Morges VD gibt es eine überraschende Wendung im Fall. Das Waadtländer Kantonsgericht hiess Mitte Mai eine Beschwerde gut und weist die Staatsanwaltschaft an, die Untersuchungen wieder aufzunehmen. Die Waadtländer Staatsanwaltschaft bestätigte dies gegenüber dem Radio und Fernsehen der französischsprachigen Schweiz (RTS).
Der schwarze, damals 37-jährige Mann wurde im August 2021 von einem Polizisten erschossen, nachdem er auf den Bahngleisen umhergeirrt war. Nach mehr als drei Jahren Ermittlungen stellte die Staatsanwaltschaft im vergangenen November das Strafverfahren ein. Der Polizist, der den tödlichen Schuss auf Nzoy abgab, habe in Notwehr gehandelt.
Neue Anklage gegen weitere Polizisten
Jetzt pfiff das Waadtländer Kantonsgericht die Staatsanwaltschaft zurück. Wie das Onlinemagazin «Republik» berichtet, muss sie nun wegen unterlassener Hilfeleistung Anklage erheben. Nicht nur gegen den Todesschützen, sondern auch gegen weitere beteiligte Polizisten.
Das Gericht identifizierte laut «Republik» mehrere Punkte, die näher untersucht werden müssten. So fehlten etwa in den Untersuchungsakten Aufzeichnungen der Polizeifunksprüche. Zudem müsse geklärt werden, ob es ein unabhängiges Gutachten brauche, um die Notwehrsituation und das polizeiliche Verhalten zu beurteilen.
Kritik an Sonderstaatsanwalt
Die «Unabhängige Kommission zur Aufklärung der Wahrheit über den Tod von Nzoy», eine Organisation zur Unterstützung von Nzoys Angehörigen, sieht im Urteil ihre Bedenken gegenüber der Sonderstaatsanwaltschaft bestätigt. Diese wurde eingesetzt, um gegen die Polizisten zu ermitteln und die Umstände von Nzoys Tod zu klären. Geleitet wurde sie von Staatsanwalt Laurent Maye. Dieser stand bereits früher in der Kritik, unter anderem weil er versucht haben soll, die Geschwister des Opfers vom Verfahren fernzuhalten.
Gemäss «Republik» hält das Waadtländer Kantonsgericht in seinem Urteil fest, dass der Staatsanwalt dem Grundsatz «in dubio pro duriore» (lateinisch «im Zweifel für das Härtere») nicht gefolgt sei, wonach im Zweifelsfall Anklage erhoben werden müsse. Des weiteren habe es bei der bisherigen Untersuchung an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gemangelt.
Und ein neuer, fünfter Todesfall seit 2016
Während der Fall Nzoy nun neu aufgerollt wird, gibt es bereits neue Ermittlungen gegen vier weitere Polizisten in der Waadt. Am Sonntagabend, 25. Mai, starb Michael Kenechukwu Ekemezie, ein 39-jähriger Nigerianer, kurz nach seiner Festnahme auf einem Polizeiposten. Die Umstände werden untersucht. Ekemezie ist die fünfte schwarze Person, die seit Ende 2016 in den Händen der Waadtländer Polizei ums Leben kam.
- Medienmitteilung der «Unabhängigen Kommission zur Aufklärung der Wahrheit über den Tod von Nzoy»
- RTS: Le Ministère public vaudois doit rouvrir son enquête sur la mort de Nzoy
- «Republik»: Der Fall Nzoy wird wieder aufgenommen